Zwei Freunde

Heiteres Erlebnis beim Vulkaneifel-Reitturnier

Lotte Schabacker

 

In irgendeinem Urzustand hatten sie mal das Schönste versprochen, dieser große kräftige Rapp-Wallach und sein talentierter Reiter; und hin und wieder setzten sie auch tatsächlich bei unseren kleinen, ländlichen Turnieren in der Hocheifel die Zuschauer mit ihren Springkünsten in Erstaunen. Aber meistens hatte einer von ihnen, gerade wenn es drauf ankam, seinen schlechten Tag und also keine Meinung zu der Sache.

Diesmal war's das Pferd.

Mißmutig war Axel schon dem Transporter entstolpert, der ihn zum Parcours des gastgebenden Vereins gefahren hatte. Zum Unglück lief seine Nummer dann auch noch ziemlich am Schluß, beim schwersten Springen des Tages; das Warten machte ihn noch saurer, als er ohnehin schon war. Und als er endlich auf dem Platz erschien, zeigte es sich, daß ihm inzwischen jeder Sinn für Formalitäten abhanden gekommen war. Es paßte ihm nicht, daß der Freund auf seinem Rücken vor den Leuten am Richtertisch die Kappe ziehen wollte, und er versuchte, ihn durch wilde Bocksprünge davon abzubringen.

Beim ersten Hindernis sodann war der oberste Balken im Buschwerk versteckt, das ihn überragte. Zu spät entsann sich Axel, daß er schon öfter auf solchen Bluff hereingefallen und viel höher als nötig gesprungen war. Vor der zweiten Hürde parkte er deshalb, um sie genau zu untersuchen.

Das Reglement hält leider eine solche Besichtigung für Gehorsamsverweigerung. Axel fand seines Obermannes wachsende Nervosität albern, aber schließlich tat er ihm leid, und er beschloß, die Sache schnell hinter sich zu bringen. Das wollte der Reiter auch, aber es herrschte Uneinigkeit über die Methode. Als das zweite Hindernis endlich geschafft war, steuerte der Reiter auf Nummer drei zu, das Pferd jedoch auf den Oxer, der ihm gerade in der Quere stand. Das Ergebnis war eine Art Kreuzgalopp, aber eben nur eine Art; genaugenommen war es eine Fortbewegungsweise, die noch nie bei einem Pferd gesehen worden ist. Die Zuschauer brüllten vor Lachen. Das war zuviel für Axels heute so schwache Nerven. Holz klapperte. Noch einmal. Und dann kam die Mauer an die Reihe.

Mauern findet Axel widerwärtig. Er lief rechts vorbei! Das war das zweite Verweigern. Das dritte würde Platzverweis bedeuten. Der Reiter sprach auf sein Pferd ein, mit der Güte, die vor der roten Wut kommt. Als offenbar wurde, daß es den Gaul nun zum linken Ausweg zog, kam sie, die Wut. Der Zweibeiner lief krebsrot an, fuchtelte mit der Peitsche und brüllte: »Willst du wohl, du blöder Esel, du dämliches Mistvieh . . .«•

Nie wird man erfahren, was Axel mit dem nun folgenden Unternehmen im Sinn hatte: Wollte er endlich seinen souveränen Springstil beweisen, wollte er das Bauwerk für alle Zeiten aus der Welt schaffen, oder war er nur gleichfalls wütend? Was — nämlich — dem zweibeinigen Freund recht ist, ist dem Vierbeiner schon lange billig; Axel ist ebenfalls Choleriker! Jedenfalls versuchteer, über einen der Türme zu springen, die die Mauer begrenzten. Schließlich lag alles im Dreck, Türme, Mauerwerk, Reiter und Pferd . ..

Später standen die beiden in einer Ecke des Abreiteplatzes und warteten auf den Abtransport. »Du warst miserabel heute, das weißt du ja!«, hörte man den Reiter sagen. Zum eigenen Trost

biß er von einer gewaltigen Butterstulle ab. Das Pferd ließ die Ohren hängen. Anatomisch ist das zwar genauso wenig möglich wie bei einem Menschen. Aber Axel sah in diesem Augenblick eben irgendwie aus wie ein Mensch, von dem man sagen würde, er lasse die Ohren hängen. Sein Reiter schielte nach ihm hin. Dann brach er ein Stückchen Brot ab und gab es ihm. Axel ließ den Leckerbissen auf der Zunge zergehen, stellte ein Ohr aufrecht und drehte es in Richtung der freundlichen Kauschallwellen, die der Freund produzierte. Als weiter nichts geschah, wendete er ein wenig den Kopf und schielte sehnsüchtig nach dem Butterbrot. Er bekam noch ein paar Krümel. Das Schielen wurde stärker, und der Einfachheit halber nahm die Pferdenase gleich neben dem Menschenmund Platz. »Was willst du eigentlich?«, fuhr der ihn an. »Du hast doch eben erst deinen Hafer bekommen! Und sowieso . . . miserabel. . .«

Axel schwenkte sein Haupt geradeaus und sah traurig und still in ein fernes schönes Land, von dem ihm die Mutter oft erzählt hatte, abends, vorm Einschlafen, als er noch ein Baby war, und wo die Pferde immer so viele Butterstullen bekommen, wie sie nur haben wollen. Schließlich schielte der Reiter wieder zum Pferdekopf hin, der nun irgendwie wirkte wie ein Kindergesicht, das leise vor sich hin weinte. Dem Menschen blieb der Bissen im Halse stecken. Nach kurzem, innerem Kampf mit der eingenen Freßlust stopfte er dem Freund den ganzen Stullenrest zwischen die Zähne. »Da, friß, bis du platzt!«, sagte er.

Und sah zufrieden zu, wie sein schönes, kluges, geliebtes, sein einmaliges und unvergleichliches Pferd es sich schmecken ließ!

 

Wohlstandsgeflüster:

Was zu erträglich wird,

wird unerträglich.

Hellmut Walters