Natur und Landschaft

Der Wald in der Eifel ist krank

Er darf nicht zum sterbenden Wald werden

Dr. J. Wenzel, Daun

 

Seit dem Sommer 1983 ist kein Zweifel mehr möglich, auch im Kreis Daun ist der Wald krank. Die Hoffnung, daß die ringsum auftretenden Schäden die Eifel verschonen würden, war Illusion. Der Wald ist mit einem Organismus vergleichbar: Zunehmende Überbelastung wird so lange verdeckt, bis sie auf einmal sichtbar wird. Wenn man sich dann an diese Warnzeichen gewöhnt, ist damit der sichere Weg zum Zusammenbruch beschritten.

So wurden die Vorgänge in unseren östlichen Nachbarstaaten zunächst verschwiegen, aus den Ereignissen in manchen deutschen Mittelgebirgen keine Konsequenzen gezogen, bis bei einer systematischen Ermittlung 1983 auch im Kreis Daun festgestellt wurde, daß schon jeder vierte Baum Krankheitszeichen aufweist. Jetzt kommt es darauf an, die weitere Ausweitung zu verhindern. Ein kranker Baum wird nicht wieder gesund, er lebt zwar noch einige Zeit, macht im Frühjahr jeweils Nottriebe, die den unkundigen Beobachter täuschen, bis er allmählich abstirbt. Dann wird er sehr schnell ausgehauen, um die Verbreitung von Schadinsekten zu vermeiden und der Waldbesucher erkennt nicht mehr, was sich da ereignet hat.

Deshalb sei an einige der Krankheitszeichen erinnert, die jeder kennen sollte. Zunächst zeigt sich eine schwächere Benadelung oder Belaubung. Eine Altbuche, die in der Krone durchsichtig wird, ist krank. Man erkennt beim genauen Hinsehen mangelhaft belaubte Endtriebe, meist sind die Blätter verkleinert, lederartig verändert und an den Rändern aufgerollt. Die Nadeln einer gesunden Fichte leben 6 Jahre, bis sie abgeworfen werden. Kranke Fichten werfen die älteren Nadeljahrgänge zu früh ab, die Krone wird von innen heraus durchsichtig, dünne Zweige werden dann kahl, die Jahrestriebe immer kürzer und die Nottriebe geben den Ästen ein struppiges Aussehen. Dieses sind einige der Erscheinungen, die objektiv festgestellt und von herkömmlichen Krankheitsbildern unterschieden werden können. Sie konzentrieren sich besonders auf windzugewendete Bestandsränder und Höhenlagen. Ältere und größere Bäume, die den Belastungen am längsten und am stärksten ausgesetzt sind, werden zuerst krank.

Die Ursachen dieser Waldkrankheit beruhen grundsätzlich im menschlichen Fehlverhalten, da man meint, die umgebende Natur sei unerschöpflich belastbar, und eine allmähliche Schadentwicklung wird gern übersehen. Aus Gewohnheit und vielen eingelaufenen Zwängen wird dann eine notwendige Änderung in eine unbestimmte Zukunft verschoben.

Es wurden nicht nur im Altertum durch allmähliche Entwaldung weite Gebiete zu unfruchtbaren Steppen. Auch in der Gegenwart führt die unbekümmerte Vernichtung des Tropenwaldes bereits erkennbar zu einer Katastrophe. In der Eifel hatte in früheren Jahrhunderten bereits einmal eine langsame, zunächst unbemerkte Entwaldung zu schweren Schäden geführt. Vor wenigen Jahrzehnten hatte die sprunghaft steigende Belastung der Gewässer viele Flüsse in Kloaken verwandelt. Aber genauso, wie man die Renigung der Abwässer als Aufgabe begriff und tatkräftig mit der Lösung begann, muß man heute auch erkennen, daß unsere Lufthülle keine unbeschränkte Deponie von Schadstoffen ist.

Bei fortgeschrittener Krankheit ist der Nadelverlust der Fichte so stark, daß ein »Loch« in der Krone erscheint.

Sterbende Fichte

Trotz der gefährlichen Verwirrung von Informationen ist es heute sicher, daß Schadstoffe in der Luft, insbesondere Schwefeldioxyd und die Abkömmlinge der Stickoxyde, die wesentlichen Ursachen für die Erkrankung der Wälder sind. Dabei ist es gleichgültig, ob diese Schadstoffe den natürlichen Verdunstungsschutz der Blätter zerstören und deshalb die Bäume austrocknen oder ob darüber hinaus auch die direkte Zerstörung der Chlorophyllkörper einen wesentlichen Anteil am Krankheitsfortschritt hat oder wie weit durch ein Zusammenwirken der beiden Schadstoffgruppen bzw. ein Hinzukommen von anderen Luftschadstoffen der Krankheitsverlauf beschleunigt wird. Das ist alles nicht so entscheidend wie die eindeutige Feststellung der Ursachen selbst und deren Folgen. Ebenso bekannt sind die Quellen der Schadstoffe mit dem weit überwiegenden Anteil aus Großfeuerungsanlagen und dem Kraftfahrzeugverkehr.

Mit der Schädigung des Waldes steht nicht nur ein Wirtschaftszweig auf dem Spiel, obwohl dieses allein schon beachtlich wäre, denn der Wert des bewirtschafteten Waldes im Kreis Daun übersteigt weit den Betrag von einer Milliarde Mark. Viel wichtiger sind aber die Schäden für unseren natürlichen Lebensraum:

Durch das Holzwachstum wird das schädliche Kohlendioxyd aus der Luft entzogen und der lebensnotwendige Sauerstoff in die Atmosphäre abgegeben, und zwar in vielfachem Maße wie bei allen anderen Vegetationsformen; der Wasserhaushalt und auch die Luftfeuchtigkeit erfahren einen Ausgleich; das örtliche Klima wird entscheidend beeinflußt; schließlich erfolgt durch den Filter eines Kronenraums im Altbestand eine Verwirbelung und Auskämmung der Luft, die wegen der Höhe und der großen organischen Oberfläche hundertmal wirkungsvoller ist als bei anderen Vegetationsformen.

Entlaubte Endtriebe zeigen bei der Buche ein fortgeschrittenes Stadium der Erkrankung an.

Laubverdünnung in der ganzen Krone, sterbende Buche. Fotos: Kurt Caspar/, im Juli 1984

So wird es verständlich, daß der Wald mit dieser intensiven Filterwirkung bald überlastet ist und mit dem Reinigungsprozeß sich selbst aufopfert. Dann wird auch der Rahmen unserer reich gegliederten Landschaft allmählich immer mehr gefährdet.

Diesen Gefahren zu begegnen, bedarf es allerdings unangenehmer Anstrengungen und des Zwanges, Ansprüche und Gewohnheiten aufzugeben. Das ist sehr schwierig. In das Sensationsbedürfnis, das durch moderne Medien immer mehr angestachelt wird, paßt nicht das Erkennen eines langfristigen Vorgangs. Die gefährliche Entwicklung bei der Erkrankung des Waldes wäre noch abwendbar, wenn sie nicht so heimtückisch voranschreiten würde. So kommt der letztlich betroffene Mensch in die Versuchung, zum uninteressierten Zuschauer zu werden.

Die vielfältige Verflochtenheit natürlicher Lebensvorgänge lassen gelegentlich Deutungen zu, die geeignet sind, die erkannten Grundlagen in den Hintergrund zu drängen und dann einen Vorwand bieten, dringende Entscheidungen in die Zukunft zu verschieben. Politische Lösungen, die sich sehr eingehend damit befassen, was einmal geschehen kann, wenn der Wald vernichtet ist und dann wieder aufgebaut werden müßte, bergen die Gefahr, von den gegenwärtigen Rettungsmöglichkeiten abzulenken.

Es wird auch heute noch zu wenig beachtet, daß nach einem zerstörten Wald der Boden unwiederbringlich geschädigt bleibt. Die von den Baumkronen ausgefilterten Schadstoffe werden dann durch Regen abgespült. So wird die Schadstoffkonzentration des von Bäumen abtropfenden Wassers fünf- bis zehnmal größer als bei Niederschlägen im Freiland. Die abgeschwaschenen Schadstoffe verbleiben aber im Waldboden, verderben das lange Zeit gewachsene natürliche Bodengefüge mit den wichtigen Kleinlebenwesen, und es gibt danach keine praktikable Möglichkeit einer künstlichen Verbesserung solcher Bodenschäden.

Wir leben in der Gefahr, daß jede Hoffnung auf eine billige Lösung oder jeder Vorwand für eine Verschiebung der Probleme willig aufgegriffen wird, um den bequemen Weg zu gehen und die

bisher sicher erkannten Zusammenhänge zu ignorieren.

Der Wald ist zwar krank, aber er liegt noch nicht im Sterben. Es ist durchaus noch an der Zeit, die gefährliche Entwicklung zu bremsen und die Schadstoffbelastung schnell und drastisch zu verringern. Nur ist dann unbequemes Handeln erforderlicher als trostreiche Versprechungen.

Vor nunmehr einigen Jahrhunderten hat man aus der gesicherten Erfahrung gehandelt und dadurch war die Pest in Mitteleuropa bereits hundert Jahre lang erloschen bevor man den Pesterreger entdeckte.

Warum verschieben wir heute immer noch die Konsequenzen aus bekannten Zusammenhängen? Soll der kranke Wald erst zum sterbenden Wald werden, wie es bereits in unserer unmittelbaren Nachbarschaft geschehen ist?

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