Information aus erster Hand

140 Jahre Beschlußbücher der Gemeinden und Bürgermeistereien

August Meyer, Daun

 

»So, dann ist ja alles klar«, sagt der Gemeindevorsteher, »bleibt nur noch das Schreiben«. Aus einem Kasten nimmt er das große Beschlußbuch heraus und legt es auf den Tisch, den er vorher noch einmal mit dem Ärmel abgewischt hat. Er stellt den Tintenbehälter daneben und nimmt den Korken ab. Vorsichtig ergreift er auch die Gänsefeder und prüft, ob sie zum Schreiben taugt. Dann öffnet er das Buch, taucht die Feder in die Tinte und schreibt: »Verhandelt zu N. den 8. 11. 1852. Der Maulwurffänger Johann Morsch aus Teilich hat für die Gemeinde 312 Maulwürfe gefangen. Die Gemeinde hat mit ihm vereinbart, ihm für jeden Maulwurf 1 Silbergroschen zu zahlen. Da die Kasse leer ist, hat Vorsteher N. die Schuld von 10 Reichstalern und 12 Silbergroschen beglichen. Die Gemeinde wird den Betrag zurückzahlen«.

Nach der anstrengenden Arbeit des Schreibens liest der Vorsteher noch einmal deutlich vor, was er notiert hat und schiebt das Buch seinen drei Räten zu, damit sie mit ihrer Unterschrift den Beschluß bekräftigen. Einer nach dem anderen nimmt die Feder, setzt sich zurecht, rückt das Buch in die günstigste Schreiblage und führt mit schwerer Hand die Feder übers Papier, auf dem dann zittrig, krakelig oder auch schwungvoll der Name des Schreibers festgehalten ist.

Dieser Beschluß ist sicher kein typisches Beispiel für das Ergebnis einer Gemeinderatssitzung. Doch gibt auch er Informationen aus jenen Tagen, als in unserer Gegend die Dorfbewohner überwiegend von den Erträgen ihrer Ländereien leben mußten. Maulwurfhügel sind noch nie die Freude der Bauern gewesen. Wer einmal mit der Sense eine Wiese gemäht hat, die von Maulwürfen mit diesen Erhebungen übersät waren, der weiß um den Ärger, den diese bereiten. Jeder Strich der Sense durch die Erde bedeutet, daß die Sense nachgewetztwerden muß. Geschieht dies öfter, dann hilft schließlich das Wetzen nicht mehr, dann muß gedengelt werden.

Und eine weitere Information enthält diese Niederschrift: Es gab berufsmäßige Maulwurffän-ger, die über Land zogen und ihre Dienste anboten.

Obiger Beschluß ist der 27. der betreffenden Gemeinde. Die vorhergehenden befassen sich mit Wegebau, landwirtschaftlichen Problemen, der Hilfe für einen Brandgeschädigten, der neuen Gemeindeordnung und der Pensionszahlung für den alten Lehrer.

Der erste Beschluß ist 1846 eingetragen. Die preußische Gemeindeordnung vom 23. 6.1845 forderte die Niederschrift der Beschlüsse in einem besonderen Buch. Die Bürgermeister der Amtsverwaltungen, die damals »Bürgermeistereien« hießen - in Daun hat sich lange der Name »Mairie« aus der französischen Zeit (1795 -1815) gehalten - besorgten die Bücher. Sie waren stabil gebunden, hatten eine Höhe von 35 und eine Breite von 24 cm und waren fast 3 cm dick. Sie enthielten 200 unlinierte und unbezifferte Blätter guten Papiers. Nur die erste Seite war bedruckt. Da prangte der preußische Adler und darunter stand: »Register der Beschlüsse der Gemeinde«, dahinter war Platz für den Namen. Ebenfalls vorgedruckt war »seit dem« und »bis«, um den Zeitraum zu umreißen. Der Bürgermeister hatte die Aufgabe, die Blätter zu numerieren und abzuzeichnen. Es sollte die Möglichkeit genommen werden, in dem Buch durch Herausnahme von Blättern zu manipulieren.

Gleiches geschah mit dem »Register der Beschlüsse der Bürgermeisterei-Versammlung aus der Bürgermeisterei...... Nur war dafür der Landrat zuständig. Er ließ auf der ersten Seite vermerken: »Gegenwärtiges Register ist para-phirt und kotiert zu zweihundert Blätter. Daun, den 20. August 1846. Der Königliche Landrat«. Darunter setzte Herr Selasinsky seine eigenhändige Unterschrift. Zwischen Blatt 1 und Blatt 2 ließ er den ersten Bericht einkleben, der die Einsetzung der Bürgermeistereiversammlung und des Bürgermeisters festhielt, die am 13. 6. 48, also vor der Anlage der Bücher, geschehen war.

Im Kreise Daun wurden für folgende Bürgermeistereien Beschlußbücher angelegt: Daun, Üdersdorf, Weidenbach, Gillenfeld, Sarmers-bach, Dockweiler, Rockeskyll, Gerolstein, Hillesheim, Kerpen, Lissendorf.

Wenn auch beispielsweise Üdersdorf und Weidenbach vom selben Bürgermeister verwaltet wurden, so hatte doch jede Bürgermeistereiversammlung ihr eigenes Beschlußbuch. Jedes ist fortlaufend geführt bis 1923. Trafen sich beide zu gemeinsamer Sitzung, so wurde die Niederschrift darüber doch im jeweils eigenen Beschlußbuch getätigt. Ab 23 wurde für beide nur eine Aktenmappe angelegt. Ähnliches wird für die ebenfalls gemeinsam verwalteten Bürgermeistereien gelten: Gerolstein und Rockeskyll, Hillesheim und Kerpen, Dockweiler und Sarmersbach.

Bis 1850 beschloß die Niederschrift der Titel: »Bürgermeistereirat«, dann wurde er von »Samtgemeinderat« abgelöst. Die erste Aufgabe des Letzteren war die Festlegung des Gehalts und der Bürokosten. Es wurde beschlossen, 300 Reichstaler aufzubringen, davon sollten 2/3 das Gehalt des Bürgermeisters und 1/3 die Bürokosten decken. Später fiel jeder Titel weg und es hieß nur noch »vorgelesen-genehmigt - unterschrieben«. Die Beschlußbücher der Gemeinden sind für interessierte Heimatforscher wichtige Quellen. Sie geben Einblick in die speziellen Entwicklungen der Dörfer.

Manchmal sind sie spannend wie ein Krimi, wenn die Gemeindeväter ein ganz bestimmtes Ziel im Auge haben, damit aber nicht die Gegenliebe des Landrats oder der Regierung zu Trier finden. Dann erlebt man die Zähigkeit der Eifeler - man möchte sagen - hautnah. Überhaupt ist die Auseinandersetzung mit königlichen Gesetzen, Regierungsverfügungen oder Landratserlassen ein ständiges Lied der Bücher. Und wenn sie eins widerlegen dann ist es die dümmliche Bemerkung, die Bevölkerung des Kreises Daun sei gutmütig, leicht zu führen und national gesonnen. Diese hörte man immer dann, wenn wieder einmal ein Landrat woanders hinging, statt in Daun zu bleiben.

Da gab's zum Beispiel die Hundesteuer, d. h. es gab sie noch nicht, aber die Regierung wollte sie eingeführt wissen. Im Februar 1847 mußten sich die Gemeinderäte damit auseinandersetzen. Der Bürgermeister war dabei und trug die Weisung des Landrats vor. Eine Gemeinde sagte ja, gut, für jeden Hund nehmen wir 15 Silbergroschen, aber nicht vom Schäfer und vom Müller. Eine andere sagte nein, wollte aber von jedem Hund, der in Zukunft angeschafft würde, die Steuer erheben. Eine dritte aber sagte kategorisch nein und fügte hinzu, kommt die Steuer, schaffen wir alle Hunde ab! Diese Beschlüsse wurden höhernorts nicht genehmigt. Im Mai mußten deshalb die Räte erneut darüber beraten. Aber diesmal sagten alle nein. Sie sagten, im Dorf sind keine überflüssigen Hunde. In den 60er Jahren drängte der Landrat erneut und berief sich auf Fälle von Tollwut und darauf, daß es viel zu viele Hunde gäbe. Ohne Erfolg. Ein Ort sagte, im Dorf sind zwei Hunde, einer eingangs der andere ausgangs des Dorfes, sie schützen uns. Wann die Hundesteuer dann doch ihren Einzug genommen hat, geht aus keinem Beschlußbuch hervor. Erst 1951 ist von ihr die Rede und da geht es darum, diesselbe von 15.- DM auf 12.- DM herabzusetzen. Bei den Sitzungen des Gemeinderates war der Bürgermeister oder dessen Stellvertreter meist anwesend.

Dann brachte er auch seinen Schreiber mit und der Ortsvorsteher mußte nicht selbst die Schreibarbeit leisten.

Ein Bürgermeister befand sich oft in einer verzwickten Situation. Er kannte einerseits die Bevölkerung, ihre Bedürfnisse und ihre Lage. Andererseits stand er in der Pflicht, die Auffassung der Regierung zu vertreten. Beide Interessen waren oft nicht unter einen Hut zu bringen. Der Bürgermeister mußte aber darauf bedacht sein, weder das Vertrauen der Behörde und noch weniger das der Gemeindevertreter zu verlieren, denn gerade diesen mußte er, weil er einen besseren Ein- und Überblick hatte, mit seinem Rat zur Seite stehen.

Solche Konflikte ergaben sich fast zwangsläufig bei den Aufforstungsplänen, bei Straßenausbauten, bei Zahlungen für Schule und Lehrer, ja bei jederlei Zahlung, die von den armen aber sparsamen Gemeindevätern nicht als notwendig angesehen wurde.

Verhandlungen über Hilfe für Arme waren manchmal auch Verhandlungen über die Frage, wie man sich von den Lasten für Armenhilfe frei halten konnte. Dazu zwei Beispiele. Ein Gemeinderatsmitglied berichtet, daß eine Nachbargemeinde ein altes verfallenes Haus kaufen wolle, um es einer armen Familie, die ihr bisher zur Last gefallen war, zu schenken mit dem Hintergedanken, diese Last nun 'der anderen Gemeinde aufzuhalsen. Die Konsequenz daraus; die betreffende Gemeinde kauft das Haus selbst und läßt es einfallen. In einer anderen Gemeinde war eine Familie zugezogen, deren Eltern nacheinander starben. Die Kinder kamen nach Trier ins Waisenhaus. Die Gemeinde aber wurde zur Unterhaltsleistung verpflichtet. Es kostete einige Beschlüsse mit Eingaben und Bitten um Abhilfe, bis diese unbillige Last genommen wurde.

Für Arme aus dem eigenen Ort verweigerten aber die Gemeinderäte die Hilfe nicht, wie sich aus vielen Beispielen ersehen läßt. Ja, die Gemeindeväter fühlten sich auch für das geistige Wohlergehen verantwortlich. 1853 beschließt eine Gemeinde, die Viehhütung durch einzelne jugendliche Hüter oder Hüterinnen einzustellen, ja zu verbieten, weil »die Jugend dadurch ihrem Verderben zugeführt wird«! Entweder soll das Vieh einer Herde mitgegeben werden oder im Stall bleiben.

Diese Beispiele sind allesamt aus dem 19. Jahrhundert, aus preußischer Zeit. Die Preußen erfahren neuerdings - mit Recht - oft harte Kritik. Doch sollte man ihre Verdienste um eine solide Verwaltung nicht übersehen. Auch darf man nicht gering einschätzen, daß sie nicht versuchten, sich über Recht und Gesetz hinwegzusetzen, was etliche langwierige Prozesse zwischen Gemeinden und Verwaltung bezeugen. Ihr gröbster Verstoß gegen Menschenwürde war aber ihr Wahlrecht. In den Gemeinderat konnten nur die sogenannten »Meistbeerbten« gewählt werden. In kurfürstlicher Zeit wurden bei wichtigen Entscheidungen immer drei Gemeindebürger vereidigt und mitgehört: ein Armer, ein Meistbegüterter und einer der dazwischen lag. Jetzt aber hatten nur die etwas zu sagen, die Besitz hatten. Die Grenze bestimmte das Steueraufkommen. 1902 setzte eine Gemeinde den Mindeststeuersatz für jene, die sich Meistbeerbte nennen dürfen, auf 4 Mark fest, damit im Ort überhaupt eine genügende Zahl von Wählbaren vorhanden sei! Manche Beschlußbücher, die 1846 begonnen wurden, sind bis weit ins zwanzigste Jahrhundert weiter geführt. Andere sind irgendwann durch neue ersetzt. Der Brauch, die Beschlüsse festzuhalten, blieb bei allem Wandel erhalten. Unangenehm fallen in dem weiten Bogen 1846 - 1970 ein paar Zeiträume auf. Zwischen 1880 und 1900 gibt es verhältnismäßig wenige Beschlüsse. Nach 1947 bleibt kein Jahr ohne solche. In Kriegszeiten sind es weniger als sonst. 1871 vermerkt eine Gemeinde, daß der vorgesehene und bewilligte Kredit nicht kommt, weil die Gelder für Kriegszwecke Verwendung finden mußten.

Ab 1943, also gegen Kriegsende und bis 1946 also nach Kriegsschluß gibt es keinerlei Beschlüsse. Der Ton der Niederschriften ändert sich nach 1933. War er vorher und wieder seit 1947 formal und sachlich, so hieß es im tausendjährigen Reich: »Ich habe die Gemeindeältesten eingeladen, «oder» Nach eingehender Beratung habe ICH beschlossen«. Der Ortsvorsteher im Nationalsozialistischen Denken als Führer, wenn auch als kleiner, aber als Führer, der zu entscheiden hat und dem nicht zu widersprechen ist. In einer Gemeinde gab der Ortsvorsteher die Steuerrückstände seiner Mitbürger öffentlich bekannt. Dem größten Steuerschuldner schlug er vor, seine Roggenernte und sein bestes Stück Vieh an die Gemeinde zu liefern zwecks Schuldentilgung. Der hatte wohl keine Möglichkeit öffentlich nein zu sagen. Ab 1938 sind Beschlüsse selten.

Die »Neue Zeit« tritt in den Beschlußbüchern lebendig in Erscheinung. Ihre Entstehung läßt sich ablesen an: Wasserleitung, Strom, Flurbereinigung, Sportplatz, Gefrier- und Waschanlage, Ausweisung von Baugelände, Kanalisation, Müllabfuhr, Teerdecken und was der Errungenschaften noch mehr sind.

Nicht alle wichtigen Momente dörflicher Entwicklung finden in den Beschlußbüchern ihren Niederschlag. Genossenschaften, die um die Jahrhundertwende vielfach ins Leben gerufen wurden, um die Arbeit der Bauern effektiver zu machen, oder um die Anschaffung wichtiger Dinge oder den Absatz der Waren zu ermöglichen, erscheinen nur dann, wenn diese von den Gemeinden Zuschüsse erwarteten. Ähnlich verhält es sich mit den Vereinen, die ja eine wichtige Rolle im Leben spielen.

140 Jahre Beschlußbücher! Eine Auseinandersetzung damit kann in diesem Umfang nur eine sporadische sein. Die Auswahl der Beispiele mußte getroffen werden. So vieles, was auf Zetteln vermerkt, wiedergebenswert wäre, mußte unberücksichtigt bleiben.