Irrfahrt durch die Dunkelheit

Wie in den sechziger Jahren »gependelt« wurde

 

Reinhard Steffens, Berenbach

 

Es war zu Beginn der sechziger Jahre. Die Arbeitsmöglichkeiten in den meisten Eifeldörfern waren gering. Viele Familien ernährten sich noch ausschließlich vom Ackerbau, wie es bereits ihre Vorfahren getan hatten. Wer Geld verdienen wollte mußte in die großen Städte am Rande der Eifel fahren, um hier eine Beschäftigung beim Straßenbau oder in den Fabriken zu suchen.

In dieser Situation befanden sich auch Erich und sein Bruder Reiner, beide wohnhaft in einem kleinen Ort im oberen Uessbachtal. Erich hatte gerade den Führerschein gemacht und von seinem Nachbarn ein kleines Automobil der Marke Lloyd erstanden. Zwar war dieses Gefährt nicht mehr das Neueste und zeigte bereits einige Mängel, doch das kümmerte seinen Käufer wenig, da dieser einiges vom Innenleben eines Autos verstand. Der Motor lief ja noch und das war die Hauptsache.

Eines morgens in aller Frühe machten sich die beiden Brüder mit ihrem Freund Günther auf und fuhren in Richtung Köln, um dort nach Arbeit zu suchen. Reiner saß auf dem Beifahrersitz. Immer wenn sein Bruder in die höchste Getriebestufe schaltete, mußte er den Schalthebel festhalten, damit der Gang nicht während der Fahrt heraussprang. Erfinderisch wie Erich war, behob er diesen Mißstand später indem er eine Astgabel unter den Hebel klemmte. Hierdurch wurde das Fahren im dritten Gang auch ohne Beifahrer möglich. So fuhren die drei nun der Ahr entlang und kamen frohen Mutes in Köln an. Hier wurden sie gleich zu Beginn mit dem dichten Verkehr der Großstadt konfrontiert und es kostete einige Mühe sich an den vielen Kreuzungen zurechtzufinden. Da sie nicht wußten welche Betriebe noch Arbeitskräfte einstellten, fragten sie einfach in den Firmen nach, an denen ihr Weg zufällig vorbeiführte. Ihr Bemühen blieb jedoch ohne jeglichen Erfolg.

Überall wurden sie abgewiesen. Des Suchens müde, gab Günther schließlich auf und fuhr mit der Bahn unverrichteter Dinge wieder nach Hause. Erich und sein Bruder aber suchten weiter. Gegen Abend hatten sie endlich Glück. Sie fanden Beschäftigung bei einer Straßenbaufirma und konnten gleich am nächsten Tag dort anfangen. Mit ihrem Wagen fuhren beide nun jeden Montag zur Arbeit und kehrten am Wochenende in die Eifel zurück.

An einem Montagmorgen gegen fünf Uhr sollte es wieder zur Arbeit gehen, dieses Mal mit einem VW Käfer, den Erich günstig erworben hatte. Es war noch stockdunkel. Reiner, der jetzt auch den Führerschein besaß, stieg in den Wagen ein, und nach kurzem Starten sprang der Motor an. Dann zog er den Schalter für das Fahrlicht. Doch was mußte er nun mit Entsetzen feststellen? Das Licht brannte nicht! Was tun? Nach dem Fehler suchen würde zu lange aufhalten und man käme zu spät zur Arbeit. Da es ja sowieso einige Stunden später hell werden würde, entschlossen sich beide ohne Licht loszufahren. Etwas zögernd legte Reiner den ersten Gang ein und setzte das Fahrzeug langsam in Bewegung. Krampfhaft versuchte er sich in der Dunkelheit zu orientieren. Nach wenigen Metern trat er plötzlich auf die Bremse. Beide machten einen kräftigen Satz nach vorne und der Wagen stand. »Batt ess daa weile loss«, rief Erich entsetzt? »Mir ston vier em Kump«, kam die Antwort zurück. Sie stiegen aus und mußten staunend erkennen, daß ihr Käfer im Hof des Nachbarn vor einem steinernen Kuhtrog zum Stehen gekommen war. »Nau laß de mech awa ees forre«, meinte Erich verärgert. Selbstsicher begab er sich ans Steuer und beide setzten ihren Ungewissen Weg durch die Nacht fort.

Zeichnung von Adolf Molitor, Konz.

Die Nase dicht an die Windschutzscheibe gepreßt saß Erich auf seinem Sitz. Er steuerte sein Fahrzeug so, daß die weiße Mittellinie der Straßenmarkierung genau zwischen den beiden Vorderrädern verlief und hoffte auf diese Weise der Straßenführung folgen zu können. Früh morgens um diese Zeit würde schon niemand unterwegs sein mit dem sie zusammenstoßen könnten, dachte er bei sich und fuhr unbesorgt dahin.

Doch plötzlich, es war am Ausgang des Dorfes, wurde ihr Auto von einem heftigen, dumpfen Schlag erschüttert und beide prallten mit dem Gesicht gegen die Frontscheibe. Mit geschwollenen Lippen und Beulen am Kopf entstiegen sie ihrem Volkswagen und sahen was geschehen war. Erich hatte den weiß gestrichenen Holzpfosten eines Straßenschildes für die mittlere Fahrbahnmarkierung gehalten und war geradewegs darauf zu gefahren. Die vordere Stoßstange war vom Aufprall erheblich eingebeult und das Hinweisschild hing schief. Kritisch betrachteten beide die verfahrene Situation. Da kam Erich eine Idee. »Weile jeeste ees flott heem en Täschelamp holle, dornet ma jett Licht hey honn«, befahl er seinem Bruder! Zögernd machte sich dieser auf den Heimweg und kam kurze Zeit später erwartungsvoll mit einer kleinen Taschenlampe zurück. Nach kurzem Gedankenaustausch setzten beide ihre Fahrt fort. Während sein Bruder steuerte, mußte Reiner nun mit der Lampe aus dem Seitenfenster auf die Fahrbahn leuchten. Dem schwachen Lichtschein langsam folgend, legten sie Kilometer um Kilometer zurück. Erst ganz allmählich, es war schon fast hell, kam ihnen der Gedanke, doch endlich anzuhalten und nach der Ursache des Lichtausfalles zu forschen. So wurde die nächste Tankstelle angefahren. Bei der näheren Untersuchung des Fahrzeuges mußte festgestellt werden, daß lediglich eine Sicherung durchgebrannt war. »Hält ech datt freeha jewoßt«, meinte Erich verärgert, »die hätt ech doch daheem flott mett 'nem Steck Stannijolpabeija flecke kinne«. Verspätet erreichten beide schließlich ihre Arbeitsstelle.