»Ich bin schon lange hier. . . «

Junge Beamte erlebten Fabel vom Hasen und Igel

Franz-Josef Ferber

 

»Eine Reise in den Süden ist für andere hübsch und fein.« Ja, für andere schon, nicht aber für die beiden jungen Mitarbeiter der Kreisverwaltung. Für sie war es eine arge und dazu noch vom Mißerfolg gekrönte Strapaze, die man ihnen damals zugemutet hatte.

»Wenn wir alle Engel wären«, so heißt es in einem Film; gewiß, dann wäre vieles überflüssig. Es brauchten zum Beispiel keine Fürsorgeerziehungsheime zu geben. Aber weil wir nun mal fehlbare Menschen sind, sind auch diese Einrichtungen vonnöten. Davon weiß Peter (der Name wurde geändert) ein Liedchen zu singen. Er trieb es, es ist schon lange her, auch so toll, daß seine Eltern seiner nicht mehr so recht Herr wurden. Und letzten Endes überspannte erden Bogen der Unartigkeit derart, daß die Hilfe des Jugendamtes nicht mehr zu umgehen war. Kurz und gut, man beschloß, Peter in ein Heim zu stecken, in dem man ihm beizubringen gedachte, wie man ein ordentlicher und lebenstüchtiger Mensch wird. Klugerweise wählte man ein Heim aus, fernab der Heimat, in Süddeutschland.

Walter und Manfred traute man zu, den widerspenstigen Jungen heil dorthin zu bringen. Beide fühlten sich zwar geehrt durch den Vertrauenserweis ihrer Chefin, aber sie sollten hierüber letztendlich nicht froh werden. Es fing schon damit an, daß Peter widerwillig das Auto, einen sogenannten VW Käfer, bestieg. Von nun an sorgte der jugendliche Fahrgast dafür, daß die Konzentrationsfähigkeiten der beiden Beamtenanwärter auf eine harte Probe gestellt wurden. Ständig war etwas los im Auto. Peter ersann allenthalben Wünsche und Forderungen, die zu erfüllen nicht problemlos waren.

Einige hundert Kilometer der langen Wegstrekke hatte man schon zurückgelegt, da mußte es kommen: Peter verlangte anzuhalten, um, wie er sagte, ein »kleines Geschäft« erledigen zu können. Jedoch, Walter und Manfred gestatteten ihm das nicht. Vielmehr, sie versuchten ihm klarzumachen, daß ein Mann sich zu beherrschen habe. Und so fuhren sie hundert Kilometer weiter, ohne eine Pause einzulegen. Doch dann kam, wie nicht anders zu erwarten war, das »große Geschäft« zur Sprache. Energisch pochte Peter nun auf sein Recht, dieses außerhalb des Wagens vornehmen zu dürfen. Das war den Begleitern sicher auch lieber. Denn die Notwendigkeit dieses menschlichen Bedürfnisses war amtlich nicht nachprüfbar. So zog man es vor, es nicht aufs Äußerste ankommen zu lassen. Walter steuerte, kurz vor dem Ziel angelangt, das Auto an den Fahrbahnrand und hielt an.

Zum Glück war ein großer Heuschober in der Nähe. Hinter diesem machte sich Peter zu scharfen, während Manfred diesseits, in angemessener Entfernung, wartete. Es fiel ihm, dem Manfred, auf, daß die Formalität, trotz der vorgegebenen besonderen Dringlichkeit, verhältnismäßig lange dauerte. Walter, das Dienstauto pflichtgemäß behütend, glaubte plötzlich, seinen Augen nicht mehr so recht trauen zu können. Er sah den Jungen durch das Kornfeld rennen, einem nahegelegenen Waldstück zu. Beide, Walter und Manfred, machten sich schleunigst hinterher, jedoch, es war zu spät. Manfred war, auf den Zuruf von Walter hin, schon vorausgeeilt und Peter zum Fassen nahegekommen. Dann stolperte der Verfolger und fiel hin. Bevor er sich aufgerafft hatte, war Peter auf und davon; er war im Wald verschwunden und nicht mehr zu sehen.

Nachher mußten unsere armen Kerle erfahren, daß es ihnen wie in der Fabel dem Hasen ergangen war, der von dem Igel und der Igelin genarrt wurde. Als die Unglücklichen spätabends nach Hause kamen, konnte Peter ihnen ohne Umschweife vermelden: »Ich bin schon lange hier!« Während Walter und Manfred niedergeschlagen dem Herrn Pater Heimvorsteher das Ausreißen des Zöglingsanwärters beichteten, war Peter ins erstbeste Dorf geeilt und hatte sich per Taxi zu seinen sorgenbeladenen Eltern in die Eifel zurückbringen lassen.

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