Ein Pionier der Eifel-Geologie

Zum 60. Todestag von Stefan Dohm (1862 - 1924)

Prof. Matthias Weber, Köln

 

Kein Familienname der Eifel ist mit der Geologie dieser urwüchsigen Landschaft so sehr verbunden wie der Name »Dohm«. Vater Stefan und Sohn Batti haben ihm durch ihre hervorragenden Leistungen eine Ausstrahlung verliehen, die ihre Lebenszeit überdauert. Alle Fossilienbesucher und -sammler, die in der Eifel graben und fündig werden, stoßen — spätestens in der Fachliteratur — auf diese beiden Eifel-Geologen.

Stefan Dohm, der zupackende Pionier und Autodidakt, starb vor 60 Jahren. An ihn erinnern, heißt Dankbarkeit bezeugen. Als Sproß einer Lehrerfamilie wurde er am 14. Juli 1862 im nördlich von Gerolstein gelegenen Eifeldorf Duppach geboren, ein Jahrzehnt früher also als Gerolstein an das deutsche Eisenbahnnetz angeschlossen und für den Eifelraum zu einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt ausgebaut wurde. Mit der Entscheidung für den Lehrerberuf trat Stefan Dohm in die Fußstapfen seines Vaters, in seinem Lebenswerk jedoch beachtlich darüber hinaus. Nach erfolgreichem Besuch des damaligen Lehrerseminars in Wittlich — Pädagogische Hochschulen oder Erziehungswissenschaftliche Fakultäten für die Lehrerbildung gab es noch nicht — fand er als Junglehrer 1884 zunächst eine Anstellung im südlich des Gerolsteiner Waldgebietes liegenden Örtchen Salm. 1890 gelang es ihm, die angestrebte Versetzung auf eine Lehrerstelle in das bedeutendere Gerolstein zu erreichen.

Das in seinem räumlichen Umfang und an Bevölkerungszahl noch sehr überschaubare ehemalige Grafenstädtchen bot ihm größere Entfaltungsmöglichkeiten. Von Natur und Erdgeschichte reich ausgestattet, lockte es den heimatkundlich außergewöhnlich aufgeschlossenen Volksschullehrer gleichsam an eine geologische Fundgrube, die noch ihrer Erweckung aus dem Dornröschen-Schlaf harrte. Insbesondere die in Gerolstein bis dahin kaum systematisch »abgegrasten« und erfaßten Versteinerungen, die heutzutage fast zu einem bedenklichen Freizeithobby geworden sind, faszinierten den um die 30 Jahre alten Pädagogen. Sie zogen ihn regelrecht in ihren Bann. Hunderte von Millionen Jahre Erdgeschichte offenbarten sich ihm darin hier wie nie zuvor in seinem Leben. Die Fossilien der Eifel, zumal im Gerolsteiner Land, systematisch aufzuspüren und zu »sortieren«, empfand er von nun an als eine ihm auf den Leib geschnittene Aufgabe. Natürlich als »Nebentätigkeit«, die allerdings keineswegs auf persönlichen wirtschaftlichen Ertrag gerichtet war. Die einsatzfreudige und hingebungsvolle Erfüllung dieser Aufgabe wurde ihm so zum zweiten Beruf, durch den er vor allem in die neuere Geschichte der Eifel einging.

 

Rektor Stefan Dohm (rechts unten im Sessel), mit den im passiven Widerstand 1923 ausgewiesenen Gerolsteiner Gemeinderatsmitgliedern. Repro: J. Pusch, Köln

Nicht von ungefähr zählt ihn der ehemalige Kölner Professor Adam Wrede, dessen beliebte »Eifeler Volkskunde« vielen Eifeler Heimatforschern bis heute noch unausgeschöpfte Erkenntnisse und Informationen bietet, in seinem bekannten Werk (3. Auflage, Bonn 1960, S. 128 f.) zu den »bewährten und berühmten Eifelern«. Adam Wrede schreibt u. a. über ihn: »Weithin im Rheinland und über dieses hinaus bekannt und geschätzt war Stephan Dohm, der bedeutendste Erforscher der geologischen Verhältnisse der Eifel, des Aufbaus ihrer Erdschichten, ihres Eruptivgesteins und der Versteinerungen, der beste Kenner des für die geologische Wissenschaft so wichtigen Eifeler Berglandes .. . «

Der »Fossilien-Forscher« Stefan Dohm konzentrierte sich angesichts der Vielfalt der Versteinerungen auf zwei Sorten (Tierkreise). Sie sind gerade im Gerolsteiner Land sehr artenreich: einmal die Trilobiten-Dreilappkrebse, zum ändern die Crinoiden-Seelilien. Wo sie auf Feldern am häufigsten auftraten, scheute er nicht vor dem Erwerb des betreffenden Grundstücks zurück. Zum behutsamen Gratjen und Sammeln setzte er von ihm selber geschulte Kräfte an. Er selbst entwickelte besondere Präparierungsmethoden, um Gestalt und 'Schönheit der Fossilien sichtbar zu machen. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg, in den Jahren 1912 -1914, vermerkte die Einführung in ein grundlegendes wissenschaftliches Werk des bekannten Frankfurter Senckenberg-Museums, des »größten deutschen Forschungsmuseums« (Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Band 21, S. 574), und des Geologischen Instituts der Universität zu Frankfurt: »Die besten Trilobitenpräparate der Welt stammen aus Gerolstein.«

Eine Reihe von Seelilien wurden sogar nach Stefan Dohm benannt. Desgleichen die besonders schöne Sonnenkoralle, die den Namen »Dohmsblatt« erhielt. Weil es für einen Volksschullehrer vor der Jahrhundertwende und auch noch danach kaum möglich war, in die zu jener Zeit nur einem kleinen Kreis von Fachgelehrten zugänglichen Gebiete der Geologie und Paläontologievorzustoßen, gehörten besondere Begabung, Phantasie, Ausdauer, unermüdlicher Fleiß und unverdrossenes Studium der vorhandenen Fachliteratur dazu, auf diesen Wissenschaftsgebieten eine beachtete Kennerschaft zu erreichen und selber produktive Beiträge leisten zu können. Die Fachliteratur mußte zudem noch umständlich und oft finanziell nahezu unerschwinglich von auswärts selber beschafft und bezahlt werden. Stefan Dohm gelang dieses für die damalige Zeit unwahrscheinliche Kunststück. Nur so wurde es ihm auch möglich, zusammen mit dem damaligen Gerolsteiner Hotelbesitzer Matthias Heck in dessen Räumlichkeiten ein

»Geognostisches Eifelmuseum«

einzurichten. Es war das erste Museum dieser Art in Westdeutschland. »Sein Museum gab den immer häufiger eintreffenden Studenten der Universitäten die Übersicht über die Fülle der vorkommenden Versteinerungen. Hier sahen sie in lückenlosen Zusammenstellungen, was sie bei den kurzen Besuchen der Fundstellen nicht zusammentragen konnten. Welche Bedeutung in der Fachwelt das kleine Museum hatte, geht aus den Lebenserinnerungen eines der berühmtesten Naturwissenschaftler — Ernst Haeckel — hervor. Zur Vorbereitung auf seine Reise in die Südsee, die ihren Niederschlag in vielen Werken fand, studierte er hier (im Gerolsteiner Museum) die Vorzeitlebewelt.« (Peter Horsch, Keiner liebte die Heimat so sehr wie er, in: Trierischer Volksfreund vom 5. März 1969,S.9.)

Kein Wunder, daß Stefan Dohm angesichts solcher wissenschaftlicher Pionierleistungen auch als Gerolsteiner Lehrer und Volksschul-Rektor bei seinen Kollegen und Kolleginnen sowie erst recht bei seinen Schülern hoch angesehen war. Wegen seiner Bescheidenheit, seinem sehr breiten und ernsten Engagement, seiner Hingabe und Begeisterungsfähigkeit steigerte sich dieses Ansehen sogar zu echter Liebe. Stefan Dohm wurde Leiter der Gerolsteiner Volksschule, die sich in seiner »Ära« zur damals größten Volksschule des ganzen Kreises Daun entwikkelte. Er wurde ihr erster Rektor. Für keinen pädagogischen Dienst war er sich zu schade. Daß er in Notzeiten wie denen des Ersten Weltkrieges selbst auf Eifeldörfern außerhalb Gerolsteins, wo die Lehrer zum Militärdienst eingezogen waren, vertretungsweise einsprang, mochte für ihn einfache Pflichterfüllung bedeuten. So berichtet uns die säuberlich von 1871 bis 1929 geführte Schulchronik des gleichnamigen Örtchens Dohm an der Kyll, das schon lange keine Schule mehr am Ort besitzt, auf Seite 158: »Herr Hauptlehrer Dohm aus Gerolstein übernahm die Verwaltung der Schule. Er führte die Vertretung bis zum 14. September (1915).« Stefan Dohms außerberufliche Tätigkeit, die er neben seinen geologischen Forschungen ausübte, war das, was wir »gemeinnützig« nennen. Man wundert sich heute, woher dieser Mann Impuls, Zeit und Kraft dazu hernahm. In der Gerolsteiner St.-Anna-Kirche spielte er die Orgel und leitete nebenbei den Kirchenchor, überörtlich den Kreislehrerchor. In Lehrerorganisationen arbeitete er an führender Stelle mit. Daß er sich in Prüfungsvorbereitungskursen und in Prüfungsausschüssen aktiv um den Lehrernachwuchs kümmerte, erschien bei dem stark ausgeprägten Verantwortungsbewußtsein und Pflichtgefühl dieses Eifeler Pädagogen nahezu selbstverständlich.

Stefan Dohm hielt dem Städtchen Gerolstein, das zu seiner Zeit kräftig aufwärts strebte, immer die Treue. Er förderte dessen Wohl über seine umfangreiche und vielfältige Tätigkeit hinaus sogar noch als Mitglied des Gerolsteiner Gemeinderats, wie es damals noch hieß. Er verließ seine geliebte Wahlheimat Gerolstein, für die er sich so voller Hingabe mit all seinen Talenten einsetzte, nur, als er der nackten Gewalt weichen mußte. Diese Charakterprüfung kam in Gestalt der französischen Besatzungsmacht nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg. Es war die Zeit des sogenannten Passiven Widerstands 1923.

Die Franzosen hatten wegen angeblich nicht geleisteter deutscher Reparationen in Durchführung ihrer »Politik der produktiven Pfänder« das Ruhrgebiet als Herzstück der deutschen Industrie besetzt. Die Reichsregierung in Berlin rief die deutschen Behörden und Unternehmen im von alliierten Truppen besetzten Gebiet zum Widerstand auf. In Gerolstein weigerte sich folglich der patriotisch gesonnene Gemeinderat, dem Stefan Dohm zu dieser Zeit angehörte, für die aus Frankreich herbeigeholten Eisenbahner Mobiliar und Wohnungen am Ort zu beschaffen. Der Preis, den sie für solch tapfere und mutige Vaterlandsliebe zu bezahlen hatten, war mehr als hoch. Mitten aus der Sitzung heraus wurden die Gemeinderäte — unser beigefügtes Foto zeigt sie — von französischen Besatzungssoldaten verhaftet und ausgewiesen. Am nächsten Tag bekamen ihre Familien diese Vergeltungsmaßnahme durch die Beschlagnahme ihrer Wohnungen und Wohnungseinrichtungen zu »lecken«.

Sonnenkoralle, nach Stefan Dohm benannt »Dohmsblatt«.

Repro: J. Pusch, Köln

Dieser zwangsweise Abschied von seinem geliebten Gerolstein in besonders schwerer Zeit, von seiner vertrauten Umwelt, zu deren Erforschung und Förderung er so viel beigetragen hatte, beschleunigte Stefan Dohms allzu frühen Tod am 12. Februar 1924. Eine tückische Krankheit und das Leid, von der Heimat getrennt leben zu müssen, hatte seine schier unermüdlich scheinenden Kräfte gebrochen, ja aufgezehrt. Aus seinem Verbannungsort Eiershausen bei Dillenburg (Westerwald) Anfang 1924 zurückgekehrt, starb Stefan Dohm in Gerolstein mit noch nicht einmal 62 Jahren. Einen »Lebensabend« im modernen Sinne hat er nie erfahren. Noch lange nach seinem Tode besuchten Ende der 20er Jahre Professoren und Studenten sein Geognostisches Museum in Gerolstein. Sie kamen von den Universitäten Königsberg (dem heutigen sowjetrussischen Kaliningrad), Frankfurt, Marburg, Bonn, Amsterdam, Delft und Utrecht. Gerolstein war durch Stefan Dohm berühmt geworden. Die Stadt bewahrt heute sein Gedächtnis in einem Straßennamen.

Seine Grabstätte auf dem Sarresdorfer Friedhof wurde 1974 eingeebnet. Doch für Heimatfreunde bleibt dieser bedeutende Sohn der Eifel unvergessen. Die Stadt Gerolstein sollte diesem um ihr Wohl und Ansehen so verdienten Mann im Ort ein Denkmal setzen, als Zeichen ihrer besonderen Verbundenheit über das Grab hinaus und als sichtbares Vermächtnis für die Nachwelt. Mit Stefan Dohm ehrt sie einen ihrer Besten.