»Damit der Baum noch Hoffnung hat«

Eine franziskanische Sicht vom Leben der Natur

 P. Dr. Herbert Schneider (OFM), Düsseldorf

Die Eifel ist noch ein Land der Bäume und Wälder. Sie machen einen wichtigen Reiz der Landschaft aus. Aber auch ein Eifelkreis muß heute um den Bestand der Bäume und Wälder besorgt sein. Ohne Kultur und Schutz des Waldes wäre mancher Baum bedroht. Als Franziskaner aus Dockweiler, der die Vulkaneifel als seine Heimat mit ihren Bergen und Flüssen, mit ihren Wiesen und Wäldern liebt, stellen sich mir einige Gedanken von unserem Ordensgründer, dem heiligen Franziskus von Assisi, dazu ein.

Franziskus von Assisi (1181 - 1226) ist wegen seiner Naturverbundenheit bekannt. Am 29. November 1979 wurde er von Papst Johannes Paul II. zum »himmlischen Patron des Natur- und Umweltschutzes« erklärt. Ostern 1980 verkündete es der Papst öffentlich. Nicht um eine einseitige Verherrlichung der Natur geht es, sondern um Tieferes: um ein neues Verständnis des Menschen von sich selbst im Umgang mit der Natur. Nehmen wir als Beispiel die Bäume. Eine Geschichte aus dem Leben des heiligen Franziskus von Assisi berichtet: »Wenn die Brüder Bäume fällten, verbot er ihnen, den Baum ganz unten abzuhauen, damit er noch Hoffnung habe, wieder zu sprossen. (Thomas von Celano, Leben des hl. Franziskus, Buch II, Nr. 165)

»Den Bruder, der das Brennholz beschaffte, bat er, nie einen ganzen Baum zu fällen, sondern stets einen Teil des Baumes unversehrt zu lassen, aus Liebe zu dem, der unser Heil am Holz des Kreuzes erwirken wollte« (Spiegel der Vollkommenheit, 11. Buch)

Der Baum im Dienst der Menschen

Aus franziskanischer Sicht werden Natur- und Umweltschutz nicht einseitig gesehen. Der Mensch darf einen Baum fällen, er darf ihn verbrennen, damit er dem Menschen Wärme liefert. Für Franziskus von Assisi gibt es keine verstiegene Naturromantik. Vielmehr steht die Natur im Dienst des Menschen. Damit ist aber noch nicht geklärt, in welcher Weise sich der Mensch einen Baum in Dienst nehmen soll. Soviel können wir sagen: Um dem Menschen das Leben zu schützen und zu erhalten.

Darf der Baum auch industriell verwertet werden? Diese Frage kann man zunächst sicherlich mit ja beantworten. Wo liegt aber die Grenze der Indienstnahme der Natur, die nicht überschritten werden sollte? Von Franziskus her ergibt sich als Antwort: Wo der Mensch sich nicht mehr als Bruder versteht und daher sich dann auch nicht mehr »brüderlich« gegenüber der Natur verhält. Dieses Verhalten meint eine sensible und liebevolle Hinwendung zur Natur aus dem Bewußtsein heraus, daß jeder Baum und jeder Ast nicht irgendein Ding ist, sondern ein Geschöpf Gottes. Der Baum ist nicht lediglich Stoff, sondern Geschöpf und Leben. Wenn es wirklich ein »brüderliches« Verhältnis zu aller Kreatur gibt, dann dürfen wir sie nicht so in Dienst nehmen, daß wir sie gefährden oder vernichten.

Aus diesem Verhalten heraus werden wir unsere Stellung in der Welt überdenken. Wird eine bestimmte Grenze im Umgang mit der Natur überschritten, dann schaden wir dem Baum, wir schaden aber auch uns selbst. Wird der Baum nur noch als ein Verbrauchsgegenstand gesehen, dann gehe ich nur noch mit kommerziellen Gesichtspunkten an die Wälder heran und frage mich, wie sie günstig vermarktet werden können. Ein Baum ist dann auch leicht nur ein Wegwerfgegenstand, er verliert an Wert und Eigenbedeutung. Nur im Verzicht auf die totale Herrschaft und Ausbeutung der Natur bleiben uns die Wälder als unser Lebensraum erhalten.

Demgegenüber weckt der alte Spruch ein positives Bemühen in uns:

»Auf jeden Raum pflanz' einen Baum und pflege sein, er bringt dir's ein«

Versteht der Mensch sich so, dann ist er nicht Ausbeuter, sondern Hüter der Natur. Der Mensch geht nicht brutal auf die Natur zu, wenn er anerkennt, daß sie Geschöpf Gottes ist so wie er selbst. Erst dann gewinnt der Mensch ein anderes, alternatives Verhältnis zur Natur, nämlich einen »brüderlichen« Umgang mit ihr. Dem Wald und ihm selbst bleibt so die erforderliche Harmonie belassen, die sie für ihr Leben brauchen. Für Franziskus von Assisi ist der Mensch ein Freund und Bruder, nicht Ausbeuter und Besitzer der Natur.

Der Baum soll wieder sprossen

Wir werden uns schnell darüber verständigen, daß der Schutz, mitunter sogar die Rettung der Bäume notwendig sind. Dieses Nützlichkeitsdenken sagt uns, daß der Umweltschutz um unseres Überlebens willen erfolgen muß. Ein franziskanisch gesinnter Mensch wird sich von Franziskus her mit ganzem Herzen diesem Anliegen zuwenden; und doch hat er eine andere Begründung: Das Leben des Baumes hat in sich selbst Wert. Wenn ein Baum gefällt wird, muß wieder ein Zweig aus dem Stamm wachsen können! Der Baum wird nicht lediglich unter dem Blickwinkel betrachtet, welchen Nutzen er für den Menschen darstellt, sondern welchen Lebenswert er in sich selbst hat. Daher soll jeder Baum, mag er noch so sehr in den Dienst des Menschen genommen werden, noch Hoffnung haben.

Dies ist die lebensrettende und regenerative Umwelteinstellung aus franziskanischem Geist. Der Baum hat einen Wert in sich, frei von jeder Nützlichkeitserwägung des Menschen. Daher muß ihm immer wieder Hoffnung ermöglicht werden. Diese regenerative Sicht ist heute sogar dringend erforderlich. Luftverschmutzung, Vergiftung des Wassers durch Abfälle, übermäßige technische Zerstörungen lassen dem Wald auf die Dauer keine Hoffnung mehr, wenn sich unsere Einstellung nicht ändert. Wo rücksichtsloser Kahlschlag zugunsten von immer mehr Verkehrsstraßen, wo Ausdehnung von Übungsplätzen und Deponien, wo Versteppung der Eifelhöhen zugelassen wird, dort hat selbst ein Baum, dem man noch durch einen Zweig Hoffnung gelassen hat, keine Chance mehr. Die regenerative Sicht ist heute eine Frage nach dem Gleichgewicht der Naturkreisläufe und damit des Klimas geworden. Die Ökologie, der Haushalt des Lebens, ist dann bedroht. Oberstes Gebot müßte die möglichst geringe Veränderung der natürlichen Abläufe sein.

Allerdings kann der Mensch gestaltend in den Wald eingreifen und Bäume fällen, um den Wald auch gesund zu erhalten. Der Mensch wird den kranken Baum retten oder entfernen und somit Raum und Licht geben. Das entspricht dem Kulturauftrag des Menschen. Wir können auf den Wald also nur soweit zugehen, wie sein Leben nicht zerstört bzw. sein ökologisches Gleichgewicht nicht angetastet wird. Daher gewinnt der Mensch dann eine positive Sicht im Umgang mit jedem Baum im Wald, wenn er diese Sicht des Lebens hat: daß der Baum noch Hoffnung habe. Überdies ist es für Franziskus bezeichnend, daß er jeden einzelnen Baum sehen will und nicht lediglich den Wald. Es gibt keinen unwichtigen Baum. Jeder Baum und damit jede Kreatur zählt.

Der Baum

als Symbol des Kreuzes

Die konkrete und zugleich auch uns heute anregende Art, wie Franziskus von Assisi vom Baume spricht, läßt uns verblüfft sein, wenn wir bedenken, wie er zu diesen Gedanken kommt: Weil ein Baum ihn an das Holz erinnert, aus dem das Kreuz gemacht wurde. An einem Baum geschah das Sterben Christi und die Erlösung des Menschen und mit ihm jeder Kreatur. Darum soll jeder Baum Symbol des Kreuzes sein können. Der Baum erinnert an das Kreuz, daher ist er wertvoll und muß er erhalten bleiben. Diese vom Glauben herkommende Sicht ist überall bei Franziskus anzutreffen. Sie verändert seine Einstellung zur Natur, beflügelt ihn zu einem neuen, schöpferischen Verhalten.

Franziskus nimmt das Evangelium direkt und ohne Umschweife ernst. Vom Geschehen Christi her, wie es im Evangelium geschildert wird, denkt er auf die Menschen und auf die Natur, wie hier auf die Bäume, hin. Vom Heilsgeschehen in Christus, in das die Natur durch die Holzesbalken des Kreuzes einbezogen ist, gewinnt die Natur einen vertieften Stellenwert für den Menschen: Sie wird dem Menschen transparent auf das Kreuz und auf das neue Leben, das Christus am Kreuz gewinnt. Wenn wir also einen Baum sehen, so hat der Blick auf das Leben Vorrang. Die Glaubenssicht wird hier zugleich zur Möglichkeit, die Natur neu zu verstehen. Wenn der Mensch sich ändert und diese Sicht sich zu eigen macht, dann hat die Natur eine neue Chance beim Menschen.

Der Baum gibt Heimat

Bei Franziskus bahnte sich an, was wir als neue, heile Welt erstreben: Friede mit der Natur, Wiederentdeckung ihrer lebendigen Fülle, Achtung vor ihrer Eigenart, tieferes Verstehen aus dem Glauben. Die Welt der Wiesen, Felder und Bäume wird wieder zur Heimat des Menschen. Ein verunstalteter und entstalteter Wald wirkt bedrückend und zerstörend auf die Seele des Menschen. Er deutet nur noch Chaos an, er ist nicht mehr transparent auf mehr Leben und Hoffnung. Ein derartiger Wald ist wie eine offene Wunde, die nicht heilen kann.

Offensichtlich muß der Mensch sich wieder eine religiöse Einstellung aneignen, wenn er der Natur und sich selbst wieder den Stellenwert geben will, der ihnen eigentlich gebührt: verdanktes, eigenständiges und im letzten unantastbares Leben.

Abschließend mögen wir festhalten: Gehen wir mit Franziskus von Assisi den brüderlichen Weg in der Indienstnahme der Natur, im Lebenlassen der Natur aus Hoffnung, im Schauen auf die Natur aus dem Glauben heraus, dann kehrt, wie Franziskus immer wieder sagt, Friede ein. Der Mensch gewinnt Frieden mit der Natur, weil er Frieden in sich selbst hat, und er hat Frieden in sich selbst, weil er von Gott her denkt und sich verhält.