Vor 60 Jahren

Erlebnis der Besetzung Dauns durch die Separatisten 1923

Ludwig Jung, Daun

Es war gegen 10.30 Uhr, da entdeckten wir vom Klassenfenster unserer Schule zwei Posten auf dem Eisenbahnviadukt hin und her patrouillieren. Was war los? Wir ahnten nichts Gutes. Der Unterricht war zu Ende, und ich machte mich auf den Weg nach Hause im alten Hof Hölzer. Vor der Toreinfahrt blieb ich mit mehreren Schulkameraden stehen, denn auf uns zu bewegte sich eine starke Gruppe von Männern, meist Angestellte und Beamte der im oberen Ortsteile sich befindenden Büros, die getrieben wurden von undefinierbarem Gesindel, das die damalige Besatzungsmacht mit Waffen, Gewehren, Pistolen, usw. ausgerüstet hatte.

Ich sah die vorderen Männer lachen und zum schräg gegenüberliegenden Hof der Schreinerei Hunz hinüberschauen. Dort stand die alte Hausfrau und schnitt Rüben. Sie drohte den heranrückenden Pistolen- und Gewehrmännern mit der Faust. Großes Gelächter der Dauner Männer und Anlegen der Waffen von selten der Separatisten auf Frau Hunz, die couragiert, ihrerseits den Pistolenläufen mit dem Rübenmesser eine unmißverständliche Gebärde machte. Es entstand weiteres Gelächter der Dauner Männer. Doch Frau Hunz wurde von den Separatisten ins Haus und die Dauner Männer in den unteren Ort getrieben. Ich wurde von einer Faust im Nacken gepackt und in den Hof gezogen. Es war die Faust meines Vaters, der mir erklärte, daß die Separatisten an diesem Morgen mit Hilfe unserer Besatzungsmacht Daun besetzt hätten.

Mein Vater war wie gewöhnlich am Morgen zum Dienst ins Landratsamt gegangen. Vordem Amt standen einige Kollegen von ihm und fragten: »Richard, wo gehst Du denn schon so früh hin?« »Ei, ins Büro!« war die unbekümmerte Antwort meines Vaters, und er stieg die Treppe hinauf. In seinem Büro angekommen, wurde er unerwartet vom damaligen Dauner Bürgermeister Ki. mit den Worten begrüßt: »Guten Morgen Richard,, gehörst Du auch zu uns?« Mein Vater antwortete, noch nichts von der vollendeten Besetzung ahnend: »Ei, wozu denn sonst?!« und setzte sich zu seiner Arbeit nieder. Da betraten drei Männer mit umgehängten Karabinern das Büro, und Bürgermeister Ki. begann, diese meinem Vater vorzustellen und ihm zu bedeuten, daß er jetzt meines Vaters Vorgesetzter sei.

Mein Vater war einst Mitlehrling von Ki. bei Bürgermeister Hölzer gewesen und traute dem Dauner Bürgermeister eine Zugehörigkeit zum Separatismus nicht zu. Jetzt begriff mein Vater, warum viele seiner Kollegen unter dem Landratsamt standen. Da antwortete er dem Bürgermeister Ki.: »Ach, jetzt verstehe ich, Du gehörst zu dem Lumpengesindel der Separatisten. Ich bedaure, dazu gehöre ich nicht!« Mein Vater mußte unter Androhung von Gewalt sein Büro verlassen.

Inzwischen hatte meine Mutter den Tisch gedeckt. Kaum war das Tischgebet verrichtet, da klopfte es hart gegen die Haustür. Mein Vater öffnete, und vor der Tür standen vier Männer mit umgehängtem Gewehr und verlangten von meinem Vater den Schlüssel der Nachbarwohnung, die einer von der Besatzungsmacht ausgewiesenen Beamtenfamilie gehörte. Mein Vater fragte: »Was wollt ihr in der Wohnung?« Antwort: »Wir sollen die Wohnung durchsuchen!« Mein Vater forderte daraufhin einen Durchsuchungsbefehl, den diese »Herren« natürlich nicht hatten.

Dann wurde mein Vater sehr energisch und fuhr die vier an: »Erstens habe ich keinen Schlüssel von dieser Wohnung, zweitens hätte ich einen Schlüssel, bekämet ihr denselben trotzdem nicht, drittens das Fehlen des Durchsuchungsbefehls zeigt mir eindeutig, daß ihr nur auf Plünderung aus seid!« Da bedrohten diese Burschen meinen Vater mit ihren Gewehren, und mein Vater sagte sehr bestimmt: »Wenn ihr nicht sofort verschwindet, passiert etwas«. Daraufhin verließen die vier schleunigst den Hof und kamen nicht wieder.