Gerolsteiner Fußfallstationen

Udo Köhler t

Als es im Februar 1522 zur »Bilderstürmerei« in den Kirchen Wittenbergs unter Professor Andreas Bodenstein aus Karlstadt (Franken) kam, verließ Martin Luther, am 6. März 1522, seine Zuflucht auf der Wartburg, wohin ihn sein Landesfürst Friedrich gerettet hatte. Luther hielt als Gebannter und Geächteter, vom 9. - 16. 3. 1522, die nachmals so bekannten Invocavitpredigten bei eigener Lebensgefahr. Es gelang ihm, dem Wittenberger Treiben Einhalt zu gebieten. Er erklärte deutlich, daß durchaus nicht alles abzulehnen sei, nur weil es aus der alten Kirche stamme, vielmehr müsse alles erhalten bleiben, was nur eben einen Bezug zum Evangelium habe. Ja, er hielt Bilder und plastische Darstellungen für sehr wichtig, schon im Blick auf die Schriftunkundigen, denen so das Evangelium vor die Augen gestellt würde. Eine solche Art frommer Pädagogik waren auch Kreuze und Bildstöcke, welche den Mann auf der Straße an Christi Kreuzestod mahnten mit der Frage: »Das tat ich für dich, was tust du für mich?« Eine besondere Bedeutung hatten die Fußfallstationen: In der letzten Stunde eines Gemeindemitgliedes gedachten betende Kinder der Not des Sterbenden, von Kreuz zu Kreuz ziehend. Heute mahnt ein beleuchtetes Kreuz über dem St.-Elisabeth-Krankenhaus zur Fürbitte für einen Menschen, daß er vor dem Sterben zu dem hinfinden möchte, der uns eine ewige Erlösung zugesagt hat.

Am Tage vor seinem plötzlichen Hinscheiden nahmen mich Pater J. Böffgen und seine Begleiterin in ihrem Wagen die steile Burgstraße hinauf mit, weil er für mich meinte, das Wetter sei für das Herz nicht günstig. Keiner von uns dreien ahnte, daß für Pater Böffgen Gottes Stunde so nahe sei. Pater Böffgen war noch ganz befangen in seinem Schaffen für seine Vaterstadt Gerolstein. Wie ich hörte, hätte er gerade einem Photographen den Auftrag gegeben, für ihn die Gerolsteiner Fußfallstationen aufzunehmen. Es ist anzunehmen, daß er sich mit Herz und Gedanken mit diesem Thema beschäftigte, um festzuhalten, was heute noch in Gerolstein an alten Fußfallstationen vorhanden ist. Im Heft 7 der Reihe »Um Munterley und Löwenburg« (1981), konnten drucktechnisch nur die Zeichnungen aus dem Bande von Georg Jacob Meyer (Trier) über den Kreis Daun, aus dem Besitz von Peter Böffgen (t 1975) veröffentlicht werden.

So sei es mir gestattet, das letzte Thema von Pater Böffgen aufzugreifen, wobei ich weiß, daß er vieles gründlicher und anders beschrieben hätte als ich. Ich brauche auch nicht zu wiederholen, was Pater Böffgen im genannten Heft im einzelnen über die Stationen geschrieben hat.

Es gab auch in Gerolstein die sieben Fußfallstationen: Die erste war It. Wackenroder (»Die Kunstdenkmäler des Kreises Daun« 1928, S. 80) eine Wegekapelle am Ostausgang der Stadt, in der heutigen Hauptstraße. Die Jahreszahl 1716 deutete auf die Entstehungszeit, die Namen der Familien, Pantaleon, Gerhard und Ehefrau Anna Barbara Daubac, verweisen wohl auf die Stifter der Wegkapelle. Auf einer Art Altartisch standen Maria und Josef und in der Mittelnische das Jesuskind. 1944/45 wurde diese Wegkapelle leider durch Bombenabwurf zerstört. Die erste Fußfallstation ist heute also nicht mehr vorhanden. Sie ist auch (noch?) nicht darstellbar, da ein älteres Photo bisher unentdeckt blieb.

Die zweite Station ist der Kreuzabnahmealtar am alten Rathaus. Früher stand er gegenüber Hauptstraße 47, bei der Weinhandlung Faber (Dieser Standort ist festgehalten in einer Photographie im »Jahrbuch des Kreises Daun« 1980, S. 41). Pater J. Böffgen glaubte nachgewiesen zu haben, daß die Figuren dieses Kreuzes ursprünglich zum Burgkreuz vor der großen Schildmauer, im Volksmund »Nikedimus« geheißen, gehört haben (Heimatjahrbuch Daun« 1981, S. 78). Daß dieses Kreuz zum Symbol des Widerstandes gegen die Ideologie des Nationalsozialismus wurde, beschrieb Pater Böffgen im »Jahrbuch des Kreises Daun« 1980, S. 38 ff.

                                   

Die dritte Station ist kein Kreuz, sondern ein Bildstock, eingemauert am Hause Kanapin, Hauptstraße 10, mit der Jahreszahl 1874. Es zeigt das Christusmonogramm IHS (= Jesus) und hat als Statue Maria mit dem Jesuskind. ais Stifter werden die Namen genannt: Nicolaus Frietrig und Anna Margretha Frietrig, dazu die Jahreszahl »anno 1771« (oder 1775 ?).

Die vierte Station scheint zunächst keinen direkten Hinweis auf Christus zu geben. Sie ist ebenfalls kein Kreuz, sondern eher ein Bildstock, doch nicht aus Stein gehauen, sondern aus Holz geschnitzt. Die Enstehungsgeschichte, nach Pater Böffgen, hat auch mir Frau Nori Schüßler erzählt. Die Figur hinter Glas stellt den heiligen Antonius von Padua dar. An ihm kann man ersehen, daß er die weiße Kordel der Franziskaner trägt, wie man sie heute bei den Franziskanerschwestern von Waldbreitbach am St.-Elisabeth-Krankenhaus sehen kann. Aber dann gehört schon etwas Kirchenhistorie dazu, um zu wissen, daß der Portugiese Antonius (t 1321) Lehrer der Theologie an der Universität Bologna (Norditalien) war. Als Prediger forderte er Buße von Haupt und Gliedern der Kirche. Von daher wäre das bloße Kind auf seinem Arm (wenn auch unhistorisch) als das Jesuskind zu deuten. Denn Buße heißt doch nicht Strafe, sondern Hinwendung zu dem Gott, dessen Liebe zu den Menschen Christus verkündet hat. Die symbolische Darstellung will also besagen, daß Antonius mit seinem Herzen Christus begegnet ist. Doch, wer weiß das alles? Der Volksfrömmigkeit gilt Antonius eher als Schutzheiliger der Ehe, der Pferde und der verlorenen Sachen (z. B. im benachbarten Hillesheim suchte man in der dortigen Antoniuskapelle Hilfe zum Wiederfinden verlaufener Gänse). Diese vierte Station wird auch heute mit frischen Blumen geschmückt. Sie wurde auch als Fronleichnamsund Anliegenaltar verwendet.

Die fünfte Station finden wir auf dem einstigen Hindenburg-, dem heutigen Brunnenplatz. Sie steht dort in einer Blumenanlage, wo vorher eine Zeitlang ein Parkplatz war. Eine Kraftfahrerin hatte das Pech, das Kreuz zu rammen, so daß es zerbrach. Die Stadt hat aber dankenswerterweise das Kreuz wiederherstellen lassen. Das obere Drittel des Kreuzes ist also neu, während Schaft und Sockel vom alten Kreuz verwendbar blieben. Der Volksmund nennt es das »Schmitze-Krejz«. Die Inschrift »J. S. F. Koch« erinnert nämlich an einen Herrn Koch, der von Beruf Schmied war. Das heutige Kreuz trägt zweimal die Jahreszahl 1849, was Pater Böffgen in seiner Schrift, Heft 7 »Um Munterley und Löwenburg« 1981, S. 18, merkwürdigerweise nicht erwähnt. Da sich aus Amerika Gerolsteiner »Koch« -Abkommen bei der Familienforschung meldeten, könnte dieses Kreuz auch aus Dankbarkeit für einen »48er Demokraten« gesetzt sein, der glücklich nach Amerika entronnen ist. Doch, wer weiß da noch Genaues?

                                       

Die sechste Station stand einst am Bahnkörper in der Nähe der heutigen Erlöserkirche, weil sich ja die erste katholische Kirche auch in Sarresdorf befand und der Weg zur Kirche dort vorbeiführte. Es handelt sich um ein Steinkreuz, das heute links vor dem Eingang zum Kreisheimatmuseum, in der Sarresdorferstraße, steht. Pater Böffgen berichtet davon, daß dieses Kreuz gegen Ende des Krieges von amerikanischen Soldaten als Pistolenschießscheibe mißbraucht wurde. Es ist entsprechend in Mitleidenschaft gezogen. Die heute als IMRI statt INRI lesbare Kreuzestafel muß nicht unbedingt »verschrieben« sein, wie es nach dem Zitat von Pater Böffgen einst Peter Böffgen meinte. Wahrscheinlich ist die Schaftspitze des Kreuzes mit der Inschrift durch Schüsse so beschädigt worden, daß für das ursprüngliche N durch einfaches Absplittern des Steines ein scheinbares M entstand. Auch das Kruzifix des Kreuzes ist sehr beschädigt. Das Kreuz wurde im Rokokostil um 1770 geschaffen. Der Totenkopf unter dem Christuskorpus scheint auf ein ursprüngliches Begräbniskreuz zu weisen.

Schließlich die siebente Station, heute auf dem alten Stadtfriedhof in der Sarresdorferstraße, rechts hinter dem Eingang, stammt in seinen ältesten Teilen aus dem Jahre 1645, also aus der Zeit des 30jährigen Krieges, es ist das älteste Gerolsteiner Stationskreuz. Gestiftet wurde es von dem Bürger und Schöffen Johannes Reut und seiner Gattin Margareta. 1910 wurde es im oberen Teil von Heinrich Kühl (gen. »Ures Hennrich«) ergänzt und erneuert.

Die Stadt Gerolstein hat vor kurzer Zeit die Kreuzesgruppe am alten Rathaus (den abgebrochenen Arm) reparieren lassen und auch farblich aufgearbetet. Für die sorgsame Pflege dieser alten Traditionen, der städtischen Kunstdenkmäler, gebührt der Stadt der Dank der Bevölkerung. Die heute noch vorhandenen Fußfallstationen sollten allezeit »der Pflege des Publikums« befohlen« bleiben.