Hilfe, ich suche einen Molch !

Nachdenkliches zum Natur- und Tierschutz

Alois Mayer, Daun-Pützborn

 

» Du, Pappi,.....«, sagte mein Sohn, als er kürzlich aus der Schule kam. Mir schwante angesichts seines flehentlichen Tones bereits Schlimmes. In Gedanken hakte ich alle meine Versicherungen ab, erinnerte mich dann aber an die pädagogische Forderung nach freimütiger Großzügigkeit und ermunterte meinen Sprößling:

»Ja, bitte, wo drückt dich denn der Schuh?«

»Du, Pappi, unsere Lehrerin hat gesagt, einer von uns (-damit meinte er seine Mitschüler-) soll für den Sachkundeunterricht einen Molch mitbringen. Wir sprechen im Moment darüber und in der Klasse wollen wir uns ein solches Tier anschauen wie es krabbelt, schwimmt und so. Und weil du ja immer von früher erzählst, hab' ich mich gemeldet und gesagt, daß ich einen Molch mitbringe, weil mein Pappi weiß, wo solche sind.« Dann schwieg er, holte tief Luft und schaute mich mit erwartungsvollen Augen an.

Mir fiel ein Stein vom Herzen, das nun vorwurfsvoll schneller schlug, weil mein Vertrauen in meinen Nachwuchs nicht das größte gewesen war. Wie Seifenblasen zerplatzten die grauen Angstvorstellungen von zersplitterten Fensterscheiben, blutigen Kindernasen und von mathematischen Primzahlenlösungsmengen. Väterlicher Stolz schwellte meine Brust ob des tiefen Glaubens meines Drittkläßlers in meine naturverbundenen Fähigkeiten. Ja, das nennt man Erziehung. Als einziger durfte ich stellvertretend für alle Väter den Anschauungsunterricht meines Sprosses durch mein naturkundliches Wissen beleben und bereichern! »Aber ja doch, mein Sohn!« erklang in weichstem Baß meine Stimme. »Ich werde dir helfen. Ihr sollt Molche haben, große und kleine, Männchen und Weibchen. Du hast recht getan, mich zu benennen. Keiner kennt sich mit Molchen besser aus als dein Vater! Weißt du, früher, als ich noch jung war, da haben wir massenweise Molche in Konservendosen gehalten! Gewettet haben wir, welches Tier zuerst auftaucht oder am längsten unter Wasser bleibt. Geh mir bitte meine Stiefel holen und bringe auch gleich eine leere Dose, noch besser, einen Eimer mit!«

Mein Erstgeborener sollte stolz auf mich sein, wenn er morgen seinen Klassenkameraden zeigen würde, was sein Vater alles vermochte. Mit Eimer und Stiefel bewaffnet machten wir uns auf zu Franzens Wiese, dort, wo wir früher als Kinder soviel Spaß an den mit Wasser und Abfall vollgefüllten Bombentrichtern hatten. Was schwabbelte es dort an Laich und wie viele Molche — Wassereidechsen nannten wir sie — tauchten dort auf, ließen für einen Moment ihre roten Bäuche erkennen und sanken wieder ab in den trüben Tümpel.

Nun, daß sich Zeiten, Sitten und Menschen ändern, war mir bekannt, doch daß aus Franzens Wiese ein Kartoffelacker geworden war, der nirgends einen Tümpel aufwies, geschweige denn schemenhaft jene Stellen einstiger wassergefüllter Trichter nur ahnen ließ, das war mir neu.

»Nun ja,« erklärte ich meinem Sohn, »es ist meine Schuld. Hätte ich nur eher nachgedacht über die Beseitigung aller Kriegsschäden, dann hätten wir uns diesen Gang sparen können. Dann wären wir sofort zu Müllischen gegangen, wo sich da oben ein tiefer und breiter Mühlengraben am Abhang vorbei zur stillgelegten Mühle hinzieht.«

Der Weg dorthin war auch nicht allzu weit. Bereits nach einer halben Stunde langten wir an. Kurz darauf fand ich auch den Mühlengraben, das heißt, das was von ihm übriggeblieben war: Genau zwei Meter, alles andere war zugeschüttet und abgesandet. Ein kleiner Fußweg war entstanden, der zu dem Neubaugebiet führte. Ich stocherte im restlichen Graben, wühlte mich durch verrostete Dosen und Matratzen, konnte meinem Sohn ein Mäusenest in einem kaputten Fernsehapparat zeigen und die Mode von früher erklären, wie sie in Stapeln uralter zerfledderter Illustrierten abgebildet war.

»Eigentlich wollte ich ja Molche sehen!« unterbrach mich mein Sohn mit einem eigentümlichen Klang in der Stimme. Mir kam er sehr ironisch vor. Den leeren Eimer schwenkte er lustlos hin und her. Aus einem Wiedergutmachungsgefühl heraus, lud ich ihn auf eine Limo in jene Wirtschaft ein, die in Erinnerung an ihre einstige Bestimmung »Zur alten Mühle« hieß. Vorsichtshalber frug ich flüsternd den Wirt nach weiteren möglichen Feuchtgebieten: auf Schmittens Pesch stand nun ein Verwaltungsgebäude; aus der sumpfigen Wiese von Hennessen (»Der hat vielleicht viel Geld für die saure Wiese bekommen!«) wurde ein großer Parkplatz; den kleinen Hatzenbach hatte man total verrohrt, damit die neue Straße ohne Brücken gebaut werden konnte, aber Kaulquappen oder Wassersalamander (»Wie nennen Sie die? Molche?«) müßte es doch noch genug geben. Man sollte mal auf jener gänzlich nassen Wiese gucken, da oben unter dem Eichenbüsch, wo die vielen Quellen entspringen! Das war eine gute Idee und mit hoffnungsvollem Blick wandte ich mich an meinen Filius:» Komm, ich weiß jetzt eine Stelle, wo wir Molche finden. Nicht verzagen — Papa fragen!«

Mit einem tiefen Seufzer stand mein Junge auf und verließ die Gaststätte. Ich rief ihm noch nach: »Du hast den Eimer vergessen!« Er drehte sich um und fragte tonlos: »Bist du sicher, daß wir ihn noch brauchen?« Mein väterliches Herz krampfte; ich spürte deutlich, wie die stolze Mauer meiner Autorität abbröckelte, doch ich gab mich nicht geschlagen.

»Aber mein Junge, was du auch denkst?! Natürlich finden wir Molche, und wenn wir dann einen haben, dann soll der auch genügend Platz im Eimer haben. Weißt du, früher. . .« Doch da war mein Sohn schon außer Hörweite. »Ist das hier die nasse Wiese?« fragte er drei Kilometer später.

»Ja, das ist sie, genau hier«, antwortete ich und bewegte meine wundgelaufenen Zehen in den Stiefeln.

»Aber ich sehe keine Quellen! Ich sehe überhaupt nichts Nasses! Im Gegenteil, die Wiese ist ganz trocken!« Und zum Beweis legte sich doch der Kerl der Länge nach ins Gras. In der Tat, die Wiese war trocken und eben. Frisches saftiges Grün wuchs an Maulwurfshügeln empor. Nur Wasser war nicht zu sehen außer in den Augen meines Kindes. Welch großer kindlicher Schmerz schimmerte mir da entgegen und unwillkürlich fiel mit das Bibelzitat ein: »Wer nur einen von diesen Kleinen verführt, dem soll man einen schweren Stein um den Hals hängen und tief ins Meer stürzen.« Leicht gesagt, diese Meerestiefe, noch nicht mal knöcheltiefes Wasser war zu finden.

»Aber ich höre es doch gluckern,« behauptete ich, rannte verzweifelt dem Geräusch zu wie ein Verdurstender einer Oase. Und tatsächlich, da unten am Rande der Wiese sprudelte reines, frisches, kristallklares Quellwasser aus sechs hübschen Plastikrohren, die die Wiese dränierten, versickerte in einem Kanalschacht, verschwand, einfach so ohne auch nur die geringste Spur von Molchen anzudeuten. Das laute Weinen meines Jungen störte nun doch die friedliche Stille der Natur. Ich frage mich im Stillen, was das Flennen überhaupt sollte? Er hatte sich die Suppe doch selber eingebrockt. Nun sollte er sie auch selber auslöffeln. Warum mußte er auch so vorlaut sein und sich in der Schule melden, um solche Viehcher mitzubringen. Das war doch im Grunde genommen die Aufgabe der Lehrerin, sich um Anschauungsmaterial zu kümmern. Warum mußte mein Junge mich auch in die ganze Sache miteinbeziehen? Gab es nicht genügend andere Väter? Überhaupt gehört dies sicherlich auch in den Aufgabenbereich eines Klassenelternsprechers! Man sollte das Thema unbedingt bei der nächsten Elternversammlung ansprechen!

Die kommende halbe Stunde trug ich meinen Burschen auf den Schultern. Er sollte spüren, daß die Liebe eines Vaters allen Unbilden der Natur und Kultur trotzt, auch wenn meine Füße genauso schmerzten wie die meines Jungen. Bald war der kleine Bach erreicht, der früher Ziel von ausgelassenen Spielen war, wo es in den Tümpeln nur so von Fischbrut und Wasserspinnen wimmelte und unter den Steinen mancher Flußkrebs zum Vorschein kam. Es wäre doch gelacht, wenn hier nicht ein einziger Molch, und wäre er noch so klein, zu finden wäre.

Ich kam nicht zum Lachen, denn aus dem kleinen erlenbestandenen kurvenreichen Bächlein war ein schnurgerades Rinnsal geworden, das in seinem Betonkorsett gar nicht munter plätschernd dem Tal entgegenstrebte. »Ich versteh das nicht, gerade hier, da haben wir früher. . .« entschuldigte ich mich bei meinem Kleinen, und um es ihm zu beweisen, griff ich an jene Stelle von einst, zog jedoch schnell meine Hand wieder zurück und einen Glassplitter aus dem blutenden Finger.

Wir beide sprachen kein Wort in dem Taxi, das uns zurückbrachte. Gedanken wirbelten durch meinen Kopf, bestrebt einen ehrenrettenden Ausweg zu finden. Den Eimer hatte mein Junge längst irgendwo stehen lassen. Hoffentlich fiel ihm nicht das Märchen ein, in dem es heißt: »Ihr Molche schwimmet alle fort, Hans Großmaul kommt an diesen Ort . . .« Doch wer ein treues Vaterherz kennt, weiß auch, wie verzweifelt es nach Lösungen strebt. Was nützt einem da der schnöde Mammon und das Luxusauto, wenn man nicht einmal imstande ist, einen einzigen jämmerlichen Molch zu finden. Und ausgerechnet morgen brauchte mein Schulkind das Anschauungsobjekt. Bei mehr Zeit hätte man ja einen Molch über eine Tierhandlung oder über den Zoo beziehen können. Ich glaube, die Lehrerin hat sadistische Tendenzen, denn die Ultimaten von Bankräubern und Terroristen sind bedeutend länger! Der Taxifahrer mußte ausweichen. Dicht am Straßengraben ging es vorbei. »Straßengraben!« Das war die Lösung. Sumpfig, naß, matschig, der ideale Aufenthaltsort für die gesuchte Amphibie.

»Halten sie bitte still, Herr Molch, . . . äh, Herr Fahrer!«

Ich zahlte, stieg aus, hüpfte hoffnungsvoll in den Straßengraben und verstauchte mir prompt den Fuß in den harten u-förmigen Betonschalen, mit denen auf Kilometerlänge die Gräben rechts und links der Straße fein säuberlich ausgelegt waren. Nein, da konnte sich kein Lebewesen halten. Fast lautlos schoß das Wasser zu Tal, nur ab und zu klickerte ein Kieselstein gegen meine Stiefel. Gelangweilt starrte mein Sohn in den Himmel, an dem sich die ersten Sterne abzeichneten. Er gab mir auch nicht die Hand, als wir nach Hause schritten. Ich glaube, bei ihm setzt die Identifikationsphase früher ein als bei anderen Mitschülern.

»O, ich Narr!« sagte ich auf einmal laut in die Stille. »Unser Nachbar hat doch ein Naßbiotop im Garten, früher sagte man Fischbecken. Da gibt es sicherlich genügend Froschlaich und Molche. Daß ich daran nicht eher dachte!« atmete ich erleichtert auf, beschleunigte meine Schritte und spürte auch stolz, wie mein Kleiner seine schmale Hand in die Geborgenheit der meinigen legte. Die Stimme des Blutes läßt sich nun einmal nicht verleugnen. Zuerst guckte der Nachbar erstaunt, wer es wagen konnte, ihn vom Fernseher wegzuläuten, dann hörte er verwundert mein Anliegen, schüttelte immer deutlicher den Kopf und sagte dann mit sorgenvoll gerunzelter Stirne:

»Ja, ich habe ein Fischbecken im Garten, einen hübschen, netten gepflegten Teich sogar. Den ersten Preis habe ich dafür letztes Jahr von unserem Verein bekommen. Aber Froscheier und Molche? Wo denken Sie hin? Da beuge ich vor. Ich kümmere mich schon um das Wohlergehen meiner Zierfische. Wissen Sie, ich verwende da ein neues Mittel. Amphibi-Ex heißt es. Hilft garantiert. Aber auf Franzens Wiese, da gibt es sicherlich noch Molche. Wissen Sie, da waren früher. . .«

Meinen verzweifelten tierischen Aufschrei hat keiner vernommen, denn der Nachbar war zum zweiten Fernsehteil und mein Sohn nach Hause geeilt.

Ich werde mich beim Kultusministerium beschweren und um Revision der Lehrpläne bitten. Was bezweckt eigentlich ein solcher lebensfremder molchiger Unterricht heutzutage noch? Ist das die Art, unsere zukünftige Generation aufs Leben und die Berufswelt vorzubereiten? Wieviel näher liegt dann doch eine vernünftige Atompolitik und Computerpraxis. Man kann unterrichtlich nicht früh genug damit anfangen.

Meinem Sohn versprach ich, ihm bei einer eventuellen Suche nach verlorengegangenen geheimen Militärakten behilflich zu sein, weil ich spüre, daß ich dabei erfolgreicher sein werde und so eine zerstörte Kinderseele wieder kitten kann.

 

Pflücke den Tag

und gehe behutsam mit ihm um

Es ist dein Tag, 24 Stunden lang

Zeit genug, ihn zu einem wertvollen Tag werden zu lassen

darum laß ihn nicht schon in den Morgenstunden

verwelken