Im Korallenriff

Für die Jugend geschrieben von Batti Dohm (f) in einer Zeit, da die Landschaft noch unbebaut war — die Jugendherbergen noch winzig, doch die Eifelfossilien völlig.

»Eure Räder könnt ihr aber einmotten, wenn ihr mit mir kommen wollt. Ein Geologe muß ganz enge Verbindung mit der Erde haben, und das geht nur zu Fuß!«

Wir waren mit den Rädern aus der Großstadt in die Eifel gefahren, wollten zur Mosel, über den Hochwald, zur Saar und vielleicht bis zur Pfalz. In der kleinen Jugendherberge in Gerolstein machten wir Rast. Beiläufig bemerkte am Abend Dieter: »Mein Vater hat hier 'nen Vetter, 'nen Geologen. Wir könnten ihn ja mal. . .

»Mensch! Könnten! Wo wohnt er?« riefen wir. Dieter wußte es nicht, aber wir fanden ihn schnell, wenn's auch schon dämmerte, denn über dem Hauseingang ist ein riesengroßes Ammonshorn eingemauert.

Freundlichst wurden wir aufgenommen, an Besuch unserer Art schien der Onkel gewöhnt. Anfangs glaubten wir, er wolle uns auf den Arm nehmen, als er vom Korallenriff, vom Seelilienwald und vom Panzerfisch erzählte, und wir blinzelten uns belustigt zu. Als er dann aber sagte: »Ihr braucht nicht zu grinsen, ihr könnt euch ja überzeugen . . .«, da war für uns die Entscheidung gefallen: Wir bleiben.

Die Felsen des Riffs                                        Foto: Fredy Lange, Gerolstein

Pünktlich am nächsten Morgen holten wir ihn ab. Jeder bekam einen Hammer, dann gings los — ins Riff. Gerolstein lag bald hinter uns, und wir stiegen zu den wildzerklüfteten Felsen hinauf. Schon auf dem Pfad bückte sich der Onkel und — wir rissen die Augen auf — kratzte er doch mit seinem Hammer kleine, wie Holzstückchen aussehende Steinchen aus dem braunen Boden, über den wir achtlos gingen. Als er uns die Steinchen aber erklärte, konnten auch wir sie als Astkorallen erkennen, wir hatten das sog. Vorriff, auch Rasenriff genannt, erstiegen. In diesem Riff bildeten die Korallen ehemals große Stöcke, die wie Rasenpolster aussehen und deren einzelne Stengel in die Stückchen zerfallen sind. Als wir kurz darauf vor den flechtenbewachsenen, zerklüfteten Felswänden selbst standen, rissen wir die Augen noch weiter auf: Der Onkel lehrte uns, die riesigen Korallenkolonien selbst zu sehen, und zu erkennen, die diesen gewaltigen Felszug erbaut haben. Sie gleichen in etwa angewitterten Baumstämmen und deren Jahresringen.

Gegen mittag kamen wir in einen Steinbruch. Hellrot und fleischfarben leuchteten die hohen Wände in der grellen Sonne, eine großartige Szenerie für die Riffwanderung!

Es gab natürlich nicht nur Korallen im Riff. Genauso typisch für diese ehemalige Meeresregion der Urzeit unserer Erde ist der »Uhlen-kopp«, ein Schalentier, das jedoch keine Muschel ist. Es gehört zu einer Tierfamilie, die heute nicht mehr lebt, Armfüssler nennen die Fachleute sie. Der Uhlenkopp hat hier in ganzen Bänken gelebt, so wie heute die Auster.« Der Onkel nahm einen Stein in die Hand, schwang den Hammer, schlug zu — und — fast so groß wie eine Kinderfaust sprang tatsächlich der Uhlenkopp heraus, wir konnten nur staunen!

Rolf und ich plagten uns wie die Steinklöpper fast eine Stunde, bis auch wir das Glück hatten, während der Onkel schmunzelnd ein Stück nach dem anderen in seinen Rucksack steckte, vorher sorgsam in Papier gewickelt. »Sie riechen die Biester wohl?« rief ich neidisch. Da schmunzelte der Onkel noch mehr. »Müssen mich doch auch besser kennen als euch! Ihr kommt zum ersten Mal in meinen versteinerten Zoo!«

Das Jagdfieber hatte uns so gepackt, daß wir gar nicht weg wollten. Doch der Onkel versprach uns leichtere Beute. »Kommt, wir gehen jetzt an den Rand des Riffs und in die Region des Stillwassers. Da war das Tierleben so üppig, daß beinah jeder Stein drüben auf den Feldern ein Tierrest ist.«

So war's auch, außerdem lernten wir aus den Oberflächenformen von heute erkennen, aus welchen Meeresböden sie entstanden — und weshalb sie so geworden sind. Ehemalige Schlammböden werden zu sanften Hängen mit schwerem Lehm, der nur Wiesen oder Getreidefelder trägt, während harte Kalke kleine Stufen in der Landschaft oder Felsen entstehen lassen. Der Onkel nannte das: im Buch Erde lesen.

Als wir gegen Abend nach Gerolstein zurückwanderten, hatten wir kaum noch Platz in unseren Taschen für all die Meerestiere, Muscheln, Armfüssler, Spiralträger, Urkrebse, Pantoffel-, Hörn- und Sonnenkorallen. Statt einer Nacht blieben wir eine Woche, und jeden Morgen standen wir vor dem Haus mit dem großen Ammonshorn und zogen mit Dieters Onkel den Wundern des Urmeeres nach, das vor 360 Millionen Jahren über die Eifel gebraust ist. Und keiner zweifelte mehr an dem, was der Onkel sagte, denn er bewies uns alles. Wir waren nur bis Gerolstein gekommen, aber wir hatten mehr gesehen und gelernt als auf allen früheren Fahrten — und dies war unsere schönste Fahrt. Und für den Herbst sind wir eingeladen, den Spuren des Urmenschen in den Höhlen nachzugehen und sie von der Steinzeit an bis heute zu verfolgen — und fürs nächste Frühjahr steht eine Wanderfahrt zu deutschen Vulkanen auf unserem Plan.