NATUR UND LANDSCHAFT

Aus der Forstgeschichte

der Vulkaneifel

Die Waldstreunutzung — einst Stütze der kleinbäuerlichen Land- und Viehwirtschaft

Dr. Werner Schwind, Gerolstein

Die landwirtschaftlichen Nutzungsformen des Waldes — seien es Waldweide, Waldfeldbau oder Streunutzung — werden als Nebennutzungen des Waldes bezeichnet. Sie sind heute aus dem Bewußtsein der Eifelbevölkerung zum großen Teil geschwunden. Aber gerade in der inneren Eifel haben einige dieser Nebennutzungen wegen der sehr langen Abgeschiedenheit und katastrophalen landwirtschaftlichen Ertragslage dieses Raumes länger eine hohe wirtschaftliche und forstpolitische Bedeutung besessen als in vielen anderen Gebieten Deutschlands. Im Laufe der Zeit ist eine vollständige Verlagerung in der Bedeutung bestimmter Waldnutzungen eingetreten. Der Wald hat lange Zeit einen unentbehrlichen Beitrag zur Ernährung der Eifeler Bevölkerung geleistet. Er war die Stütze der Landwirtschaft. Gerade in der Vulkaneifel war die Loslösung der Land- von der Forstwirtschaft im 19. Jahrhundert ein sehr schwieriger Prozeß, der zu erbitterten Konfrontationen zwischen der ländlichen Bevölkerung und der Forstverwaltung führte. Die Nachwirkungen der landwirtschaftlichen Nutzung des Waldes sind in der Vulkaneifel heute noch teilweise feststellbar.

Die Waldstreunutzung, die in der Vulkaneifel in einem kaum noch vorstellbaren Umfang ausgeübt wurde, hatte den Wald dieser Landschaft geprägt. Das Laub wurde fortwährend aus dem Wald abgefahren, wie es von den Baumkronen herabgefallen war. Durch den ständigen Nährstoffentzug war der Waldboden derart verarmt und seine nachhaltige Leistungsfähigkeit derart verringert worden, daß man sich einfach gezwungen sah, Blößen in Laubwäldern bzw. Kahlschläge mit den anspruchsloseren Nadelhölzern aufzuforsten. Natürlich haben auch anderer Faktoren entscheidend zu dem Bestokkungswandel in der Vulkaneifel beigetragen, die Bodenverarmung durch die Streunutzung hat aber einen nicht zu unterschätzenden Beitrag dazu geleistet.

Geschichte als Lehrmeister

Die ersten Nachrichten über die Streuentnahme aus dem Wald der Vulkaneifel datieren aus dem Jahr 1652, als der Graf zu Manderscheid-Blankenheim feststellen mußte, daß das Abhauen des Laubes zu Futterzwecken und das Sammeln der Streu den Wäldern bereits merklich zum Schaden gereicht hatten.

Die Entnahme von Grünlaub für die Viehfütterung war bereits sehr alt. Die Römer betrieben die Fütterung mit Grünlaub in großem Umfang. Auch in der Vulkan- und angrenzenden Eifel war die Grünlaubentnahme — das sogenannte »laubhawen« — bis zum Jahr 1652 in »vielfältiger« Weise durchgeführt worden. Wegen ihrer waldschädigenden Wirkungen wurde die Grünlaubentnahme 1652 in der Grafschaft Manderscheid-Blankenheim untersagt. Im Flammersheimer Wald war das Laubhauen und das Scheren der jungen Buchen und Eichen bereits 1564 als dem Wald schädlich verboten worden.

Die Streuentnahme von Mengen, die für uns heute kaum noch vorstellbar sind, begann aber erst im 18. Jahrhundert mit dem Aufkommen der Stallfütterung. In der kurtrierischen Forstordnung von 1786 wurde das Laubscharren und Heidehauen in eingehegten Bezirken untersagt. In allen anderen Distrikten war die Laubstreuentnahme uneingeschränkt gestattet. In der Forstordnung von 1720 war bereits der Gebrauch des eisernen Streurechens verboten worden. In dem Manderscheid- Blankenheimer Bereich der Vulkaneifel wurde die Streuentnahme als notwendige Waldnutzung im 18. Jahrhundert keinen Beschränkungen mehr unterworfen.

Die umfangreichen Akten über die Streunutzung aus dem 19. Jahrhundert lassen nicht nur den harten Kampf der Forstverwaltung, vor allem der Forstleute an der Regierung in Trier, um die Beendigung dieser Waldgeißel eindrucksvoll nachvollziehen, die Akten zeugen auch von der unbeschreiblichen Armut der Eifelbevölkerung. Sie sind daher nicht nur wald-, sondern auch kulturgeschichtlich von besonderem Interesse, wiewohl man feststellen kann, daß Wald- und Lebensgeschichte in der Vulkaneifel auf vielen Gebieten sehr eng miteinander zusammenhängen, enger als in manchen anderen Landschaften Deutschlands.

Die Landwirtschaft im 19. Jahrhundert

Die landwirtschaftliche Situation der Vulkaneifel im 19. Jahrhundert entsprach derjenigen der gesamten zentralen Eifel, während sie sich in den Randgebieten anders (günstiger) darstellte. Durch die Abgeschiedenheit dieser Region und der weit überwiegend klein- und kleinstbäuerlichen Struktur der Bevölkerung war das Wohlergehen der Eifelbewohner sehr eng mit Erfolg und Mißerfolg ihrer landwirtschaftlichen Erzeugung verbunden. Jede Mißernte hatte einen schweren Notstand zur Folge und leider gab es sehr viele davon. Auch wenn gerade keine ausgesprochene Mißernte vorkam, so reihten sich doch oft mehrere schlechte Ernten aneinander. Welche geradezu unbeschreibliche Not in der Eifel nach zwei totalen Mißernten wie z. B. 1815 und 1816 herrschte, beweisen die vielen Notstandsberichte aus dieser Zeit sehr eindrucksvoll (z. B. »Die Hungersnoth in der Eifel, in »Die Eifel 1824-94«, Bd. II).

Kinder beim Laubsammeln im Wald.

                                                                       Zeichnung: Hildegund Jaax, Dreis

 

Im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts besserten sich die Zustände, aber immer wieder ließen Mißernten die sowieso nicht mit Wohlstandgesegnete Bevölkerung in arge Not verfallen. Die landwirtschaftlichen Verhältnisse der Eifel waren auch nicht zur Förderung des Wohlstandes angetan.

Mit Ausnahme der mitteldevonischen Mergelböden war die Ertragsfähigkeit des Bodens von Natur aus gering, das Klima für die Landwirtschaft ungünstig und der Kunstdünger noch ein Fremdwort, als in anderen Gegenden Deutschlands bereits mit dessen Hilfe die landwirtschaftliche Produktion erheblich gesteigert wurde. Wie wenig sich die Böden der zentralen Eifel ohne Hilfe von Dünger zum Ackerbau eignen, zeigen die in neuerer Zeit ermittelten Ertragsmeßzahlen. Die maßlose Zerstückelung der Ackerflächen, die nur in den ehemaligen Anerbengebieten geringer war, und ihre Wegelosigkeit führte zu Flurzwang. Es herrschte, wie eh und je, die Dreifelderwirtschaft. Die Haupterzeugnisse waren Roggen, Hafer und Kartoffeln. Zur Erholung des Bodens wurde immer wieder eine Brache eingelegt.

Schiffelkultur aus der Not geboren

Eine ausgesprochen extensive Bodennutzungsform war die verbreitete Schiffelkultur, die auf den weiten Ödlandflächen der Eifel ausgeübt wurde. Das Schiffein war dadurch charakterisiert, daß die zur Beackerung bestimmten Ödlandböden in gewissen Abständen zunächst einem Brennprozeß unterworfen wurden. Nach einer Zeit von 15-20, zum Teil aber auch 30 -50 Jahren, in der die betreffende Ödlandfläche sich selbst überlassen war, wurde die entstandene Gras- oder Heidenarbe in möglichst großen Plaggen abgeschält, zusammengerollt und zum Trocknen aufgestellt. Die trockenen, von Erde befreiten Plaggen wurden mit Reisig zu Haufen von 1 -1,5m Durchmesser zusammengestellt und verbrannt. Die Asche wurde dann zur Düngung über den Boden ausgebreitet und das so vorbereitete Feld zunächst mit Roggen bestellt. Nach dem Roggen folgte in der Regel der Anbau von Hafer und Buchweizen, der auch als Heidekorn bezeichnet wurde. Nach mehrjähriger, manchmal auch nur einjähriger Bestellung des Schiffelfeldes überließ man das Land erneut der natürlichen Begrasung. So blieb es wieder 15-20 Jahre brach liegen, nur extensiv Rindern und Schafen als magere Weide dienend.

Die Schiffelwirtschaft war zwar wenig ertragreich und durch Nährstoffvergeudung ein Raubbau schlimmster Art, aber sie war die einzige Möglichkeit, den großen brachliegenden Allmendflächen nicht nur eine magere Beweidung, sondern auch eine ackerbauliche Nutzung zukommen zu lassen. Eine Ergänzung des Ackerbaus durch Überführen von Schiffelflächen in ständiges Ackerland war lange Zeit wegen des Düngermangels, zu weiter Entfernung der Schiffelflächen vom Ort und schlechter Wegeverbindungen nicht möglich. Der Ackerbau zeigte sich in der Eifel im 19. Jahrhundert rückständig, wenig ertragreich und mit vielen Zwängen, die eine ökonomische Bewirtschaftung verhinderten, behaftet. Er reichte nur zur notdürftigen Ernährung der Eifelbevölkerung aus.

Viehzucht als Nährquelle erkannt

Ein zweiter wesentlicher Faktor des bäuerlichen Betriebes war die Viehhaltung. Sie wurde nicht selten als die eigentliche Nährquelle der bäuerlichen Bevölkerung angesehen. Die Rindviehzucht bildete vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts den Hauptbetriebszweig der Landwirtschaft. Gerade in der Vulkaneifel hob sich der Rindviehbestand weit über den Durchschnitt des Rheinlandes. So stieg die sowieso schon beträchtliche Rindviehherde des Kreises Daun im Verlauf des 19. Jahrhunderts ständig an, ohne daß sich die Grundlagen der Landwirtschaft entsprechend verbessert hätten.

 Es liegt nun auf der Hand, daß zur Durchwinterung des großen Viehbestandes, der sich auf viele Kleinlandwirte verteilte, nicht nur bedeutende Futterquantitäten, sondern auch erhebliche Einstreumengen notwendig waren, zumal die Winter in der Eifel relativ lang und rauh sind. Die Getreidestroherzeugung reichte trotz großer landwirtschaftlicher Fortschritte selbst nach 1910 nur in wenigen Fällen zur Deckung des Streubedarfs aus.

Blick in den Eifelwald. Foto: Toni Irmen, Bleckhausen (Fotowettbewerb)

Die Waldstreunutzung bis 1870

Die enorme Streumenge wurde einmal als Heide den Ödlandflächen und degradierten Plätzen in den verlichteten Wäldern entnommen, zum anderen aber — und das überall, wo es nur irgendwie möglich war — den Wäldern in Form des jährlich herabfallenden Laubes. Für die bäuerliche Bevölkerung der Vulkaneifel war es eine Selbstverständlichkeit, im Herbst mit Vieh und Wagen in den Gemeindewald zu ziehen und das Laub zu sammeln, wo immer es möglich war. Linz sprach 1821 vom »ewigen Laubscharren« in der Eifel. Um so größer war ihr Unverständnis, als am 20. November 1828 die königliche Regierung in Trier allgemeine Bestimmungen, nicht nur über die Ausübung der Weide und der Grasnutzung, sondern auch über das Streusammeln in den Gemeindewäldern verabschiedete. Diese Verfügung war wohl einmal durch die ungeheure jährliche Streuentnahme aus den Wäldern dieses Bezirks erforderlich geworden, zum anderen kann sie aber auch als Folge der lebhaften Diskussion über die Schädlichkeit des Laubscharrens angesehen werden. Die Verfügung war von sehr großer Bedeutung. Sie wurde in den folgenden Jahrzehnten im Rahmen der Bemühungen um die Abschaffung der Waldstreunutzung immer wieder zitiert. Unter anderem enthielt sie folgende Vorschriften:

Nach § 1 durfte das Streusammeln nur dann stattfinden, wenn die landwirtschaftlichen Verhältnisse einer Gemeinde eine derartige Nutzung überhaupt erforderlich machten. Für die Vulkaneifel muß diese Voraussetzung als gegeben angesehen werden. Das Sammeln des abgefallenen Laubes war nur noch dann erlaubt, wenn die nötige Waldstreu nicht durch Benutzung der Heide, der Moore, des Ginsters, des Farnkrautes, der Heidelbeersträucher und sonstiger Forstunkräuter erlangt werden konnte.

Grundsätzlich durfte nur in Hochwaldungen ab dem 80. und in Niederwäldern von dem 20. Jahre an Laub gescharrt werden (§ 14). War während eines Jahres die Laubentnahme in einem Distrikt gestattet worden, so mußte derselbe zwei Jahre geschlossen bleiben. Vordem Hiebe mußte der Hochwald wenigstens zwei, der Niederwald wenigstens ein Jahr vom Laubscharren verschont bleiben (§ 15). Nach § 16 durfte nur in den Monaten März, April, September und Oktober an den vom Gemeinde-Oberförster zu bestimmenden Tagen von sechs Uhr morgens bis sechs Uhr abends in den geöffneten Distrikten Laub entnommen werden.

Das Laubscharren war nur mit dem hölzernen Rechen gestattet (§ 19). Bei der Nutzung von Heide, Moos, Ginster usw. war der Gebrauch von Hacken und ähnlichen Werkzeugen verboten (§21).

Allgemein wurde den Gemeinden nur soviel Laub einzusammeln erlaubt, wie ihr eigener Bedarf es erforderte. Der Verkauf von Waldstreu war untersagt (§ 22).

Diese einschränkenden Bestimmungen waren für die an die Laubentnahme nach Belieben gewöhnte Vulkaneifelbevölkerung vollkommen neu und wurden daher als sehr hart und ungerechtfertigt empfunden. In der Vulkaneifel war eine Konfliktsituation vorgegeben, der sich auch die örtliche Forstverwaltung nicht entziehen konnte. Auf der einen Seite stand der Waldboden, dessen Produktionskraft von Jahr zu Jahr geringer wurde und der nach Schonung verlangte, auf der anderen Seite ein echtes Bedürfnis der Bevölkerung, die Waldstreu für ihre anfällige Landwirtschaft zu nutzen.

Einen Einblick in die forstliche Notwendigkeit, die Streunutzung im Walde, die sich bis dahin wohl weit überwiegend auf das Laubsammeln konzentriert hatte, einzudämmen, gibt z. B. die Zustandsbeschreibung des Gerolsteiner Waldes von 1834. Danach waren die dem Ort näher gelegenen Teile des Reviers infolge rücksichtsloser Streunutzung auf einen niedrigen Grad von Ergiebigkeit gebracht worden und mit Heide und Heidelbeere stark überzogen. Nur eine vieljährige strenge Schonung und Abkehr von den Mißbräuchen konnte nach Ansicht des Taxators den Wald wieder zu der Ergiebigkeit bringen, zu der er fähig war.

In den 30er Jahren versuchte die kommunale Forstverwaltung das unkontrollierte und hemmungslose Laubsammeln in der Vulkaneifel im Sinne der Verfügung von 1828 drastisch einzuschränken, so daß sich eine Reihe von Gemeinden bitter über den Mangel an Einstreu beklagten. Wie es oft der Fall ist, wenn einschneidende Maßnahmen ungenügend vorbereitet in drastischer Weise eingeführt werden, so begann man auch hier bald damit, die Bestimmungen zu umgehen bzw. ganz zu mißachten. Die festgesetzten Waldtage wurden ignoriert, die pro Berechtigten festgesetzten Laubmengen ebenso, und schließlich verfuhr in manchen Gemeinden jeder nach seinen Bedürfnissen, ohne sich um Bestimmungen zu kümmern. 1851 stellte Oberforstmeister v. Steffens fest, daß »unberechenbare Nachteile durch das Streurechen, das Abmähen und Abplaggen der Heide, wie solches jetzt noch durch die ganze Eifel stattfindet, (für den Wald) herbeigeführt worden« seien.

Kampf um das Laubstreusammeln

1870 begannen in der Vulkaneifel die entscheidenden Jahre im Kampf um die Abschaffung des Laubstreusammelns. Die Konfrontation zwischen der Bevölkerung und vor allem der Bezirksregierung Trier wurde so hart, daß sich auch der Oberpräsident der Rheinprovinz ihr nicht entziehen konnte. Der glücklicherweise noch erhaltene ungeheure Schriftverkehr gibt über ein anderthalbes Jahrzehnt Eifeler Forst- und Landwirtschaftsgeschichte Auskunft, in dem schlechte landwirtschaftliche Ernten die Bevölkerung wieder einmal vielerorts in tiefe Armut gestürzt hatten und in dem die Waldnebennutzungen in den Mittelpunkt kommunaler Waldwirtschaft gerückt wurden.

Während auf der einen Seite die Forstbeamten an der königlichen Regierung in Trier (forsttechnische Oberaufsichtsbehörde) eisern bemüht waren, die schädliche Streunutzung endlich auch in der Eifel aus dem Wald zu verbannen, und auf der anderen Seite die Landbevölkerung der Vulkaneifel bei ihrer Notlage verbissen auf die Streuentnahme aus dem Wald pochte, stand der kommunale Oberförster von Daun zwischen diesen Fronten. Er war sich zwar der Schädlichkeit der Streuentnahme aus dem Wald ebenfalls voll bewußt, er kannte aber die Notlage der Bevölkerung, er lebte ja täglich mit ihr, und konnte daher die harte Haltung der Regierung nicht einnehmen.

Die Konfrontation wächst

Die Abgabe von Streulaub und Heide aus dem Wald erfolgte mittlerweile — ab 1870 — nur noch von Fall zu Fall aufgrund von Anträgen, die nach Prüfung der besonderen Verhältnisse der Regierungspräsident zu genehmigen hatte. 1871 verfügte der Regierungspräsident von Trier wegen der bisherigen starken Streuabgabe aus vielen Gemeindewaldungen seines Bezirks, diese generell eine längere Zeit mit der Streuentnahme zu verschonen bzw. die Streuabgabe nur auf das unabweisbarste Bedürfnis zu beschränken.

Im Jahre 1875 sah sich dann aber der Kommunaloberförster von Daun veranlaßt, für eine umfangreiche Streuabgabe an die arme Landbevölkerung einzutreten. In einem Brief an die Bezirksregierung Trier schrieb er: »Durch den großen Futtermangel ist das Stroh großenteils gefüttert worden und dadurch allenthalben ein so großer Streumangel eingetreten, daß, wenn aus den Waldungen keine Streu abgegeben wird, diese vor Frevel nicht mehr zu schützen sind.«

In ihrem Antwortschreiben stellte die Bezirksregierung Trier zunächst einmal fest, daß ein Grund des Streumangels darin zu suchen sei, daß die Ställe überfüllt, die Bauern wegen der mäßigen Preise aber nicht bereit seien, ihr Vieh zu verkaufen. Weiterhin steckte sie ihre Position im Streit um die Waldstreunutzung klar ab: Streuabgabe auf Antrag nur in den äußersten Notfällen, Laubabgabe nur dann, wenn kein alternatives Streumittel zur Verfügung stand. Die Zahl der Anträge auf Streunutzung aus dem Wald war Mitte der 70er Jahre ungeheuer hoch, von den vielen Gemeinden der kommunalen Oberförsterei Daun war wohl keine dabei, die sich in der Lage sah, auf solche Anträge zu verzichten. Besonders bemerkenswert erscheint ein Antrag aus der Bürgermeisterei Gillenfeld von 1875, wo — wie fast überall — nach dem dürren Sommer 1874 wenig Heu geerntet worden war und wegen Futtermangel das vorhandene Stroh zur Durchwinterung des Viehs verfüttert werden mußte und selbst dieses noch nicht einmal als Futtermittel ausreichte. So schrieb die Gemeinde am 4. März, daß bis zur nächsten Kornernte absolut keine Streu mehr vorhanden und dies für den Bauer eine große Plage sei, »denn hat der Bauer keine Streu, so bekommt er keinen Dünger, fehlt es am Dünger, so hat er nur weniges aus seinem Acker zu erwarten«,

Ähnliche Klagen kamen auch aus anderen Gemeinden. Sämtliches Stroh, nicht nur das übliche Hafer-, sondern auch das Roggenstroh, mußte verfüttert werden. Geld, um Kunstdünger zu kaufen, war nicht vorhanden. So erbat z. B. die Gemeinde Uedersdorf die Erlaubnis zur Streunutzung, »um dem Ruin der Ackerwirtschaft, wovon die hiesigen Einwohner stets leben mußten, zu entgehen«. Aus allen über 80jährigen Waldbeständen dieser Gemeinde war in den vergangenen Jahren immer wieder sämtliches Laub entfernt worden, so daß zur Schonung dieser Bestände nun auf Fürsprache des Gemeinde-Oberförsters das Laubscharren in den 50- bis 80jährigen Buchenstangenhölzern genehmigt wurde. Jeder Bauer erhielt daraus an einem bestimmten Tag einen Wagen dürres Laub.

Insgesamt läßt sich für das Jahr 1875 feststellen, daß fast alle Erstanträge auf Laubentnahme von der königlichen Regierung in Trier — wenn auch widerstrebend — genehmigt wurden und an eine Regeneration des Waldbodens in der Vulkaneifel noch nicht zu denken war. Leider war die Getreideernte 1875 wieder nicht sehr reichhaltig gewesen, so daß sich für 1876 dieselbe Situation erneut ergab. Aus allen Gemeinden gingen wieder die Anträge auf Waldstreunutzung ein. Die Nutzung der Waldstreu wurde, wie vor Jahrzehnten, vielfach noch als eine H a u p t n u t z u n g des Gemeindewaldes angesehen.

Streumangel führte zu Laubfrevel

An der Regierung in Trier aber hatte man sich ernsthaft vorgenommen, jetzt auch in der rückständigen Vulkaneifel die Waldstreunutzung endgültig abzuschaffen. So hieß es u. a.: »Die äußerst schädlichen Entnahmen von Laubstreu aus den Waldungen, welche sich leider bereits in sehr vielen Gemeindewaldungen des diesseitigen Bezirkes bemerkbar machen, gestattet es nicht länger, daß in der früher üblichen Weise alljährlich ganze Distrikte zur Laubentnahme geöffnet werden können, da derartige fortgesetzte Laubentnahmen in kurzer Zeit die Gemeindewaldungen vollständig devastieren« würden. Die Gemeindemitglieder sollten immer wieder belehrt werden, daß der Wald, ohne devastiert zu werden, nicht immer wieder Laub abgeben könne.« Daher könnte: »für die Folge auf eine jährlich wiederkehrende Entnahme von Laubstreu in den Gemeindewaldungen nicht gerechnet werden«.

Nach einer Eingabe des Landrats hatte die Bezirksregierung schließlich das Sammeln von Laub aus Gräben, Wasserläufen u. ä. erlaubt, was dann zu der grotesken Situation geführt hatte, daß z. B. in einer Gemeinde der Bürgermeisterei Gillenfeld ganze 2 Wagenladungen zusammengekommen waren, die dann öffentlich versteigert wurden. Ähnlich ging es in anderen Gemeinden zu. »Daher waren die Bauern«, so geht aus einem Brief des Landrats hervor, »gezwungen gewesen, Laub zu freveln. Daß dies auch tatsächlich in großem Umfang geschehen ist, zeigen die vielen Waldfrevelprotokolle, welche verhandelt worden sind. Allein in den letzten Tagen waren es am Polizeigericht zu Daun 50, in Hillesheim auch nicht weniger.« Nach seiner Ansicht lag es nicht mehr in der Hand der Forstschutzbeamten, den Wald zu schützen, auch wenn die Zahl verdoppelt würde.

Der Landrat bestritt nicht, daß der Wald früher bezüglich der Laubentnahme mißbraucht worden sei und diesem Mißbrauch entgegengewirkt werden müsse, aber der Übergang zu einem System, wo das Laub nur noch gering oder gar nicht mehr abgegeben wurde, während die Streunot der Bauern groß war, hielt er für zu schroff und mit den Interessen der Landwirte unvereinbar. Nach einer langen Trockenheit und Hitze war eine schlechte Heuernte zu erwarten, das Stroh mußte im Winter wieder als Futter dienen und eine erneute Streunot war auch für das nächste Jahr zu erwarten. Daher bat der Landrat die königliche Regierung, eine reichliche Laubentnahme zu gestatten.

Nach der Ansicht der Regierung konnte der Schaden, der alljährlich dem Wald zugefügt wurde, im entferntesten nicht durch den ganz unbedeutenden Vorteil, der hier dem Einzelnen gewährt wurde, aufgewogen werden. Weiterhin kamen nach ihrer Meinung in der Eifel nie so gute Erntejahre vor, daß der viel zu hohe Viehbestand problemlos gehalten werden konnte. »Es bleibt daher«, so lautete das konsequente Fazit Triers, »unseres Erachtens nur übrig, daß die Eifelbewohner sich in ihrer Wirtschaft im Hinblick auf diesen Umstand einzurichten suchen, damit sie nicht alle Jahre mit Ansprüchen an den Wald hervortreten.«

Dies war bei der tatsächlich schwierigen wirtschaftlichen Lage der Bevölkerung im Moment noch leichter gesagt als getan. Die Reaktion auf die harte Haltung der Regierung in Triererfolgte auch prompt. Verschiedene Gemeinden wandten sich direkt an den Oberpräsidenten in Koblenz und baten ihn, die Entscheidung Triers zu korrigieren. U. a. schrieben sie: »... und ist doch immer anzunehmen, daß der Wald für die Einwohner und nicht die Einwohner für den Wald hier sind«. Dieser Satz drückte die Grundauffassung fast aller Vulkaneifelgemeinden aus. Der Oberpräsident der Rheinprovinz stimmte aber zur großen Enttäuschung der Gemeinden der Linie Triers zu.

Heide, Moos und Ginster als Streugut

Im Spätsommer und Frühherbst 1876 stellten fast alle Gemeinden der kommunalen Oberförsterei Daun, von Hillesheim über Dockweiler bis Schalkenmehren und Gillenfeld, Anträge auf Streunutzung. Viele beschränkten ihren Antrag aber auf Heide-, Moos- und Ginsterausgabe. Anträge auf Laubstreuentnahme wurden nur noch in wenigen Fällen genehmigt. Mit ihrer harten Haltung hatte die königliche Regierung einen großen Erfolg errungen. Indem sich viele Gemeinden freiwillig von der Laubentnahme abwandten und sich ganz auf Heide- und ähnliche Streumittel einstellten, war der erste Durchbruch erreicht, ohne daß damit der Kampf aufgehört hätte.

1877 existierte in der Vulkaneifel wieder einmal oder besser gesagt weiterhin großer Futter- und Streumangel. Eine fast ausschließlich Ackerbau und Viehzucht treibende Gemeinde wie Gerolstein litt ihrer Ansicht nach besonders unter der drückenden Futter- und Streunot. Heideentnahmen wurden generell genehmigt, Laubabgaben nur noch in Traglasten. Im weiteren Verlauf des Jahres begann die Streunot dann zu eskalieren. In Hillesheim »herrschte im Mai ein Streumangel, wie er noch nie dagewesen«.

In Manderscheid sah es ähnlich aus. Im Juni wandte sich die dortige Gemeinde mit einer Bittschrift an den Regierungspräsidenten in Trier, in der sie die erbärmlichen Zustände in Manderscheid zum Ausdruck brachte. Hier war die Streunot so groß, daß einzelne »vermögende« Bürger an zwei, drei Stunden weit entfernten Stellen Streu zu hohen Preisen kauften. Es mußten mehrere Tage Arbeit im heimische Betrieb versäumt werden, um wenige Wagen Streu nach Hause zu bringen. Die ärmeren Bürger konnten sich kein Streumaterial kaufen. Die Armut war so groß, daß nicht einmal die »Begüterten« genügend Geld besaßen, um sich ausreichend Brot und Kartoffeln zu kaufen. Wenn die Regierung sich in anderen Fällen auch nicht erweichen ließ und nur Heide als Streu genehmigte, so konnte sie im Anblick der geschilderten Verhältnissen in Manderscheid dieser Gemeinde doch die Laubentnahme aus ihrem Gemeindewald nicht versagen, obwohl Alter, Boden und Lage ungeeignet waren. Man sah dies aber als letzte große Ausnahme an. »Wir müssen erwarten, daß die Anträge auf Streulaubentnahme aus den Gemeindewaldungen nunmehr ihr Ende erhalten werden«, wurde betont.

Heide wurde zum Handelsgut

Aber wieder kam es anders, als die Forstleute an der Trierer Regierung es sich vorgestellt hatten. Am 25. Juni 1877 bereiste der Regierungspräsident von Wolf — wohl durch die große Not veranlaßt — den Kreis Daun. Im Angesicht der tatsächlich elenden Lage vieler Gemeinden genehmigte er spontan eine Reihe von Streunachweisungen, und zwar Laubabgaben, wo die Gemeinden keine genügend großen Heideflächen besaßen. So seltsam es auch klingt, durch die walderhaltende Politik Triers waren die an sich unproduktiven Heideflächen in den letzten Jahren immer mehr zu einem scheinbar unverzichtbaren Bestandteil der Allmende geworden, ja sogar mitunter zu einem echten Kapital. Dies war ein Grund, warum in manchen Gebieten die Heideaufforstung hartnäckig hintertrieben wurde. Gemeinden mit großen Heideflächen entfalteten einen lebhaften Handel mit ihrer überflüssigen Streu. So verkauften die Gemeinden der Struth ihre massenhaft vorhandene Heide, die sogenannte Strutheide, an Gemeinden, die keine oder nicht genügend besaßen.

Allmählich zeigten sich zwar Anzeichen einer Besserung der wirtschaftlichen Lage der Eifelbewohner, durch die schlechte Ernte des Jahres 1879 herrschte 1880 aber erneut ein großer Futter- und Streumangel, der den Kreistag veranlaßte, von der Regierung in Trier eine generelle Genehmigung zur Streuentnahme aus dem Wald zu verlangen. Die Bezirksregierung lehnte diese Forderung aber ab. Ausdrücklich wurde festgestellt, daß quasi aus keinem anderen Gebiet des Bezirks noch Anträge auf Waldstreunutzung gestellt würden als aus dem Eifelkreis Daun.

1880 wurde wieder eine Unmenge an Streunutzungsanträgen gestellt, aber die Verlautbarung Triers, unter keinen Umständen eine Laubentnahme zu gestatten, hatte so gewirkt, daß sich alle Anträge ausnahmslos auf alternative Streumaterialien bezogen wie Heide, Heidelbeere, Moos und Farn.

Abkehr von der Laubstreu

Wenn man von einigen heimlichen Entnahmen und auch späterhin noch erfolgten Ausnahmegenehmigungen absieht, war in der Vulkaneifel die Abkehr von der Laubstreu erreicht. Das erste große Ziel der Forstleute an der Regierung in Trier, um das sie viele Jahre hart gekämpft hatten, war erreicht. Als nächstes wollte man aber auch die Heide-, Moos- und Farnentnahme aus dem Wald eindämmen bzw. möglichst ganz beenden. Eine vollständige Eindämmung der alternativen Streumittelentnahmen aus dem Wald war aber auch bis zur Jahrhundertwende noch nicht durchzusetzen. Der Verzicht auf die Heide als Einstreu konnte deshalb noch nicht erfolgen, weil selbst in den 90er Jahren nach einer schlechten Ernte manche ärmeren Bewohner der Vulkaneifel gezwungen waren, B r o t s c h u l d e n zu machen und an einen Kauf von Kunstdünger nicht denken konnten. Die Getreidestroherzeugung reichte auch um 1910 nicht zur vollständigen Deckung des Streubedarfs aus, aber man darf davon ausgehen, daß zu dieser Zeit in den meisten Gemeinden die noch vorhandenen Heideflächen ausreichten, um das Defizit zu decken, und der Wald so vor der Streuentnahme bewahrt werden konnte.

 

Laubwald in der Vulkaneifel in Verjüngung. Die im Foto gezeigte schöne Buchennaturverjüngung mit Eichenüberhältern stammt aus dem Gemeindewald Pelm. Schuld daran, daß viele Buchenbestände der Fichte weichen mußten, besaß neben anderen Faktoren die über lange Zeit intensiv ausgeübte Laubstreunutzung, die den Waldboden durch ständigen Nährstoffentzug vielfach erheblich verarmen ließ.

Das strenge Abhängigkeitsverhältnis der Rindviehzucht und der Düngererzeugung von anderen Einstreumitteln als Stroh konnte erst mit der Hebung der Landwirtschaft in der Eifel gelöst werden, die etwa ab Mitte der 70er Jahre begann. Zwischen 1876 und 1906 sind über zwei Mio. Mark an Beihilfen zur Verbesserung der Landwirtschaft gezahlt worden, die für Dränagen, Wiesenbe- und -entwässerungsanlagen, Grundstückszusammenlegungen, Feldgras- und Viehweideanlagen usw. ausgegeben wurden und an denen die Kreise Daun, Prüm und Adenau am stärksten partizipierten.

Erfolg der Forstbeamten

Mit dieser Entwicklung verlor der Wald der Vulkaneifel endgültig seine Funktion als Streulieferant, die von der Bevölkerung im 19. Jahrhundert lange Zeit als einer seiner Hauptfunktionen angesehen wurde. Es muß als großer Erfolg der Forstbeamten der königlichen Regierung in Trier angesehen werden, daß sie die Abkehr von der Laubstreuentnahme bereits Ende der 70er Jahre, also zu Beginn der landwirtschaftlichen Hebung der Vulkaneifel, erreichten. Bis dahin war über viele Jahrzehnte das Laub aus dem Wald weggefahren worden, wie es abgefallen war. Aber auch die Heidenutzung, besonders in Form von Plaggenentnahme, hatte stellenweise erheblich zu dem Produktivitätsrückgang des Waldbodens beigetragen, wie er sich Ende des vergangenen Jahrhunderts zeigte.

Obwohl die bäuerliche Bevölkerung der Vulkaneifel der Abschaffung der Laubstreunutzung einen erbitterten Widerstand entgegensetzte, erscheint es nicht gerechtfertigt, sie deshalb als besonders waldfeindlich zu verurteilen. In einem Gebiet oft grenzenloser Armut mußte den Einwohnern jedes Mittel recht sein, ihre wirtschaftliche Lage so zu gestalten, daß sie wenigstens das Überleben garantierte. Wer das nicht schaffte, dem blieb nur die Auswanderung übrig.

Auf der anderen Seite muß man aber auch verstehen, daß die Umwandlung von Laub- in anspruchslosere Nadelholzbestände aufgrund der tief abgesunkenen Bodenkraft vielfach eine zwingende Notwendigkeit war, die einzige Möglichkeit, in absehbarer Zeit wieder einen produktiven Wald aufbauen zu können und keine willkürliche Maßnahme laubholzfeindlicher Forstleute.

Die ständige Wiederkehr der Streuentnahme hatte beim Laubholz in vielen Fällen zu beträchtlichen Wuchsdepressionen geführt. Noch heute zeugen in der Vulkaneifel in ihren Ertragsklassen erheblich gedrückte ältere Laubholzbestände von solchen ehemaligen Wuchsdepressionen. Diese Bestände bilden die letzte Erinnerung an die Laubstreunutzung, eine sehr schädliche, in der Vulkaneifel aber lange Zeit unentbehrliche Nutzungsform des Waldes.

Literatur:

Bertram, M., 1 91 4: Die Gemeindeländereien in der Eitel. Merseburg

Brinkmann, T., 1 91 3: Aus dem Wirtschaftsleben der Eifelbauern. In »Eifelfestschrift«, S. 313 - 391. Bonn

Ellenberg, H., 1978: Vegetation Mitteleuropas milden Alpen. Stuttgart

Linz, L., 1 821 : Die Grenze zwischen der Feld- und Waldkultur. Bonn

Schwind, W., 1983: Der Wald der Vulkaneifel in Geschichte und Gegenwart. Dissertation Göttingen

Die ausgewerteten Quellen stammen aus dem Landeshauptarchiv Koblenz (Hr/13, 1828, 29A/201, 403/ 9329, 442/4544, 442/ 10734) und dem Hauptstaatsarchiv Düsseldorf (Mand.-Blankenheim Nr. 17).