Rackenbach — einst ein Dorf?

Geschichte und Legende um eine Meisburger Flurbezeichnung

Gerhard Becker, Daun

Südwestlich des Dorfes Meisburg, unmittelbar an der Grenze zum Landkreis Bitburg-Prüm, liegen auf einer Anhöhe Äcker und Wiesen mit der Flurbezeichnung »Rackenbach«. Auf den ersten Blick ein Plateau wie viele andere in der Ei-fel, beim zweiten Hinsehen ein reizvolles Stück Land in der schützenden Umarmung eines erhabenen Waldes. Ein idyllisches Fleckchen Erde, das Ruhe ausstrahlt, Geborgenheit und Wärme; auf der höchsten Erhebung mit einer Kapelle gekrönt. Wie ein Scheitel zieht über eine Anhöhe eine Pappelallee schnurgerade ihren Weg, bis sie sich vor einem steilen Abhang auflöst. Über zwei scharf gezogene Kehren sucht die Straße an der Schafbrücke vorbei die Verbindung nach Meisburg.

Dreißig Jahre ist der Berg wieder bewohnt, nachdem vor vielen Generationen Menschen ihre Häuser dort aufgaben und sich in den Schutz des Tales und der Dorfgemeinschaft nach Meisburg begaben. Hatte der Berg seinen Mann nicht mehr ernährt? Eine Fotografie kündet uns noch von einem strohbedeckten Haus im Schütze einer Mulde. »Rackenbacher« heißt denn auch heute noch ein Haus im Dorf.

Heute ernährt die Hochebene wieder drei Familien in fortschrittlichen Aussiedlerhöfen. Dabei war das Land nach dem Zweiten Weltkrieg anders verplant. Düsenjäger sollten im Tiefflug über Meisburg dort auf die Landebahn eines amerikanischen Militärflugplatzes einschwenken. Fast noch Gegenwart und doch schon Geschichte, nach einigen Generationen vielleicht Legende. Rackenbach ist beides, Geschichte und Legende.

Die ersten Spuren hinterließen Kelten. Steinbeile, Pfeilspitzen, Klingen und Schaber aus Flintstein geben Zeugnis einer frühen Besiedlung auf den Meisburger Fluren1. Später kamen die Römer. Von der Mosel bis in das heutige Belgien zog sich einst eine Römerstraße mit dem beziehungsreichen Namen »Weinstraße«2. Von Schwarzenborn aus ist sie noch über eine Anhöhe der herzoglichen Wälder in der Gemarkung Oberkeil zu verfolgen, bis sie kurz vor Rak-kenbach nach links wendet. Sie bleibt auf der Anhöhe und findet ihren weiteren Weg über Bradscheid und Mürlenbach. Die Straße bildet zum Teil einen sechs Meter breiten und zwei Meterhohen Damm. Auf dem Pflaster holperten vermutlich einst mit Fässern beladene Fuhrwerke nach Norden, um den Legionären in den römischen Garnisonen ihre tägliche Ration Wein zu liefern.

Auf Rackenbach wurden Tonscherben gefunden, die das Rheinische Landesmuseum Trier als Reste römischer Gefäße bestimmte, Hinweise auf eine römische Siedlung. Legende ist es dagegen, daß auf Rackenbach eine Ritterburg gestanden hat. Der kleine Eichenwald in der freien Landschaft soll der Burghof gewesen sein. Auf der Burg habe ein grober Raubritter gehaust, fruchtbarer Nährboden für die Sage vom Rackenbacher Männchen, nach einer Erzählung von 18583.

Das Rackenbacher Haus; Aufnahme vom 4. August 1914.

»Zwischen Meisburg und Seinsfeld, im Oberkailer Walde, findet man an der Rackenbacher Wiese altes Gemäuer, welches bekundet, daß daselbst einst ein umfangreiches Gebäude gestanden habe. Hier hauste der Ritter von Rakkenbach, ein eingefleischter Teufel und der Schrecken der Umgegend. Seine Tochter Ada war ebenso gut, als er böse und das Ebenbild ihrer Mutter, die schon lange der Gram unter die Erde gebracht hatte. Der junge Herr Idler von Meisburg, welcher sich Ada zu seiner Gemahlin auserkoren, hatte mit derselben verabredet, daß er sie an einem bestimmten Tage um Mitternacht in Rackenbach abholen und nach Meisburg bringen würde. Kaum aber hatte Ada mit dem Herrn Idler die Burg Rackenbach verlassen, als auch schon der Burgherr davon Kunde erhielt und wutschnaubend mit mehreren Knappen den Fliehenden nachsetzte. Bald waren dieselben eingeholt und es entspann sich ein Kampf auf Leben und Tod. Adas Vater sank bald von Idlers Speer durchbohrt tot zur Erde, und die Knappen ergriffen die Flucht. Aber der Ritter Idler hatte viele Wunden davongetragen und es währte nicht lange, so hauchte auch er sein Leben aus. Darüber grämte sich Ada so sehr, daß sie vier Monate darauf ebenfalls verstarb. Kommt der Wanderer nächtlich an dem Steinhaufen der Rackenbacher Burg vorbei, so vernimmt er nicht selten lautes Pochen, Hundegebell, Stöhnen und Röcheln, wie von Gemordeten. Manchmal vertritt auch ein kleines feuriges Männchen ihm den Weg; zuweilen sprengt auch dasselbe auf einem schwarzen Rosse vorbei, gefolgt von vielen schwarzen Berittenen, bis zu dem Rackenbacher Brunnen, wo zwei weiße Gestalten mit Schwertern dasselbe am weiteren Vordringen behindern. Darauf versinkt das Männchen in dem Gemäuer des Rackenbacher Hofes, von Flammen und Rauch umgeben, unter fürchterlichem Getöse.«

Rackenbach war nicht nur eine Flurbezeichnung, Rackenbach war einst ein Dorf, heute vergessen, und dennoch im Volksmund nicht ausgelöscht! Die Überlieferung durch Generationen hat den Gedanken an ein Dorf wachgehalten. Der Beweis, der die Legende um Rackenbach zur Geschichtsschreibung erhebt, wird hier angetreten, mit Brief und Siegel! Archiv Mander-scheid-Blankenheim in Dülmen4:

»(um 1346) Aufzeichnung über die Mander-scheider Lehensleute. Item here Coinrait von Dudisfelt ritter halt zu burchlehn zu Mander-scheit daß huis unden ain der Capellen unde zu dem huse das dorff Rackenbach myt allem syme zubehoere, myt namen die wiesen und feit ain dem hogen walde, dem forst und der in den hoff zu Kyle hoert und hi bist der Beyr uß längs den walt genant Mutzkamer, der auch in den hoff Keyle hoert, bis ain den Koenicks borne und obentdem Koenicks born lanx bis an den oberg. lichtwalt hinder Oberrackenbach und under dem walde her bis ain den Kilburger patt und den patt längs biß under den walt genant Hasselart und den walt Hasselart wieder tuschent der groiße Salmen und der lauff Salmen gelegen uß und die mulen under Rackenbach und die wiesen benedent der moelen.«

Rackenbach ist damit als einstiges Dorf identifiziert. Die Beschreibung des »Zubehörs« läßt eine andere Deutung nicht zu. Da ist zunächst der »hoff zu Keyle«, Hof zu Oberkail oder das »Kilburger patt«, der »walt Hasselart«, heute Has-selt genannt, die »groiße Salmen« und die »lauff Salmen«, als Salm und Lohsalm zu erkennen sowie die »mulen under Rackenbach«, die heute unter Denkmalschutz stehende Schneidemühle.

Die Gemarkung lag nach dieser Beschreibung auf demj Oberkailer und Meisburger Gebiet. Wo aber war das Dorf, wo standen die Häuser? Es bieten sich zwei Antworten an: Das bereits beschriebene Haus stand in der Nähe der Höfe Wagner und Helten-Schenk. Der Brunnen dort spendet heute noch Wasser. Die Kapelle auf der höchsten Erhebung ist immer noch Ziel frommer Menschen.

Oder lag das Dorf auf dem Rackenbacher Wies'chen, hektargroß im Wald auf der Oberkailer Gemarkung? Ältere Meisburger wissen noch von Grundmauern zu berichten. Die Sage vom »Rackenbacher Männchen« stellt dort die Burg des Ritters hin. An dieser Stelle beginnt der Rackenbacher Graben, ein kurzer, wasserreicher Bach in einer Schlucht, der sich mit der Lohsalm vereinigt. Ein gemauerter Brunnenschacht am Wies'chen weist auf eine frühere Besiedlung hin.

Ein Blick in alte Flurkarten regt die Phantasie an. Im Jahre 1838 weist eine Katasterkarte auf Rakkenbach geheimnisvolle Einzeichungen auf, vermutlich mehrere Gemäuer, vielleicht die Grundmauern einstiger Häuser, einer Burg oder einer römischen Siedlung5. Die letzte Vermutung ist die gewagteste, dennoch, in unmittelbarer Nähe wurden die Tonscherben der römischen Gefäße gefunden. Die Tranchot-von-Müffling'sche Karte von 1803 bis 1820 kennt nur eine »Capelle Ruine« und die »Rackenbacher Wies«6.

Im Meisburger Weistum von 1503 wird die Gemarkungsgrenze beschrieben: » . . . auf ein Seith Rackenbach, auf die ander Meisburg . . . «1. Nach dieser Beschreibung gehört Rakkenbach nicht zu Meisburg, ein Hinweis darauf, daß Rackenbach noch eigenständig war. Anno 1731 hat die Äbtissin von St. Thomas, Grundherrin in Meisburg, einen Streit um das Gemeindeland zu schlichten. Meisburg und Rackenbach werden als eigenständige Bezirke genannt. Vom Rackenbacher Dorf oder etwaigen Bewohnern ist jedoch nicht die Rede. Meisburger Bauern beackern das Land1. Zwischen dem Rackenbacher Wald und dem Meisburger Gemeindewald erfolgt 1752 die Ab-steinung zur Gemarkung Oberkail. Rackenbach ist geteilt, kein Dorf mehr, nur noch eine Flurbezeichung1.

Vielleicht lassen sich weitere Geheimnisse um das verschwundene Dorf lüften, Fragen beantworten, Beweise finden. Die Nachforschungen sollten nicht abgeschlossen sein, sie sollten erst beginnen.

Literatur und Quellenangaben:

1 Vergleiche: Meisbrecht, Meisenburg, Meisburg — Gerhard Becker1979

2 Römerstraßen der Rheinprovinz ... Römer im Eifelland— Vitalis Pantenburg

3 Sagen und Legenden des Eifeler Volkes — J. H. Schmilz, Trier 1858

4 Kr. Coesfeld (Nachträge) Dülmen, Archiv Manderscheid-Blankenheim

5 Katasterkarte, Handzeichnung 1838 — Katasteramt Daun

6 Tranchot-v.-Müffling'sche Karte 1803 -1820