DER KULTUR VERPFLICHTET

Weiter Raum für kulturelles Engagement im Landkreis Daun

Landrat Karl-Adolf Orth, Daun

 

Es gibt dem Fortschritt unserer Tage einen Zug von Menschlichkeit, wenn wir die Zukunft im bewußten Rückgriff auf die bewährten Erfahrungen der Vergangenheit aufbauen. So ist es mehr als eine Kulturkosmetik für unseren Landkreis, daß gerade vor ein paar Monaten aus der Reihe »Kunstdenkmäler der Rheinprovinz« der Band »Kreis Daun« neu herausgegeben wurde. Es fällt auf: »Der Wackenroder«, wie dieses Buch bei uns ehrfürchtig-salopp genannt wird, erschien im Landkreis Daun 1928. Das war eine Zeit, in der die bäuerlichen und auch die mittleren Industrie- und Handwerksbetriebe durch die der Inflation nachfolgenden Wirtschaftskrisen dem Stillstand nahe waren. Da konnte mancher denken: Kultur — wem nützt sie eigentlich? Ähnlich ergeht es uns heute. Hätten wir nicht wichtigere Dinge zu tun und Zuschüsse für Gemeinschaftsausgaben und für den sozialen Bereich zu geben als für das, was man Kultur nennt?

Universalität der Kultur

Vielleicht sollten wir uns einmal dem Begriff Kultur zuwenden, dem Wort, das jeder, der auf sich hält, gebraucht, manchmal damit angibt, aber doch meist nur einen Teilbereich meint. Das Wort Kultur im eigentlichen Sinne kommt vom lateinischen Colere: bebauen, pflegen, hegen, veredeln. Dies bezieht sich aber ausschließlich auf Naturvorgänge. So finden wir diesen Begriff heute noch bei der Bezeichnung Kulturamt.

Das in der deutschen Sprache gebrauchte Wort Kultur meint mehr. Die vom Menschen bestimmten Weisen der Veränderung und Gestaltung der Um- und Mitwelt. Und da der erste Kulturauftrag dem Menschen im Paradies gegeben wurde, »erfüllet die Erde und machet sie euch untertan«, vollziehen sich Kulturen immer neu in der Begegnung von Mensch und Welt. Die daraus erwachsenden Aufgaben sind uns auch für die Zukunft aufgetragen.

Doch zurück in unsere Geschichte. Eine der ersten Eifelbeschreibungen hat uns Sebastian Münster in seiner Cosmographie im 16. Jahrhundert gegeben. Er schildert die Natur unserer Eifel »waldig, rauh, schrecklich bei Frost, geschüttelt von Stürmen und Regenfällen, dennoch nicht ohne Reize infolge ihrer Flüsse und ihrer heilsamen Quellen«. Er sagt aber auch: »An einigen Stellen erfreut sie (die Eifel) sich veredelter Bodenpflege, wie man denn auch mancherorts geschmackvolle und gepflegte Gärten sehen kann (etwa bei Gerolstein).«

Eigenständigkeit bewahren

In den 60er Jahren ging das Wort vom Ausverkauf der Eifel durch die Presse. Es ist ein Phänomen, daß in den reicheren Gegenden der Bundesländer man weniger Veranlassung sah, alte Gegenstände, Hausfronten und ganze Häuser durch moderne zu ersetzen. Die Bewohner dieser Gebiete wußten um ihre Kultur und um ihren Wert. Die Menschen in ärmeren Gegenden und vor allem in »preußisch Sibirien« schämten sich ihrer Armut und wollten mit der Umgebung, die diese Armut verkörperte, nichts mehr zu tun haben. Man trennte sich leichter von alten Möbeln, vom Hausrat und — was sehr schade ist—man gestaltete die Hausfronten um, gab ihnen große Fenster, Metalltüren. Die schönen Scheunentore mit ihren Bogen wurden begradigt. Es ist darüber schon viel geschrieben worden, aber das ist nicht tief genug ins Bewußtsein unserer Bevölkerung eingedrungen. Ich glaube, keine Zeit eignet sich besser, unsere Verpflichtung für die Zukunft deutlich zu machen, als die unsere, da wir prüfen, daß der Fortschritt und das Wachstum Grenzen haben.

Ein hervorragendes Erlebnis des Jahres 1983 war die Wanderung von Bundespräsident Prof. Dr. Karl Carstens durch die Maarlandschaft Daun-Manderscheid. Auf dem Dauner Marktplatz unterstrich der Bundespräsident vor allem den Wert des Wanderns und der heimatlichen Kulturpflege. Unser Schnappschuß zeigt links vom Bundespräsidenten Landrat Orth und Stadtbürgermeister Kettenhofen. Foto: Helmut Klassman.

 

Wir kennen alle die Realitäten unserer öffentlichen Haushalte. Trotzdem möchte ich darauf hinweisen, daß es neben den Krankenhäusern, dem notwendigen Straßenbau, den Schulen auch Kultur gibt: Das heißt volkskundliche und künstlerische Denkmäler, der Ausbau und die Einrichtung von Museen, von Archiven, Bildstellen und finanzielle Unterstützung von kulturellen Vereinen, wozu auch die Musik- und Gesangvereine zählen. Das sind aber Dinge, die manchem Bürger nebensächlich und nicht lebensnotwendig erscheinen. Die Zeit ist heute auch bei uns im Kreis Daun reif, den Bereich Kultur dahin zu rücken, wo er hingehört: in die Mitte des menschlichen Lebens.

Fragen der Zukunft

Eigentlich sind wir nun schon beim Ausblick in die Zukunft. Wir brauchen in unserem Landkreis denkende Menschen, die bewußt die Gestaltung unserer Heimat in einer menschlicheren Welt wollen und aufbaue/i. Wie wird es in den Eifeldörfern und in unseren kleinen Städten in der Zukunft weitergehen? Ist bei uns noch Platz für Kultur, für kulturelles Schaffen oder werden die berühmten Prioritäten wiederkommen, wenn unsere Kassen voller werden, nämlich der Ruf nach noch mehr und sogenannter Infrastruktur?

Wir müssen zwar unsere Gegenwart mit all ihren technischen Errungenschaften, die uns auch das tägliche Leben erleichtern, akzeptieren. Wir dürfen aber nicht der Versuchung erliegen, nur auf weiteren Fortschritt noch raffiniertere Techniken und auf wirtschaftliches Wachstum zu vertrauen.

Falsch wäre es aber auch, nur in klagende Nostalgie zu verfallen. Es reicht nicht, Gebrauchsgegenstände und auch Häuser nach altem Muster wieder nachzumachen ohne selbst im Ausdruck unserer Zeit schöpferisch tätig zu werden.

Wir müssen aus den Unterlassungen der Vergangenheit und aus den Fehlern der modernen Zeit lernen, neue Wege und Modelle zu suchen, auf Altem aufbauen, um unsere Zeit für eine menschlichere Zukunft zu rüsten.

Schöpferisch tätig werden

Lassen Sie mich das an einigen Beispielen aufzeigen. Zunächst ein Wort zu unseren Architekten, Planern und zu denen, die bauen wollen: Entwickeln Sie einen Eitler, bodenständigen Baustil. Dazu gehören viel Einfühlungsvermögen und Verbundenheit mit unserer Bevölkerung, aber auch mit unserer Natur, in die Form unserer Berge und Landschaftskulissen! Das alte Wagenrad im Garten, die Takenplatte an der Hausfront machen noch keinen landschaftsgebundenen Baustil. Nun, da der Kreis Daun nicht mehr ein Armenhaus der Bundesrepublik ist, sollte es möglich sein, Neues zu schaffen, das wert ist, in 70 Jahren unter Denkmalschutz gestellt zu werden. Die Aussage, daß dies alles eine Geldfrage ist, überzeugt mich nicht so recht.

Wir müssen auch von einer gewissen Phantasielosigkeit und Uniformität wegkommen.

Eines meiner persönlichen Steckenpferde ist das Anpflanzen von Bäumen und Baumalleen an modernen Straßen. Die Narben, die der Natur beim Straßenbau zwangsläufig geschlagen werden, müssen durch Bäume, vor allem durch Bäume, die bei uns daheim sind, geheilt werden. Das Wort Straßenbau wirkt heute auf manche wie ein rotes Tuch. Wir dürfen dieses aber nicht isoliert vom gesamten Leben in unserem Kreis sehen. Ohne modernen Straßenbau hätten wir unseren Wohlstand im Landkreis Daun nicht. Wenn Sie heute nach Italien oder Südfrankreich fahren, bewundern Sie als Zeichen südländischer Baukultur auch alte Brücken und Straßen aus der Römerzeit. Auch damals werden beim Bau zunächst Umweltschäden entstanden sein. Heute sind diese Werke in die Landschaft eingebunden und zählen zur Kultur. Allerdings müssen wir uns in der Tugend der Geduld üben. Ein Baum braucht seine Zeit zum Wachsen. Ihre Kinder werden sich aber daran erfreuen können.

Ich könnte mir auch vorstellen, daß an unseren neuen Straßen ab und zu ein Wegekreuz (gestaltet von einem heimischen Künstler oder Kunsthandwerker) aufgestellt wird, das an die Tradition alter Eifeler Wegekreuze anknüpft.

Humane Friedhofsgestaltung

Und: Es ist fünf Minuten vor zwölf, um der Vermarmorisierung unserer Friedhöfe Einhalt zu gebieten. Wir lesen bei Reisebeschreibungen unserer Dichter oft, daß sie in einer fremden Stadt oder in einem Dorf zunächst den Friedhof aufsuchten, weil dort etwas von der Geschichte der Bürger wiederzufinden ist, mehr als in Schlössern und Burgen. Die Namen auf den Kreuzen und Grabsteinen, die von christlicher Hoffnung künden und das mit heimischen Pflanzen bewachsene Grab lassen keinen Schauer und keine Düsterheit aufkommen.

Wie sieht es aber auf den neuen Friedhöfen aus? Ich stelle es mir sehr kalt vor, wenn Friedhöfe ein einziger Marmorboden werden. Sicher, es ist jedem freigestellt, die Gedenkstätten für seine Toten so zu gestalten wie er es will. Die Friedhofskultur ist keine Frage des Geldes, sondern der Humanität. Ich wage, mir unsere Friedhöfe der Zukunft so vorzustellen, daß eine Begrünung die Grabfelder bedeckt, falls die Pflege einzelner Gräber zu schwierig sein sollte. Unterschiedliche, gut gestaltete Grabkreuze könnten aber als ein persönliches Zeichen der Verbundenheit mit den Generationen aufgestellt werden.

Viel Platz für neue Kulturstätten

Wenn wir unsern Landkreis auch nicht zu einem Museum machen wollen, so brauchen wir aber doch einige Stätten, wo wir der Vergangenheit begegnen. Auch in der Zukunft wird es bei uns Platz für neue Kulturstätten geben. Uns schwebt vor, das alte Landratsamt in Daun zu einem solchen Museum zu gestalten. Der alte Bacchus stand früher in einem Vorgarten, von Holunder, Rotdorn und anderen heimischen Sträuchern umgeben. Das soll wieder so oder ähnlich werden.

Auch der modernen Kunst verschließen wir uns nicht. Wir haben in der Kreisverwaltung nicht nur dem Altmeister Fritz von Wille für einige Wochen mit seinen Bildern Heimatrecht gegeben, wir bieten auch unsern Künstlern, Heimatforschern und Kunsthandwerkern unsere Hallen an.

Ein wichtiger Partner für das kulturelle Leben sind die Kirchen. Der eingangs genannte Wakkenroder zeigt uns die Kostbarkeiten aus unserem Landkreis, die leider teilweise durch den Krieg und durch eine Reformierungswut zerstört worden sind. Wir haben aber noch viele Kostbarkeiten und Merkwürdigkeiten aus dem Reichtum unserer heimatlichen Geschichte, die wir erhalten wollen. Gemeinsam mit dem Bistumskonservator überlegen wir, alte Kirchen unter Schutz zu stellen, aber auch behutsam so zu erweitern oder den neuen liturgischen Gegebenheiten anzupassen, daß sowohl der sakrale Charakter mit der Bausubstanz aus alter Zeit und das neue liturgische Gefühl eine Einheit bilden. Wir erkennen dankbar an, daß die Kirchenräume auch für die kulturelle Arbeit der Vereine und Verbände geöffnet sind. Dadurch ist es unserer Bevölkerung möglich gemacht, in Räumen, in denen sie sich sowieso geistig zu Hause fühlt, auch Konzerte und Chöre zu hören oder vielleicht sogar das eine oder andere Laien- und Theaterspiel zu sehen.

Es gibt zwar immer wieder Rückschläge, die uns aber nicht entmutigen dürfen. Der Kreis der Bürger, die Konzerte besuchen, um innerlich bereichert zu werden, wird immer gering bleiben. Kammermusik z. B. ist leider nicht für jeden Bürger so attraktiv, daß er dafür viel Zeit und Geld opfert. Hier setzt aber eine wichtige Aufgabe unserer Musikschule ein, die unseren Jugendlichen nicht nur das Musizieren beibringen soll, sondern auch das Hören guter alter und moderner Musik. Die Vereine, die sich mit dem verpflichtenden Erbe abendländischer Musiktradition beschäftigen, sollen auch in Zukunft ihren Platz haben und unsere Unterstützung finden. Leichter haben es zur Zeit unsere Bands; sie haben ihren Platz aber gleichberechtigt neben den Kammermusikern und den Chören.

Es gab eine lange Zeit nach dem Krieg, da hat man Kulturarbeit mit dem Bau von Schulen und mit der Schulreform gleichgesetzt. Heute sehen wir gottlob den Kulturbegriff breiter, obschon nach wie vor die Schulen wichtige Kulturträger und -Vermittler sind. Nach den stürmischen Jahren der Reform müssen wir in der Zukunft wachsam bleiben und unsere Lehrpläne in allen Schularten mit Qualität füllen, den Schulen aber die notwendigen Lehr- und Lernmittel bewilligen.

Kulturschaffen anerkannt

Hoffentlich sind die Jahre der knappen Kassen so lehrreich, daß wir die Werte der Kultur in unserm Landkreis neu entdecken. Auch wenn wieder mehr Geld da sein sollte, muß nicht jedes Dorf seine eigene Schwimmhalle, seine Flutlichtanlage, seinen Tennisplatz und auch nicht sein Dorfgemeinschaftshaus haben. Aber auf kulturelles Leben wollen wir nicht verzichten. Denken wir auch an die Gestaltung eines Dorfplatzes. Er muß nicht unbedingt mit Verbundsteinen belegt sein. Für unsere Kinderbrauchen wir Wiesen, auf denen sie spielen und Blumen entdecken können. Wo aber ein Theaterverein arbeitet, sollte man ihm einen Saal schaffen, um aufzutreten; wo Gesang- und Musikvereine arbeiten, wollen wir helfen, daß sie entsprechende Räume bekommen. Zum breiten Gebiet unserer Kultur gehört auch der Sport mit seinen vielfältigen Zweigen. Ich kann Ihnen nur Anregungen geben. Der Landkreis wird den Ortsgemeinden, den Pfarreien, den Verbänden und Vereinen und auch dem einzelnen Bürger helfen, dem Auftrag, Kultur zu schaffen und zu erhalten, nachzukommen. Jeder von uns hat aber auch die Verpflichtung, einmal hinzugehen, wenn der Theaterverein spielt, der Musikverein sein Konzert gibt. Sie werden reicher nach Hause gehen, als wenn Sie den Abend vor dem Fernseher verbracht hätten.

Die Qualität unseres Lebens in unseren Ortsgemeinden steht und fällt nicht mit der Weite unserer Urlaubsreise, nicht mit dem neuen Auto vor oder dem Kühlschrank hinter der Haustür. Sie steht und fällt mit den kulturellen Ausdrucksmöglichkeiten unserer Zeit, angefangen von der Musik über die bildende Kunst, von der Pflege der Sprache und des Dialekts bis zur Erhaltung der alten Bausubstanz und der Schaffung von neuen, zeitgenössichen, aber originären Bauten der öffentlichen und der privaten Hand. Unsere Beispielstadt Hillesheim zeigt, was in einer Ortsgemeinde möglich ist. — Wir haben allen Grund zur Hoffnung.

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