Ein Schauprozeß anno 1620

Justizirrtum im Uersfelder Raum zu spät aufgeklärt

Alois Mayer / Erich Mertes

Im Staatsarchiv Wertheim fanden sich bisher völlig unbekannte Teile von Gerichtsakten, die sich mit einem aufsehenerregendem Zwischenfall beschäftigen, der sich am 8.11.1620 im Uersfelder Raum, Kreis Daun, ereignete. Er schlug politische Wellen in der Eifel und trug zu viel Not, Elend und Diffamierung in zahlreichen Familien der einstigen Ämter Daun, Nürburg und Virneburg bei. Wir sind durch das Zusammentragen verschiedener Unterlagen zu der Erkenntnis gekommen, daß damals Eifler Bauern höchstes Unrecht geschah und sie der sogenannten politischen Vernunft geopfert wurden. So sollen sie nach Jahrhunderten rehabilitiert werden. Wir erfahren zudem interessante Einzelheiten und Zusammenhänge aus dem Leben unserer Vorfahren. Lesen wir dazu das Protokoll über die Aussagen des »Fiscalischen anklagers«, dem Vorläufer des heutigen Staatsanwaltes, sowohl in wörtlicher Abschrift, um Schreib-, Ausdrucks- und Redeweisen der damaligen Zeit in der Anklageschrift (Abschn. 1 - 4) zu erleben, als auch in freier Übersetzung:

Vor euch schultes und schaffen deß schultes ambtz Ursfelt erscheint Fiscalischer anklager, und übergibt gegen und wider, Gilles Adam zu Katzwinckel, Groß Jakob zu Hurßhaußen, Theiß zu Hausen, Godert daselbst, Claß zu Hilgersbergh, und Johan eidom zu Urßfelt, als inhaftierte auf dem Hauß Nürburgh und deren consortes verklaghte anderen theilß, nachfolgende Articulos Criminales, nit in gestalt eines herlichen, oder zierlichen Libels, sondern allein schlechter erzehlungh warer geschieht mit bidt Die verklaghte inhaftierten, auf einen jeden derselben pure, et Cathegorice, semoto procu-ratore & advocato vermittel eidtz responden-dorum, zu respondieren, anzuhalten, cum protestatione Uti moris & stili.

1. Solcher protestation vorbehaltlich, setzt, und sagt Fiscalischer anklager, Irstlich war, daß in abgelaufenem Jar 1620, den 8. novembris Zwolff Spanische reuter mit einem jungen, dar-under ein Lüttischer Freiherr, im abent auf den Hoff Koderigh im schultes ambt Urßfelt kommen.

Zum 2. wahr, daß solche reuter bey dem hof-man Michel, /: der ein Wirth :/ für ihr gelt zu zehren begert, und etliche Reichsthaler außgezogen, die dem wirdt auf die Handt geben wollen,

Vor den Schultheißen und Schöffen des Amtes Uersfeld erscheint staatlicher Ankläger und übergibt Gilles Adam von Katzwinkel, Groß Jakob von Hörschhausen, Theiß von Hausen*, Godert von dort, Claß zu Hilgersberg* und Johann Eidom von Uersfeld als Inhaftierte der Herrschaft Nürburg sowie die anderen angeklagten Mittäter. Folgende Anklagepunkte teilt er mit, nicht in Form einer sauber gebundenen Gerichtsakte, dafür aber eine wahre Begebenheit in schlechtem Erzählstil. Er bittet darum, daß jeder Angeklagte akkurat, kurz und bündig, unter Zuhilfenahme eines Anwalts und Advokaten verhört wird, und daß sie unter Eid aussagen mit Einspruchsrecht, wie es Sitte und Stil verlangen.

1. Der staatliche Ankläger, vorbehaltlich solchen Einspruchsrechtes, setzt und sagt aus, daß vergangenes Jahr am 8. 11. 1620, gegen Abend, zwölf spanische Reiter mit einem Jungen, darunter auch ein Lütticher Freiherr, auf den Hof Kötterichen im Amt Uersfeld kamen.

2. Diese Reiter kehrten bei dem Hofbesitzer und Wirt Michel ein. Sie zogen einige Reichstaler aus dem Beutel, wollten sie dem Wirt in die Hand drücken und verlangten dafür Essen und Getränke.

Zum 3. wahr, daß gemelter Wirth daß gelt nit annehmen wollen, sonder den reutern gleich-wol aufzudragen sich willigh erklert,

Zum 4. wahr, daß obgemelter Wirth heimlicher weiß nha Urßfelt bei Johan eidom als fhürer der außgesetzter schützen geschickt, und anzeigen laßen, daß die reuter bei Ime weren, er solle die schützen dahin brengen, dan gemelte reuter verdürben ihn gantz, und gar.

3. Der Wirt nahm das Geld jedoch nicht an, erklärte sich aber bereit, dennoch aufzutischen.

4. Heimlich schickte dieser Wirt einen Boten nach Uersfeld zu Johann Eidom, dem Schützenführer. Er ließ ausrichten, daß Reiter bei ihm seien, die ihn ganz und gar ins Verderben stürzten, und bitten, er solle mit den Schützen zu ihm kommen.

Aufmarsch der Schützen

5. Johann Eidom schickte einen Reiter zu den Rottmeistern, Gilles Adam von Katzwinkel und Groß Jakob von Hörschhausen und ließ durch sie die Schützen aufbieten.

6. Es ist wahr, daß die Reiter gut gezecht, aber keinen Mutwillen geübt, sondern sich friedsam und anständig benommen haben.

7. Es stimmt auch, daß Gerhard von Hörschhausen neben anderen Gästen in der Wirtschaft saß, bevor die Reiter kamen und danach auch dort blieben.

8. Die Reiter haben sich wohl verhalten und gemeinsam mit jenem Gerhard und seiner Gefolgschaft getrunken, gescherzt; sie sind aber friedsam gewesen:

9. Um Mitternacht haben dann die angeklagten Inhaftierten sowie etliche Schützen aus den Ämtern Daun und Virneburg das Wirtshaus umstellt. Durch den Wirt ließen sie heimlich den Gerhard von Hörschhausen nach draußen bitten. Sie trugen ihn, was dies für Reiter seien und wie sie sich verhalten würden.

10. Gerhard antwortete rundheraus: »Es sind Schelme und Diebe und benehmen sich auch so. Tut was dagegen! Wenn ihr sie nicht umbringt, dann seid ihr schlimmer als sie!«

11. Nach dieser Antwort stürzten die Angeklagten mit entsicherten Gewehren ins Haus, entwaffneten und fesselten die Reiter.

12. Es war Klaus Riedt, Sohn von Theis, der den ersten fesselte. Danach legten auch die anderen Hand an.

13. Darauf zeigten die Reiter ihre Pässe und baten, man solle sie zu der Obrigkeit führen.

14. Theiß von Hausen besah sich die Pässe, und weil er sie nicht lesen konnte der fremden Schrift und Sprache wegen, sagte er: »Das ist Jeuse-Schrift* und hinter den Hecken geschrieben worden.«

15. Das Berufen der Reiter auf die Obrigkeit half nichts. Sie wurden gefesselt, aus dem Haus gebracht und fortgeführt.

16. Es ist wahr, daß der Schützenführer Johann Eidom von Uersfeld und die zwei Rottmeister Adam Gilles von Katzwinkel und Jakob von Hörschhausen vorangegangen sind und jeder einen Reiter abgeführt haben.

17. Jakob von Hörschhausen stach einen Stab in die Erde und sprach: »Dieser steht stellvertretend für die Obrigkeit. Ich bin der Meinung, die Reiter sollen umgebracht werden. Wer der gleichen Meinung ist, berühre diesen Stab.«

18. Alle angeklagten Verhafteten, ebenso die Trierischen und Virneburgischen berührten den Stab. Danach gingen sie mit den Reitern zu den Jufferhecken, dicht am Heisterbüsch. Dort haben sie elf teils erschossen, teils mit Stangen totgeschlagen.

19. Den zwölften Reiter trafen drei Kugeln in die Schulter. Wenn er nicht entlaufen wäre, wäre er sofort umgebracht worden.

20. Der Reiterjunge konnte durch den Uersfelder Pastor Sebastian Agricola gerettet werden, sonst wäre er auch getötet worden.

21. Unter den elf toten Soldaten war einer, der mit einem Schuß im Rücken ins Dorf Hausen floh und bei Oster um Versteck bat.

22. Jener Oster und sein Sohn Matthias verrieten ihn jedoch bei den Schützen.

23. Daraufhin ritt Lenhard von Sassen dorthin, ergriff den Verwundeten und führte ihn auf den Mordplatz, wo er auch umgebracht wurde.

24. Die toten Soldaten zog man nackt aus und begrub sie in drei Gräbern bei den Jufferhecken.

25. Nach begangener Tat und dem Begräbnfs verkauften die Täter die Pferde, Pistolen und Kleider der Reiter, deren Geld und sonstiges Gepäck, und teilten den Erlös gleichmäßig auf.

26. Alles zusammen war über 1 000 Reichstaler wert.

27. Trotz verschiedener verschlossener Briefe, Schreiben und wertvoller Feldzeichen, die die erschossenen Soldaten bei sich hatten, sind sie nicht zu ihrem Recht gekommen.

28. Alle vorgenannten Anklagepunkte sind wahr, klar und einleuchtend. Daher stellt staatlicher Ankläger den Antrag, daß gegen die Angeklagten nach Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. zu verfahren ist. Weil die Sache von solcher Wichtigkeit ist, sollen Land und Leute davon erfahren und wie verderblich es den Schuldigen erging. Er bittet nochmals, schnellstens nach der Ordnung zu richten, und die Angeklagten wegen grober Tätlichkeit und Tötung ebenfalls hinzurichten. Sie sollen ebenfalls für alle Kosten und den entstandenen Schaden aufkommen. Zukünftiges Einspruchsrecht darüber vorbehaltend grüßt er und beruft sich auf den besten Fleiß des milden Richteramtes.

* Hausen = nennt sich seit 1932 Höchstberg

* Hilgersberg = Untergegangener Hof bei Uersfeld

* Rottmeister = Führer einer Rotte Schützen mit von Fall zu Fall festgesetzten Befugnissen; steht unter der Befehlsgewalt des Schützenführers.

* Jeuse = zu jener Zeit Schimpfwort für ausländische Bettler; später Ehrenbezeichnung für die Freiheitskämpfer der Niederlande.

Wie war es wirklich?

»Räuberische Bauern« steht auf dem Aktenblatt, und beim flüchtigen Lesen des Protokolls kann man tatsächlich den Eindruck gewinnen, daß sich hier eine böse Bande zusammengerottet hatte, die auf verbrecherische Art und Weise raubte und mordete.

Wenn wir uns aber der Zeitumstände und geschichtlichen Gegebenheiten der damaligen Zeit vergegenwärtigen und noch zwei Gnadengesuche einiger Angeklagter lesen, die sich bei den Akten befinden, dann erkennen wir rasch, daß jene Eifler Bauern nicht »räuberisch« waren, sondern aus politischen Gründen »geopfert« wurden. Heute würden wir dies »Schauprozeß« nennen.

Damals wie heute steht leider das Recht allzuoft auf selten des Siegers und Mächtigen, und Justitia verdeckt ihre Augen, wenn die Staatsräson es verlangt.

1618 begann der 30jährige Krieg. Während des Böhmisch-Pfälzischen Krieges (1618 - 23) drangen Truppen aus den spanischen Niederlanden in die linksrheinischen kurpfälzischen Gebiete ein. Am 20. 9. 1620 griffen spanische Truppen die pfälzische Stadt Bacharach am Rhein an und eroberten sie. Am 8. 11. 1620 wurde das Heer des »Winterkönigs« Friedrich von der Pfalz in einer Schlacht vernichtend geschlagen. Friedrich floh in die protestantische Niederlande nach Den Haag.

Und genau zur gleichen Zeit ereignete sich der folgenschwere Zwischenfall im Uersfelder Raum.

Dort hatte es in vergangener Zeit wiederholt Überfälle und böse Übergriffe seitens Soldaten und sonstiger Wegelagerer gegeben. So hatten fremde (»welsche«) Kriegsleute vor Jahren die Kirche in Welcherath geplündert und u. a. Meßgewänder, Kerzen und den Weihwasserkessel mitgenommen. Und im Jahre 1620 trieben sich im Kelberger Raum vielerlei Freibeuter (= Räuber) herum.

Der Angeklagte Glas Kremer von Dürrenbach erwähnte dies in seinem Gnadengesuch, daß »kürzlich, vor wenigen Tagen, in unserer Gegend streifende Reiter gesehen wurden, die von einem zum anderen Ort zogen und auf freien Straßen verschiedene Wandersleute überfallen und beraubt haben.«

Die Vorfälle müssen so häufig, gravierend und beängstigend gewesen sein, daß sich auch das Amt Nürburg entschloß, in seinen Dörfern bestimmte Personen zur Landesverteidigung berufen zu lassen.

Dieser Entschluß fiel um so leichter, da am 27.3. 1619 vom Erzbischof und Kurfürst Notarius von Koblenz aus die unmißverständliche Anordnung erfolgte: »Da bei den in den Niederlanden und an anderen Orten, teils wegen der Unruhen in Böhmen, teils wegen des französischen Aufstandes, stattfindenden Truppenwerbungen, Durchzüge im Erzstifte zu besorgen sind, werden sämtliche Amtsleute angewiesen, die in den resp. Ämtern »ausgesetzte Schützen«, zu ermahnen, sich in guter bewaffneter Bereitschaft zu halten, um bei eintretendem Notfalle die von ihnen erfordert werdende Hilfe leisten zu können . . . «(Scotti, 594).

Es waren mutige, selbstlose Bauern, die zu »Schützen« ernannt wurden. Sie erhielten ihre Befehle von den Rottmeistern und diese von dem offiziell dazu ernannten Schützenführer. In vorliegendem Fall war dies Johann Eidom von Uersfeld.

Es war also keinesfalls eine willkürliche Zusammenrottung, sondern eine regelrechte »Bürgerwehr« oder »Volksmiliz». Nur so ist es zu erklären, daß die an und für sich unfreien und rechtlosen Bauern Gewehre und Munition besaßen.

Auf diese offizielle Ernennung berufen sich die Angeklagten auch mehrmals in ihren später geschriebenen Gnadengesuchen: Wir armen Untertanen und Supplikanten sind durch den wohlgeborenen Grafen und Herren, Herrn Carolum, Graf zu Manderscheid, zu Schützen bestimmt worden .. . Uns wurde Glas Kremer von Dürrenbach zum Rottmeister angeordnet und vorgesetzt . . . Wir waren ihm zu Gehorsam verpflichtet . . . haben unsere Pflicht auch verschiedentlich ( — vermutlich als persönlicher Begleitschutz —) dem Grafön auf dem Wege von Kerpen nach Meerfeld gen Manderscheid bewiesen .. . Der Rottmeister Clas hat uns an unsere Pflicht erinnert, die wir dem Herrn und Offizianten schuldig waren ... Es wurde mit Strafe gedroht (»undt uff den fall wir nit folgten alsten deß ungehorsambts in gebürrendte straf/: wie auch woll mhermhall dhabevor in andren sache beschehen/:).

Carolina. Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532 Ausgabe 1559, Frankfurt

Noch deutlicher wird die behördliche Anweisung in dem Bittgesuch des betroffenen Rottmeisters Clas Kremer: »Als wir aber alle an den Hof Kötterichen kamen, wo sich auch die Nürburgischen und Trierischen Schützen trafen, fragten wir die Rottmeister, was zu tun wäre. Darauf antworteten diese: Sie hätten von der Obrigkeit den Befehl, solche Freibeuter umzubringen!« Diese offizielle Bürgerwehr hatte nun aber bei der diesmaligen Amtsausführung ausgesprochenes Pech, denn die als Freibeuter verdächtigten Soldaten wurden — leider aber erst nach deren Hinrichtung — als spanische Soldaten identifiziert, darunter auch noch ein Adliger, ein Lütticher Freiherr. Es waren also Angehörige von Truppen, die mit Kurköln und damit auch mit dem Amt Nürburg verbündet waren.

Dem Amt Nürburg blieb also, da es seine ursprünglichen Befehle für die Bürgerwehr nicht zugeben und größere politische Differenzen mit seinen Verbündeten vermeiden wollte, nichts anderes übrig, unschuldige Bauern als »Räuber« zu bezeichnen, sie der angeblichen politischen Vernunft zu opfern, d. h. hier, sie hinrichten und des Landes verweisen zu lassen. Daß jene, für die Freiheit kämpfende, Bauern keine wilde Meute blut- und habgieriger Räuber waren, geht deutlich aus allen Unterlagen hervor:

1. Wären die Soldaten in offiziellem Auftrag gereist, hätten sie Tagesrouten gewählt und abends an sicheren festen Plätzen gefahrlos übernachten können. Bei einer Dienstreise zu spanischen Verbänden in den besetzten kurpfälzischen Gebieten Pfalz, Hunsrück und Rhein z. B., hätten sie über das spanische Luxemburg und Trier reisen können. Kurtrier war zu der Zeit noch mit Spanien befreundet. Eine andere Route wäre gewesen über Nürburg, Mayen, Koblenz. Koblenz und Trier waren die beiden Städte mit einer festen Moselbrücke.

2. Von einer offiziellen Dienstreise sagen die Urkunden jedoch nichts. Die Soldaten erschienen vielmehr bei Dunkelheit in dem abgelegenen Hof zu Kötterichen und nicht beim Schultheißen (Gemeindevorsteher). Sie fragten auch nicht nach diesem. In der Wirtsstube des Hofs zechten sie bis Mitternacht in einer Weise, daß der Wirt Michel Angst bekam und einen Boten mit der Bitte um Hilfe losschickte. Aber er schickte den Boten nicht zum nächstbesten Bauern, sondern nach Uersfeld zum offiziellen Schützenführer der Landesverteidigung, der wiederum seine Unterführer (Rottmeister) in den Dörfern alarmierte. Diese wiederum befahlen einige Schützen zu kommen und versammelten sich dann beim Schützenführer.

3. Dieser Trupp von etwa 15 Schützen der offiziellen Landesverteidigung kam gegen Mitternacht im Hof Kötterichen an. Vor derVerhaftung wurde noch die Meinung des Zeugen Gerhard von Hörschhausen eingeholt, der die ganze Zeit ebenfalls in der Wirtsstube gewesen war und mit den Soldaten getrunken hatte. Gerhard, der ja Gelegenheit hatte, sich über Stunden einen Eindruck zu verschaffen, antwortete dem Schützenführer, »es seien Schelme und Diebe«, so führten sie sich auch auf, und wenn man sie nicht alle umbringe, geschähe noch Schlimmeres!

4. Dies deckte sich auch mit den Geschehnissen der letzten Tage, wo »in gleicher Gegend in gleicher Anzahl« Reiter herumstreiften und biedere Leute überfielen. Daraufhin erfolgte die Verhaftung. Die Pässe, die Klarheit in die ominöse Sache hätten bringen können, konnten nicht gelesen werden. Man vermutete eine Fälschung: » . . . eine Jeuseschrift, hinder den hecken geschrieben.«

5. Man exekutierte die Soldaten auch nicht heimlich oder plünderte sie verstohlen aus, sondern es erfolgte eine kriegsgerichtsmäßige Verhandlung: der Stab, in die Erde gesteckt, stellte die Obrigkeit dar; es wurde einstimmig abgestimmt; der anwesende Geistliche Sebastian Agricola (= Bauer) spendete sicherlich den letzten Segen und errettete den jugendlichen Reiter vor dem sicheren Tode.

6. Wertsachen, Gepäck un'd Kleider wurden nicht diebisch entwendet, sondern öffentlich verkauft und der Erlös redlich geteilt als Entschädigung für die aufgewandte Zeit und entstandenen Kosten. Der angegebene Wert von über 1 000 Reichstaler kann ebenfalls nicht stimmen, denn die Schützen Peter Schneider, Franz Heinen von Lirstal und Dürrenbach sowie Schütze Peter Thönnis von Uersfeld bekunden in verschiedenen Verhören, nur je 1/2 Reichstaler bekommen zu haben. Rechnen wir für jeden Schützen 1/2 Taler, den Rottmeister das fünf- und den Schützenführer sogar das zehnfache an Geld, dann erreichen wir noch lange nicht die Summe von 50 Reichstalern.

Den Letzten beißen die Hunde

Recht ist nicht stets absolute Wahrheit und in vorliegendem Fall bekam die Obrigkeit Recht, obwohl sie Mitschuld trug.

Die Angeklagten aus dem Schultheißenamt Uersfeld wurden hingerichtet. Es bleibt mit Sicherheit zu vermuten, daß dies am Hochgerichtsplatz, am »Galgen von Kötterichen« geschah. Da der fiscalische Ankläger sich auf die Halsgerichtsordnung Karls V. berief, ist davon auszugehen, daß die unschuldigen Bauern »gerädert« wurden.

Rädern war eine grausame Todesart. Der Gefangene wurde gefesselt auf den Boden oder auf eine hölzerne Unterlage gelegt, während der Scharfrichter ein mächtiges Wagenrad solange auf den Körper des Verurteilten warf, bis dessen Knochen alle gebrochen waren. Anschließend konnte man den Gequälten zwischen die Speichen des Rades flechten, aufstellen und den Vögeln als Fraß darbieten.

Die Verurteilten aus dem Virneburgischen (Lirstal; Dürrenbach) wurden trotz ihrer »armen unerlaßene unerzogene Kinder«, trotz des »un-derthänigh umb Gottes willen hochstflehentliches Pittens« des Landes verwiesen. Ganze Familien erlebten schlimmste Not und Elend. ... »... wir alstan in grundt und bodden verderbt, hauß und hoff verlaßhen, zum bettel-staab gerathen undt deß lieben vatterlandts erbärmlicher weiß entweichen . . .«

In memoriam

Ihr Vaterland liebend, den Herrschenden gehorchend, die Heimat gegen fremde Eindringlinge schützend, litten und starben 1620/21: der Schützenführer: Johann Eidom, Uersfeld; die Rottmeister: Adam Gilles, Katzwinkel; Jakob Groß, Hörschhausen; Glas Kremer, Dürrenbach; die Schützen: Theis Kremer, Hausen, (Bruder von Glas Kremer); Theis Riedt, Schultheiß, Uersfeld; Glas Riedt, Uersfeld (= Sohn); Godert (= Gotthard), Hausen; Johann, Schmiedemeister, Hilgersberg; Claß, Hilgers-berg; Kerstgen (= Christian), Ulmen; Lenhard (= Leonhard), Sassen; Jaspar, Mosbruch; ClaßTheisen, Berenbach; Peter Thönnis, Sohn von Johann Th., Uersfeld; Peter Schmidt, Sassen; Peter Schneider, Lirstal; Franz Heinen, Dürrenbach; der Zeuge Gerhard, Hörschhausen; Herr Oster und sein Sohn Theis von Hausen; der Wirt Michel, Kötterichen; der Hofmann von Cachberg sowie deren Familienangehörige.

Wissenswerte Einzelheiten

Manches Detail läßt sich aus den Akten ersehen:

1. Untergegangene Gehöfte: Cachberg und Hilgersberg; beide lagen zwischen Höchstberg (Hausen) und Uersfeld; Flurnamen (Knochenberg, Hillersberg) weisen noch darauf hin.

2. Feuerwaffen:

Über die Funktionstüchtigkeit der damaligen Waffen teilt uns der Nürburger Schreiber Dietherich Bewer mit (freie Übersetzung): »Bezogen auf den 23. Anklagepunkt sagt Lenhard von Sassen aus: Kerstgen (Christian) sei ebenfalls mitgeritten und dieser habe den Verwundeten geleitet und zurückgebracht. An der Hinrichtungsstelle angekommen, sollte Johann der Schmied von Hilgersberg ihn erschießen, doch dessen Gewehr (rhor) habe versagt. Danach schoß der Claß Kremer von Dürrenbach. Der Schuß sei losgegangen, ob er allerdings getroffen habe, könne er nicht sagen. Jaspar von Mosbruch wollte auch schießen, aber dessen Gewehr habe auch versagt. Schließlich hat dann Adam von Katzwinkel, Amt Daun, den Verwundeten erschossen.«

Überfall auf Landleute. Radierung 1645.

3. Pastor Sebastian Agricola: Die namentliche Erwähnung jenes Uersfelder Pastors ist von großer Bedeutung und selbst für das Bistumsarchiv Trier eine »Überraschung«. In Chroniken und Pfarreienbeschreibungen taucht Pastor Sebastian Agricola, geboren in Walsdorf, als Pfarrer von Uersfeld nur für die Zeit von 1610-1616 auf. Danach verlieren sich seine Spuren im Dunkel. Aus einer Fußnote (»concubinarius«) ist zu ersehen, daß er bei der Behörde in Ungnade fiel. Doch am 8. 11. 1620 wird er urkundlich als »Uersfelder Pastor« erwähnt, der bei der standrechtlichen Erschießung der zwölf spanischen Reiter zuge-gen ist und dabei einem jungen Menschen das Leben rettet. Eine mutige und christliche Tat, die seinen Fehltritt mehr als wieder gutmacht.

Was weiß man heute noch von jenem Ereignis?

In den Orten Kötterichen und Hausen (seit 1932 Höchstberg) weiß niemand etwas von dieser Massenexekution. Nie ist ähnliches erzählt, erwähnt oder nur angedeutet worden. Es ist, als sei nie etwas geschehen. Dahingegen wissen alle etwas von dem ehemaligen Galgen bei Kötterichen, kennen den genauen Standpunkt, berichten von Burgen, Sagen und Vorkommnissen, die viele Jahrhunderte länger zurückliegen als der Vorfall von 1620. Die Erklärung kann nur sein, daß das damalige Geschehen so schlimm, peinlich und bedrückend war, daß man nichts mehr davon wissen wollte. Sehr wahrscheinlich fürchtete man auch Repressalien seitens der Spanier und des Kaisers, vermutlich galt ein Mitwisser schon als Mittäter. Zudem waren in den betroffenen Dörfern die Verwandschaftsbeziehungen so, daß häufig viele familiäre Bindungen zu den hingerichteten und ausgewiesenen Bauern bestanden. Daher sollte schnell Gras über diese schreckliche Tat wachsen. Man schwieg, erzählte nichts den Nachkommen weiter, und bald war alles, bis auf den heutigen Tag vergessen.

Bei der Durchsicht der Flurnamen von Kötterichen und Höchstberg konnte aber die Stelle der Exekution gefunden werden. Da ist zwischen beiden Dörfern, je 10 Minuten entfernt, ein Tälchen »Morddeichen« verzeichnet, das sich als »Mordtälchen« erklären läßt. Dicht dabei ein kleiner bewaldeter Berg, der im Volksmund »Hohnerheck« heißt (hinter den Hecken; in der Urkunde: Juffer-Hecken); dicht dabei ein weiterer Waldrücken, im Dialekt »Jeesbüsch« = Geisbüsch genannt (in der Urkunde: = Heisterbüsch).

Ein winziges Rinnsal fließt durch das Mordtälchen, Vogelgezwitscher in »Hohnerheck« und Reste von Schwerspatgruben im Geisbüsch, ein Bild der Ruhe und des Friedens.

Und nichts weist daraufhin, daß hier vor über 300 Jahren Schreckliches geschah.

 

Das Feststellen von fremder

Schuld macht niemals

etwas besser.

                                              Hermann Hesse