Zeitbilder der Kreisgeschichte - Leopoldstraße 9

 

Fortsetzung der Portraits der Landräte des Kreises Daun

(Jahrbücher 1981/83) und des Zeitgeschehens von 1922 bis 1940

Nico Sastges, Daun-Neunkirchen

 

Landrat Dr. Varain

1922 bis 1923

Die Absetzung des verdienten Landrats Weismüller im Januar 1922 durch die Interalliierte Kommission warf dunkle Schatten auf die kommunale Entwicklung, die nach 1918 infolge der politischen Wirren der Nachkriegszeit nicht zur Entfaltung gelangte. Als im gleichen Monat Landrat Dr. Varain ins Landratsamt einzog, war zwar der Ausbau der Elektrizitätsversorgung durch die Kreisüberlandzentrale beschlossene Sache, aber es blieb dennoch auf allen Gebieten genügend zu tun, um die durch Besatzung und Kriegsfolgen krisenanfällige Wirtschaft in Fluß zu bringen.

Auf Anregung Dr. Varains stimmte der Kreistag 1922 der Einrichtung von zwei Kreisbrandmeisterstellen zu, um dadurch das Feuerlöschwesen zu fördern und die vorhandenen Hilfskräfte für den Notfall zusammenzufassen. Nicht zuletzt stand dabei auch der Gedanke Pate, das infolge der politischen Zwiespältigkeiten bis ins kleinste Dorf zerrüttete Gemeinschaftsleben neu zu beleben. Denn gerade unter den Feuerwehrmännern hatte sich ein gesunder Geist zur Nothilfe erhalten, der nun für das Gemeinschaftsleben schlechthin Bedeutung erlangte. Als um jene Zeit von Monat zu Monat neue Orte mit elektrischem Licht versorgt wurden, schlössen sich auch die bis dahin dem Anschluß an die Lichtversorgung noch skeptisch gegenüberstehenden Gemeinden der Überlandzentrale an. Doch es dauerte noch bis zum Ende der zwanziger Jahre, ehe das Energienetz im Kreisgebiet vollends ausgebaut war — und wir erinnern uns, daß erst nach dem Zweiten Weltkrieg der elektrische Strom bis zu den entlegenen Höfen in der Eifel vorgedrungen ist.

Zum Jahreswechsel 1923 standen am politischen Horizont Gewitterwolken. Es begann der Ruhrkampf, jene Zeit der Ausweisungen, in denen Denunziantentum seltene Blüten trieb und deutlich machte, welcher Wandel im bürgerlichen Denken durch die Kriegsfolgen eingetreten war.

Landrat Dr. Varain wurde Ende Januar von der französischen Besatzung bei Rückkehr von einer Dienstreise abends beim Bahnhof Dockweiler verhaftet und später zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Aus dem Kreise Daun wurden während des Ruhrkampfes insgesamt 498 Personen von der Besatzungsbehörde ausgewiesen und auf die rechte Rheinseite abgeschoben. Durch die Ruhraktion kam kein Geld mehr vom unbesetzten Gebiet in das Rheinland. Der Kreis Daun mußte deshalb, wie viele Körperschaften, Notgeld herausgeben. Kleinere Notgeldscheine hatte der Kreis bereits gegen Kriegsschluß 1918 herstellen lassen. Am 13. August 1923 wurde das erste größere Notgeld im Einzelbetrage von fünfhunderttausend Mark ausgegeben. Infolge der fortschreitenden Inflation folgten weitere Scheine über eine Billion bis zu 20 Billionen Mark. Millionen und Billionen wechselten und wanderten hin und her. Sie konnten nicht glücklich machen. Ihr Wert war gleich Null. Vielleicht standen deshalb so viele Nullen auf den Scheinen, täglich eine mehr. . .

Landrat Liessem

1924 bis 1933

Landrat Liessem amtierte in Daun von August 1924 bis März 1933. Nach der Währungsreform im November 1923 war es Hauptaufgabe des Landrats, die durch den Ersten Weltkrieg und die Inflation verursachten Schäden zu beseitigen, wie die fast stillstehende Wirtschaft neu zu beleben.

Landrat Liessem wurde nach Anhörung des Kreistages bei den zuständigen Stellen vorstellig, daß die Provinzialstraßen instand gesetzt würden. Ferner sollten die Straße von Daun nach Bitburg und die Struthstraße (beide waren Gemeindewege) als Provinzialstraße ausgebaut und von der Provinz übernommen werden. Doch es dauerte viele Jahre, bis dieses Bestreben verwirklicht werden konnte. 1924 wurde beim Landratsamt ein Arbeitsnachweis zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gegründet, aus dem später das selbständige Arbeitsamt hervorging. Anfang 1925 arbeiteten nur noch rund 50 Leute außerhalb des Kreises Daun. Durch die ungünstige wirtschaftliche Lage der Industrie waren viele Pendler aus dem Kreise entlassen worden.

Wegen der Mißernte 1924 beschloß der Kreisausschuß eine Notstandsaktion zur Beschaffung von Saatgetreide. Später wurde die gleiche Aktion auf den gesamten Regierungsbezirk Trier ausgedehnt. Landrat Liessem führte den 1922 begonnenen Bau der elektrischen Kreisüberlandzentrale bis Ende 1925 weitgehend durch. Bis dahin waren unter großen Schwierigkeiten 87 Ortsnetze und die Überlandleitungen fertiggestellt. Da diese Anlagen viele Millionen kosteten, war die Mittelbeschaffung sehr schwierig. Die Kreisverwaltung hat zu keiner Zeit so viele Wechsel ausstellen müssen wie damals.

1928/32 erfolgte der Ausbau der heutigen Bundesstraße Daun - Meisburg - Badern als Provinzialstraße. Es war ein Millionenprojekt. Während seiner Amtszeit ließ Landrat Liessem auch manche anderen Straßen im Kreise Daun ausbauen.

1928/29 erfolgte der Bau der Landwirtschaftsschule in Daun. Landrat Liessem förderte die Eingemeindung des bis dahin selbständigen Ortes Gemünden in die Gemeinde Daun. Dadurch änderten sich auch die Besitzverhältnisse am Gemündener Maar. 1930 erfolgte der Bau eines Isolierhauses durch den Kreis beim Krankenhaus in Daun.

1930 Abzug der französischen Besatzung vom linken Rheinufer. Im gleichen Jahre Umgemein-dung von Jünkerath, das bis dahin teilweise zu den Orten Gönnersdorf, Feusdorf und Glaadt (Kreis Daun) und zum Orte Schüller (Kreis Prüm) gehörte, zu einer selbständigen Gemeinde. Gleichzeitig wurde der bisherige Ort Glaadt nach Jünkerath eingemeindet. Diese Verhandlungen schwebten seit 1893. Sie wurden durch das energische Handeln von Landrat Liessem mit dem vom preußischen Landtag erlassenen Gesetz, das am 9. März 1930 in Kraft trat, abgeschlossen.

Daneben wandte sich der Landrat der Förderung der Heimweberei in Schalkenmehren zu sowie vielen Förderungsmaßnahmen für zusätzliche Verdienstmöglichkeiten in den Dörfern. Es waren nicht nur die bäuerlichen Betriebe, die durch die Inflationszeit und die nachfolgenden Wirtschaftskrisen dem Stillstand nahe waren, sondern ebenso hart waren die mittleren Industriebetriebe und das Handwerk geschwächt. So erlangte damals für den Fortbestand der Heimweberei Schalkenmehren ein Geldpreis besondere Bedeutung, der der Heimweberei bei einer Ausstellung in Berlin verliehen wurde. Dadurch kamen die Maartuche aus der Eifel über den Eifelraum hinaus ins Gespräch.

Zu den bedeutsamen Entschlüssen, für die Landrat Liessem die Zustimmung des Kreistages fand, zählt die 1928 aufgenommene Anleihe des Kreises zur Förderung des Wohnungsbaues. Damit wurden 300 000 Mark an Förderungsbeträgen flüssig, womit zunächst eine wesentliche Stärkung der Bautätigkeit erfolgte. Dennoch verhinderten die allgemeinen Wirtschaftskrisen jene Entfaltung, wie sie ob des Rückstroms an Pendlern und Abgewanderten aus den rheinischen Industriegebieten erforderlich gewesen wäre. Die Not machte sich breit und drang bis in die entlegensten Dörfer. Das gab auch den politischen Strömungen, die sich um die 30er Jahre ausbreiteten, Nahrung. Vor allem die damalige Jugend sah keinen Ausweg aus den Krisen, die sich auf fast allen Gebieten des Erwerbslebens verhärteten und 1933 zu jenem Umschwung führten, dessen Folgen die überlebende Generation bis zum heutigen Tage spürt.

Landrat Liessem war genötigt, im personellen Umschwung nach der Machtübernahme durch den Nationalsozialismus, seinen Platz in der Leopoldstraße einem Träger der braunen Uniform zu überlassen. Er lebte später in Bonn und starb Ende der 50er Jahre, auf dem letzten Weg begleitet von einigen Freunden seines ehemaligen Wirkungskreises.

Landrat Dr. Paul Wirtz

1933 bis 1940

Im Juli 1933 betrat Landrat Dr. Paul Wirtz das Kreishaus in Daun. Er war am 1. November 1901 als fünftes Kind einer Bauernfamilie in Rittersdorf (Kreis Bitburg) geboren und wurde während des 1. Weltkrieges von seinem als Seelsorger in Waldbreitbach tätigen Onkel auf den Besuch des Gymnasiums vorbereitet. In Linz erwarb er das Reifezeugnis und studierte an den Universitäten Freiburg und Bonn Rechts- und Staatswissenschaft. Nach der Promotion zum Dr. jur. und der Referendarzeit war er als Rechtsanwalts- und Notarvertreter in Trier sowie als Hilfsrichter in Bitburg tätig. 1929 trat Dr. Wirtz in Schlesien in den Dienst der Reichszollverwaltung und wirkte 1932 als Regierungsrat am Landesfinanzamt Breslau. Dort trat er im Herbst 1932 der NSDAP bei, geworben von seinem übergeordneten Kollegen von Ditfurth, der zu den Opfern der Widerstandsbewegung vom 20. Juli 1944 zählt.

Der Parteigenosse mit der Mitgliedsnummer 1 196 298 trat seinen Dienst als Landrat in Daun mit jenem Elan an, der 32jährigen, vorwärtsstrebenden Beamten preußischer Ausbildung eigen war. Seine sofort aufgenommenen Kurse zur Fortbildung seiner jüngeren Mitarbeiter nach dem Leistungsprinzip in der Verwaltung trugen ihm nicht nur Sympathien ein.

Doch gärte im Hintergrund bereits Ende 1933 das persönliche Zerwürfnis mit Kreisleiter Kölle, das teils parteipolitisch, teils menschlich bedingt war. Der Herrschaftsanspruch der NSDAP über die Verwaltung konnte einem preußischen Beamten nicht ins Hirn passen.

So ergab sich zwangsläufig jene Rivalität, die 1934 zu harten Auseinandersetzungen zwischen Dr. Wirtz und Kölle führte. Mehr und mehr schälte sich — auch für die Außenwelt erkennbar — heraus, daß Dr. Wirtz Verwaltungsfachmann, nicht aber amtsbeflissener Parteigänger war, wenngleich in vielen Fragen des öffentlichen Lebens der Landrat sich wohl oder übel in seinen Entscheidungen an die parteibeeinflußten Richtlinien zu halten hatte. Argwöhnisch wachte die Partei über die Verwaltung. Das führte in der Folgezeit dazu, daß Dr.Wirtz bei offiziellen Anlässen der DRK-Uniform den Vorzug gab. Der Krach mit Kölle mag ihn auch bewogen haben, an mehreren Übungen der Reichswehr teilzunehmen, die ihm das Patent des Reserve-Offiziers eintrugen. Unser Foto zeigt ihn in der späteren Uniform der Wehrmacht als Reserve-Offizier.

Mit welchen Mitteln der Zwiespalt Dr. Wirtz — Kölle und darüber hinaus Gauleitung — Landratsamt angeheizt wurde, verrät ein uns vorliegendes Dokument des NSDAP-Gaugerichts Koblenz-Trier, in dem Pg. Wirtz beschuldigt wird, am 8. September 1935 kein Parteiabzeichen getragen, 2. an seinem Dienstwagen keine Hakenkreuzflagge geführt und 3. statt des Grußes »Heil Hitler« den Gruß »Auf Wiedersehen« angewandt zu haben. Doch das Gaugericht stellt nach Zurechtweisung des Angeschuldigten das Verfahren ein mit der Begründung, »daß der Angeschuldigte deshalb kein Parteiabzeichen trug, weil er sich während seiner Militärdienstzeit auf Urlaub befand und während dieser Zeit die Zugehörigkeit zur Partei ruht; daß der Dienstwagen des Angeschuldigten deshalb keine Hakenkreuzflagge führte, weil diese nach den glaubwürdigen Aussagen des Kraftwagenführers abgebrochen war und 3. der Gruß »Auf Wiedersehen« keine solche Verfehlung darstellt, daß dieserhalb ein Parteigerichtsverfahren durchgeführt werden muß.

Alle Arten, sein Brot zu verdienen, sind

einem ehrlichen Manne gleich anständig:

Holz spalten oder am Ruder des Staates

sitzen.

Gotthold Ephraim Lessing

Obwohl laufende Intrigen die Amtsführung des Landrats erschwerten, vermochte Dr. Wirtz dennoch mit Unterstützung des Kreistages die Möglichkeiten zur Entfaltung der Wirtschaft und der Landwirtschaft im Kreisgebiet zu nutzen. 1936 verkaufte er mit Zustimmung des Kreistages und der Gemeinden die Kreisüberlandzentrale an das RWE und bildete damit den Grundstock für die Konzessionsabgaben des RWE an den Kreis. Unter seiner Regie wurde der Grundstein zum Kreisberufsschulgebäude in Gerolstein gelegt und das im Aufbau begriffene Kreisheimatmuseum von Daun nach Gerolstein verlegt.

Für seine weltanschauliche Einstellung mag bezeichnend sein, daß er als Pg. doch immerhin bis zur Auflösung 1935 der katholischen Studentenvereinigung CV angehörte. Zahlreiche, damals im Kreis Daun tätige Pfarrer bekunden, daß er trotz manchen Einspruchs der Partei die Ausübung kirchlicher Bräuche duldete. Daneben urteilen die damaligen Oberinnen der von Ordensschwestern geleiteten Krankenhäuser Daun und Gerolstein übereinstimmend, »daß Landrat Dr. Wirtz uns in keiner Weise an unserer karitativen Arbeit gehindert, sondern uns stets fördernd zur Seite gestanden hat. »Ich hielt Dr. Wirtz für einen Beamten von großem Pflichtbewußtsein und starkem Gerechtigkeitssinn«, bestätigt Dechant Kotz (damals Niederstadtfeld).

Sicher litt die Erfüllung des Gerechtigkeitssinnes sehr häufig unter den Vollmachten und Weisungen übergeordneter Parteibosse. Denn manchem Bürger ist in jener Zeit Unrecht widerfahren. Solchen Beamten und Bürgern blieb damals nur Hoffnung auf einstmalige Wiedergutmachung. Diese blieb allerdings in vielen Fällen ebenso unvollkommen wie alles Menschenwerk.

Aber einige seiner Reden machen (nachbetrachtet) doch deutlich, wie hart und unerbittlich der Kampf hinter den Kulissen um die Absetzung des Landrats von den Parteiinstanzen geführt wurde, bis 1940 die von Kreisleiter Kölle schon 1936 angekündigte Strafversetzung erreicht war. Diese führte ihn nach Brüx im Sudetengau, wo ersieh als Landrat bewährte. Mit seiner Familie und kleinem Handgepäck verließ er Brüx kurz vor dem Einmarsch der russischen Armee. Etwa sieben Wochen durch amerikanische Flüchtlingslager geschleust, erreichte er seine Heimat. Es spricht für Dr. Wirtz, daß er von den vielen Auslieferungsbegehren der Tschechen unbehelligt blieb und sich nach Kriegsende im Bemühen um Wiederverwendung als Beamter vieler Fürsprecher aus dem Kreis Daun erfreuen konnte. Doch das blieb nach einem bewegten Leben in einer unseligen Zeit ein letzter Lichtblick, bevor er, erst 45 Jahre alt, am 4. Oktober 1946 im Klemens-August-Krankenhaus in Bitburg die Augen schloß. Dr. Wirtz wurde am 7. Oktober 1946 auf dem Friedhof seines Heimatortes Rittersdorf beerdigt.

Die Welt wird nie gut,

aber sie könnte besser

werden.

Carl Zuckmayer