Der geschenkte Gaul

Eine listig-lustige Anekdote vom Hillesheimer Markt

Annette Craemer, Trier

Kaum zwei Generationen sind es her, da boten die vielen Marktflecken und größeren Orte unseres Landes an den wichtigen Markttagen noch das Bild wahrer Heerlager. Hunderte von Viehstimmen wieherten, muhten, grunzten und blökten; das Federvieh gackerte und schlug wild mit den Flügeln. Lautstark wurde gehandelt und gefeilscht, und Berge von Waren wechselten ihre Besitzer. Oft ging es nicht ohne Handgreiflichkeiten ab, und auch an faulen Tricks und kleinen Gaunereien fehlte es nicht. Manch bejahrtes Roß hatte zuvor seine Zähne »auf jung« gefeilt bekommen und manch schwächliches Rind war tags zuvor nicht gemolken worden, nur damit es am Markttag ein pralles Euter aufweisen konnte.

Hillesheim in der Eifel hat als einziger Ort bis auf den heutigen Tag das Markttreiben früherer Zeiten in großem Stil beibehalten. Zweimal im Monat werden dort fünf- bis sechshundert Stück Vieh zusammengetrieben. Die Käufer kommen oft von weit her. Vom Hunsrück bis zum Niederrhein lockt der große Hillesheimer Markt noch immer seine Interessenten an.

Von dort kam mir vor kurzem ein lustiges Gaunerstückchen zu Ohren, das sich etwa um die Jahrhundertwende zugetragen hatte. Lebte doch dazumal ein kleiner Bauer mit seiner Frau eher schlecht als recht auf seinen anderthalb Morgen Land. Wie man so sagt: zum Leben zu wenig — zum Sterben zuviel. Allerdings muß gesagt sein, daß dem guten Mann, Bornickel mit Namen, selbst die Arbeit auf dem Feld als lästig und beschwerlich erschien. Und so hatte er sich im Lauf der Jahre einen angenehmen Nebenverdienst zu sichern gewußt. Dabei kam ihm vor allem sein Äußeres zustatten. Denn obwohl Bornickel arm an Besitz und klein von Statur war, erschien er an den Markttagen stets in einem gutgehaltenen Rock, spazierte mit pfiffigüberlegenem Gesichtsausdruck durch die Reihen der Händler und Käufer und war dazu behend genug, um flink und unauffällig im Marktgewühl untertauchen zu können, falls eine von ihm heraufbeschworene Situation sich als brenzlig erweisen sollte.

Bornickel hatte sich nämlich im Lauf der Zeit zu einem ausgefuchsten Schmuser gemausert. Wurden Händler und Kunde offensichtlich nicht handelseinig, blieb das listige Bäuerchen bei den Streitenden stehen, fragte ganz beiläufig, was — meinethalben — das blanke Pferdchen denn kosten solle. Meinte mit nachdenklich wiegendem Kopf: Dafür gäbe er gern drei - vier Taler mehr, es sei doch ein ausgesprochen schönes Tier. Außerdem könne er es gerade brauchen. Daraufhin gab der erste und bis dahin unentschlossene Käufer unwillig seine Reserve auf — schließlich wollte ja er das angebotene Tier im Grunde selber haben. Mußte jedoch, vom geschickt parlierenden Bornickel hochgetrieben, zum Schluß ein rundes Sümmchen mehr bezahlen als zu Beginn der Verhandlungsrunden. Bornickel tat, als müsse er sich verärgert nach einem anderen Objekt umtun — in Wahrheit wiederholte er jedoch das Manöver, so oft es eben anging. Wie gesagt, er war ein Schmuser und stand mit den Viehhändlern unter einer Decke, trieb auf seine Weise die Preise in die Höhe und durfte sich dafür am Ende eines Markttages seine »Prozente« samt einiger großzügig bemessener Schnäpse in der vereinbarten Wirtschaft einverleiben, in der es nach gut abgeschlossenen Geschäften laut und fröhlich zuging. Bornickel bekam manch anerkennendes Wort für seine pfiffigen Manöver zu hören.

»Hei«, dachte das arbeitsscheue Bäuerlein, »hier ist doch das wahre Leben zu finden, hier sitzen deine echten Freunde, hier schätzt man deine Fähigkeiten richtig ein.« Und so faßte er sich nach einem besonders erfolgreichen Tag ein Herz und trug den lachenden und sich unentwegt zuprostenden Viehhändlern eine Bitte und Sorge vor, die ihn schon seit geraumer Zeit drückte. Das kleine Schimmelpony, einziges Pferd im Stall des Bauern, wurde altersschwach und abständig.

»Um ein neues Pferd zu kaufen, dafür reicht der kleine Verdienst, der mir von eurem reichen Tisch abfällt, nun auch wieder nicht«, jammerte er, plötzlich wehleidig geworden vom allzu reichlich genossenen Alkohol.

Die rauhen Viehhändler steckten auf diese Rede hin ihre bärtigen Köpfe zusammen, verständigten sich in ihrer Händlersprache, lachten und stampften mit den Füßen. Nach einer Weile richtete der Älteste aus der Runde das Wort an den Bittsteller: »Bauer Bornickel, wir anerkennen wie du weißt, deine großen Verdienste um den Viehhandel und wollen alle zusammenlegen, damit du unentgeltlich zu einem neuen jungen Pferdchen kommst. Im Nachbarort hab ich ein paar hübsche Ponys stehn, ein Zirkus mußte plötzlich notverkaufen. Ich schick sofort meinen Knecht Jakob los, er soll das schönste und kräftigste davon herbringen. Er soll es auch sofort vor dein Scharrettchen spannen, denn dazu, mein Lieber, scheinst du kaum mehr imstand. Das alte Pony nehmen wir dafür in Zahlung. Nu, ist das ein Vorschlag?«

Bornickel war zu Tränen gerührt und dankte allen immer wieder aufs neue. »Ihr seid meine wahren und einzigen Freunde«, versicherte er mit versiegender Stimme.

Die trunkfrohe Runde blieb noch einige Zeit zusammen, man schwatzte und lachte, bis schließlich der Jakob zurückkehrte und meldete, daß der Auftrag ausgeführt und ein neues Pony, diesmal ein geschecktes, ein schönes kräftiges Apfelschimmelchen, vor Bornickels Kärrchen eingespannt sei. Alles drängte hierauf vor die Tür; Jakob mußte Bornickel fest unter die Arme greifen und ihn auf den Kutschbock heben. »Ein feines Tier, so ein schön gezeichnetes Fell!« lobte der Bauer immer wieder. Dann zockelte er los — und war nach kurzer Zeit — wie gewöhnlich, auf seinem Sitz eingenickt. Aber auch das neue Apfelschimmelchen fand so sicher seinen Weg nach Hause, wie früher das alte Pony. Schließlich blieb es mit einem Ruck stehen. Bornickel wachte auf — man war im Hof des Bauern angelangt.

Frau Bornickel hatte wachend und sorgenvoll im Bett gelegen. So spät war ihr Mann nach einem Markttag noch niemals heimgekommen. Als sie endlich die vertrauten Geräusche im Hof hörte, eilte sie zum Fenster, riß es auf und rief erstaunt in das vage Mondlicht hinunter: »Ist es die Möglichkeit? Ein neues Pferd? So haben sie's tatsächlich gemacht!«

»Was, da staunst du?« rief der Bauer stolzgeschwellt. Da siehst du, was ich ihnen wert bin. Und schlau ist das Pferdchen. Hat gleich beim ersten Mal allein hierher gefunden. Es muß mindestens acht Jahre in die Schule gegangen sein — na ja, ein Zirkuspferd!« Schnell wurde das Wunderpferd in den Stall gebracht, wobei es sich auch sofort sehr geschickt und kundig anstellte.

Bornickel und Frau aber suchten in der Nacht glückliche Träume heim. Nur als man am nächsten Morgen nach dem Apfelschimmelchen sah, gab es eine herbe Enttäuschung. Die schöne Zeichnung des Fells, inzwischen ein wenig verwischt, erwies sich als infame Täuschung. Knecht Jakob hatte auf diese Weise seinen künstlerischen Fähigkeiten freien Lauf gelassen: Mit Schuhwichse hatte er den alten Schimmel aufgefrischt! Das neue Pferdchen war immer noch das alte.

Humor ist der Knopf,

der verhindert,

daß uns der Kragen platzt.

Joachim Ringelnatz

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