Das Reichskammergericht zu Wetzlar

Archivbestände im Landeshauptarchiv Koblenz und deren Bedeutung für den Kreis Daun

Lothar Schun, Lissendorf

Das Reichskammergericht ging aus der persönlichen Rechtsprechung des Königs hervor und wird 1415 erstmals als »judicium camerae« genannt. 1471 wird eine feste Organisation — zunächst nur für Interessen des Königs und des Fiskus — durchgeführt. Vorsitzender war der König oder ein jeweils ernannter Kammerrichter; Beisitzer waren königliche Räte. Dieses sogenannte kgl. Kammergericht wurde 1495 durch den Wormser Reichstag in ein Reichskammergericht mit festem Sitz umgewandelt. Maximilian l. löste es jedoch mehrmals auf und errichtete es neu. Sitz war Frankfurt und Worms, bis es 1527 in Speyer eingerichtet wurde. Dort verblieb es bis 1689. Von da an bis 1806 war der Sitz in Wetzlar. Dort war 1772 auch Goethe am Reichskammergericht tätig.

Es handelte sich um das höchste deutsche Reichsgericht und war zuständig für die 1. und letzte Instanz für Landfriedensbruch, Prozesse gegen Reichsunmittelbare, für Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung.

Es war aber auch zuständig für Berufungen aus den Territorien und so kann man annehmen, daß auch Orte aus dem heutigen Kreis Daun direkt oder indirekt an Prozessen des Reichskammergerichts beteiligt waren.

Tatsächlich beweist ein Blick in den Bestand 56 des Landeshauptarchivs Koblenz mit einem Teil der Akten diese Annahme.

Viele Unterlagen weisen Grafen von Manderscheid als Kläger aus; ein Großteil davon betrifft Streitigkeiten innerhalb des eigenen Geschlechts. Allein über Auseinandersetzungen zwischen Graf Dietrich von Manderscheid zu Blankenheim gegen Graf Hans Gerhard von Manderscheid zu Gerolstein gibt es mehr als10 Prozessakten, in denen Graf Dietrich als Kläger auftritt.

Hier eine kleine Auswahl daraus, mit dem Jahr des Prozeßbeginns:

1561  wegen Einfalls in das Dorf Pelm, welches zur klägerischen Herrschaft Kerpen gehörte

1567 wegen klägerischen Zolls zu Üxheim in der Herrschaft Kasselburg auf der Straße bei Nohn und Ahrdorf 1591 wegen            Anmaßung der Jurisdiktion (Gerichtsbarkeit) seitens des Schultheißen des Beklagten zu Lissendorf über den zur klägerischen Herrschaft gehörenden Hof bei Basberg

1574 wegen Einfalls in das Dorf Scheuern (diese Klage richtete sich auch gegen die Beamten des Grafen Hans Gerhard in Gerolstein und Bettingen, sowie seine Förster zu Duppach)

1566 wegen Arrestanlage auf die Früchte der klägerischen Gemeinde Scheuern durch den Schultheiß des Beklagten zu Stadtkyll.

Insbesondere der Ort Scheuern stand sehr oft im Mittelpunkt von Auseinandersetzungen; allein drei Überfälle auf den Ort wurden in Wetzlar verhandelt. Der letzte dieser drei Fälle wurde 1595 durch den Kläger Graf Philip von der Mark eingereicht. Beklagte waren Graf Hans Gerhard von Manderscheid zu Stadtkyll und seine Befehlshaber zu Gerolstein und Untertanen zu Lissendorf.

Auch Streitigkeiten zwischen Gemeinden sind im Bestand zu finden. So z. B. die Klage der Gemeinde Lissendorf gegen die Gemeinde Birgel wegen Brennholzrechts im »Lissendorfer Busch« aus dem Jahre 1766. In diesem Fall handelte es sich um eine Berufung gegen die Entscheidung des Landschultheißenamtes Gerolstein.

Die Anlässe für die Streitigkeiten reichen vom Aschenhandel über Ehebruch, Gemeindestier, Kartoffelzehnt, Schweinemast und Taufbuch bis zum Zunftbrauch; mehr als 500 Begriffe umfaßt das Sachregister des Repertoriums der Akten. Ein Blick in das Ortsregister zeigt, welche Ortschaften des Kreises Daun beteiligt sind: Basberg, Berlingen, Berndorf, Birgel, Birresborn, Bongard, Daun, Demerath, Dockweiler, Esch, Gees, Gerolstein, Gemünden, Gillesfeld, Gönnersdorf, Hillesheim, Hinterhausen, Immerath, Kelberg, Kerpen, Lissendorf, Lissingen, Müllenborn, Mürlenbach, Neroth, Niederehe, Nohn, Pelm, Retterath, Salm, Sarresdorf, Schalkenmehren, Stadtkyll, Steffeln, Strotzbüsch, Uess, Üxheim, Weidenbach.

Leider ist dieser Bestand von vielen Heimatforschern bisher nicht beachtet worden. Dies ist aber verständlich, denn wer vermutet schon hinter dem Begriff »Akten des Reichskammergerichts Wetzlar« Unterlagen, die auch sehr kleine Orte betreffen.

Neben den eigentlichen Prozeßakten, sind es vor allem die darin enthaltenen Urkunden (Originale oder Abschriften), Vollmachten, Listen oder Karten, die eine wahre Fundgrube darstellen.

Auch hierzu seien einige Beispiele aufgeführt, wobei die Zahl die Signatur des Landeshauptarchivs innerhalb des Bestandes 56 angibt:

Nr. 1482 Schiedsspruch des Herzogs von Jü-lich im Streit der Parteien wegen des Dorfs Scheuern vom 65. Juli 1567 und die Vollmacht einiger Einwohner Scheuerns vom 9. November 1576

Nr. 1508 Schöffenweistum der Dörfer Roth und Scheuern von 1575 Nr. 1715 Lehensbriefe der Grafen von Manderscheid über die Güter zu Lissendorf und Birgel

Nr. 752 Güterverzeichnis von Gerolstein 1769, Kontributionsregister von Gerolstein, Verteilung der Schulden von Gerolstein auf die Bürger 1712, Begang der Grenzen zwischen Glaadt und Esch 12.3. 1687

Nr. 429 Auszug aus dem Dauner Saalbuch Nr. 526 Verzeichnis der angehörigen Leute des Kurfürsten von Trier zu Gillenfeld, Auszüge aus Gillenfeldern Weistümern

Nr. 1477 Urfehde des Ciricas Weber und Consorten zu Scheuern vom 8. März 1580

Nr. 1476 Urfehde des Henr. Hans zu Müllenborn 1577

Nr. 3058 Hans Gehard Graf zu Manderscheid-Blankenheim an die Untertanen des Dorfes Steffeln wegen Ablehnung der Ansprüche des Philipp von der Mark 25. Oktober 1593

Nr. 2043 Abschrift eines Amtsbuchs von Schönecken, Schönberg und Hillesheim 1533- 1540

Im allgemeinen enthalten die Akten keine Urteile. Diese sind vielmehr — getrennt von den übrigen Prozeßakten — in Urteilsbüchern eingetragen.

Da die Akten des Reichskammergerichts nach dem Regionalprinzip auf verschiedene Archive aufgeteilt sind und die Urteilsbücher nicht entsprechend aufgeteilt werden können, wurde hierfür eine zentrale Aufbewahrung bestimmt: Das Bundesarchiv, Außenstelle Frankfurt. Hier sind die Urteilsbücher seit 1684 vollständig überliefert. Die Ermittlung von Urteilen vor diesem Termin ist rein zufällig. Neben der Bedeutung des Bestandes für die Rechtsgeschichte und Territorialgeschichte sei abschließend noch auf die Familienforschung hingewiesen, die auch ihren Nutzen aus den Unterlagen ziehen kann

benutzte Literatur:

Otto Graf von Looz-Corswaren und Hellmuth Scheidt »Repertorium der Akten des ehemaligen Reichskammergerichts im Staatsarchiv Koblenz«, Koblenz 1957

Eugen Haberkern und Joseph Friedrich Wallach »Hilfswörterbuch für Historiker«, München 1980

Freundliche Mitteilung Bundesarchiv, Außenstelle Frankfurt