Ein »Komet« über der Landratur

Da fuhr Engelbert der Schreck in die Glieder

Franz Josef Ferber, Daun

 

Bestimmt, er war ein guter Kerl und ein prächtiger Kollege, der Engelbert. Im alten Kreishaus galt er als ein hervorragender Schaffer. Seines geradezu vorbildlichen Fleißes wegen wurde er von seinen Vorgesetzten stets gelobt. Von morgens früh bis abends spät saß er — es war Ende der 1950er Jahre — im ersten Stockwerk des alten Landratsamtes und hämmerte auf seiner Schreibmaschine, einer altmodischen, was das Zeug hielt. Hier und da vertippte er sich. Dann brach er, in seiner dörflichen Mundart (»Morr könnt' rieecht önn de Loft seh—!«), in derbes Fluchen aus. Darüber fuhren seine Zimmerkollegen jedesmal erschrocken zusammen.

Nun, wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten, sagte Goethe. Engelbert hatte auch seine Schwächen. Diese machten ihn eigentlich erst recht sympathisch. Seinem jugendlichen Alter war es wohl zuzuschreiben, daß er sich hin und wieder ziemlich leichtsinnig verhielt. Oft war er gekennzeichnet von Mopedstürzen. Hierin, so spottete man gelegentlich, gehöre er auf die Liste der Weltrekordler. Und zudem war Engelbert dem Nikotin stark zugetan; die Zigarette im Mundwinkel gehörte sozusagen zu seinen Persönlichkeitsmerkmalen. Das alles wäre ihm, und nicht nur ihm, um Haaresbreite zum Verhängnis geworden.

Für Zigarettenpausen, darüber wunderte sich niemand, nahm sich der junge landrätliche Angestellte meistens keine Zeit. Dafür war er eben zu diensteifrig, und so viele Pausen wären, selbst in der Verwaltung, weiß Gott kaum zu verkraften gewesen. Also paffte Engelbert seine Glimmstengel während des Maschinenschreibens. Mit der Asche hatte er gar keine Probleme; er ließ sie sorglos fallen, auf die Maschinentastatur, auf seine Hose oder auf den Boden. Und der Zigarettenkippen entledigte er sich ebenfalls auf seine unkomplizierte und wenig zeitraubende Weise; er spuckte sie einfach in den Papierkorb. Dadurch ersparte er es sich, den Schreibfluß zu unterbrechen. Das war jedoch, wie sich herausstellen sollte, Sparen am falschen Ende. Denn eines guten Tages, wen wunderte es, stand der Papierkorb samt Inhalt lichterloh in Flammen.

Das brachte nun auch den dienstbeflissenen Engelbert arg in Bedrängnis. Trotzdem, er blieb erstaunlich gefaßt. Geistesgegenwärtig riß er das Fenster auf, packte den lodernden Papierkorb am Fraß und warf ihn in hohem Bogen hinaus ins Freie. Gleich einem Komet schwebte das flammende Relikt zur Erde nieder. Unten im Hof angekommen, machte es sich direkt neben der hauseigenen Tankstelle gemächlich breit. Der Retter in höchster Not, wer hätte es wohl anders sein können, als der, der immer da war, wenn er gebraucht wurde: Steinebach's Fritz, der Hausmeister. Er holte eiligst einen Eimer Wasser herbei und goß ihn über den gefährlichen Boten aus Engelberts Büro.

Doch ein Unglück, so sagt man, kommt selten allein. Dank der prompten Hilfe des treuen Hausmeisters kam die Tankstelle nicht zum Explodieren. Dafür aber schritt, ausgerechnet zur selben Zeit, der Hausherr, Landrat Martinus, über den Hof und mußte entsetzten Auges das Schauspiel mitansehen, das ihm sein junger Mitarbeiter inszenierte. Der Chef des Hauses, ansonsten dem Humor nie abgeneigt, gab zu erkennen: Dieses Lustspiel, das beinahe zum Trauerspiel geworden wäre, gefiel ihm ganz und gar nicht. Und er sagte es auch in der gehörigen Deutlichkeit dem schreckensbleichen Engelbert, den man gleich danach verdattert ins Landratsbüro eilen sah, daß solcher Art Freilichttheater als Kulturdarbietung der land-rätlichen Verwaltung absolut ungeeignet und deshalb unerwünscht sei. Und, so der besorgte Hausherr weiter, wenn er schon von seinem Mitarbeiter so aufmerksam und freudig begrüßt werde, dann erbäte er sich zum Zeichen der Zuneigung keinen Flammenwerfer, sondern sinnvollerweise Blumen .. .

Zeichung: Adolf Molitor, Konz-Niedermennig