Försterkreuz - ein Kreuz im Abseits

Der Tod eines Andersgläubigen und seine Folgen

Friedbert Wißkirchen. Daun

 

Betritt der Besucher den Friedhof in Weidenbach, fällt ihm in der Nordostecke, fast versteckt in der Umfassungshecke, ein Baumstumpf von etwa 2 m Höhe auf. Erst bei näherem Betrachten erkennt er, daß der Baumstumpf aus Stein und ein Grabmal ist. Das einmalige, über 100 Jahre alte Grabmal in Form eines Eichenstammes, an dem an einem Aststück eine Jagdtasche hängt und einige Eichenblätter, weist darauf hin, daß es sich um ein besonderes Grab handelt. Es hätte allein schon als Zeugnis handwerklichen Schaffens einen anderen Standort verdient.

Am frühen Morgen des 30.08.1880 stand Müllermeister Matthias Stolz in Weidenbach auf, ging wie jeden Tag vor die Tür, um nach dem Wetter und dem Rechten zu sehen und schließlich das Mühlrad in Gang zu setzen. Gerade wollte er zurück ins Haus, als er das geöffnete Fenster und die leblose Gestalt auf der Fensterbank der Schlafkammer im Obergeschoß bemerkte.

Schnell lief er ins Haus, weckte Knecht und Frau und eilte in die Schlafkammer des jungen Försters Hackfeld. Carl Heinrich Hackfeld, erst seit kurzer Zeit als Hilfsförster in Weidenbach tätig, hatte sich auf der Weidenbacher Mühle einquartiert, wo er Kost und Wohnung fand. Sie konnten ihm nicht mehr helfen, er war bereits seit längerer Zeit tot. Müller Stolz und sein Knecht legten den Toten auf sein Bett; beteten gemeinsam ein »Vater unser« für den Verstorbenen.

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht vom Tode des jungen und beliebten Försters und so mancher fragte sich, ob wohl alles mit rechten Dingen zugegangen sei. Für einen unnatürlichen Tod gab es jedoch keine Anzeichen. Vermutlich hatte ihn ein plötzliches Unwohlsein überrascht, er hatte sich noch zum Fenster geschleppt um frische Luft zu schöpfen und war tot zusammengebrochen.

Der Tod des Försters brachte einige Umstände mit sich. Er stammte aus Worbis, einer kleinen Stadt, die im Eichsfeld, dem Berg- und Hügelland zwischen Harz und Thüringer Wald, liegt. Eine Überführung in die Heimat war undenkbar, die Angehörigen zu benachrichtigen, dauerte zu lange. Also mußte man selbst die Beerdigung veranlassen. Der Friedhof um die kleine Pfarrkirche war vollständig belegt. Als weit größeres Problem entpuppte sich jedoch Carl Hackfeld's evangelischer Glaube. Auf der kircheneigenen Begräbnisstätte waren nämlich ausschließlich Katholiken bestattet. Als dieses Problem schier unlösbar schien, rief der um einen Ausweg selten verlegene, aber auch in dieser Sache ratlose Ortsvorsteher Hausener den Gemeinderat zusammen. Die Gemeinderäte meinten, man müsse zunächst den Pastor hören und so machte man sich auf den Weg nach Deudesfeld. Nach langer Diskussion fand man schließlich doch eine Lösung. Der Förster sollte auf dem neuen, noch nicht ganz fertiggestellten Friedhof am »Schutzer Weg« beerdigt werden.

Der junge Forstmann Carl Heinrich Hackfeld wurde unter großer Beteiligung der Dorfgemeinschaft zu Grabe getragen. Die Beerdigung eines Nicht-Katholiken war schließlich etwas Neues, das man sich nicht entgehen lassen durfte. So gingen viele aus purer Neugier mit, um die Beerdigung, vorgenommen vom evangelischen Pfarrer aus Daun, mitzuerleben. Auch die Berufskollegen des Toten aus der gesamten Umgebung waren erschienen und trugen den Sarg zum neuen Friedhof. UnterJagdhornklängen und eine Salve Ehrensalut wurde der junge Förster, gerade 25 Jahre alt, der Erde übergeben. Ganz am Rande des Friedhofs, so zu sagen in der hintersten Ecke, hatte man seine Grabstelle wohlweislich angelegt. Damit schien die Angelegenheit erledigt. Dem war jedoch nicht so.

Nur wenige Wochen später stand erneut eine Beerdigung an. »Ammi«, eine ältere Frau war gestorben. Nun war guter Rat teuer. Der Kirchhof im Dorf war bekanntlich belegt und die Verwesungsmüdigkeit des Friedhofs hatte sich erst im letzten Jahr wieder gezeigt, als man beim Ausheben eines Grabes noch unverweste Leichenteile fand. Landrat Rintelen hatte daraufhin mit Zustimmung der Königlichen Regierung in Trier den alten Friedhof schließen lassen und die Neuanlegung eines Friedhofes gefordert. Dieser, mit allem Nachdruck versehenen landrätlichen Forderung war man zwar in Weidenbach nachgekommen, aber nur widerwillig, weil im Weigerungsfalle gesetzliche Zwangsmaßnahmen angedroht worden waren. Viel lieber hätte man, wie 18 Jahre zuvor, den Gottesacker um die Kirche nochmals erweitert. Ein angrenzendes Gartengrundstück wäre auch zu haben gewesen. Landrat Rintelen jedoch genehmigte die Erweiterung des alten Friedhofes nicht.

Den fremden evangelischen Förster Hackfeld hatte man zurecht auf dem neuen Friedhof beerdigt. Aber nun auch die eigenen Angehörigen? Konnte man es zulassen, daß man Weidenbacher Bürger nicht, wie es seit mehr als 300 Jahren geschah, der geweihten Erde im Schutz der kleinen Kirche anvertraute? Sollte man sie eine Viertelstunde vom Dorf entfernt, auf windiger Höhe beerdigen? Hinzu kam, daß nach dem Kirchgang der Besuch des Grabes auf dem neuen Friedhof beschwerlicher war. Und war der neue Kirchhof letztlich nicht durch die Beerdigung des »Evangelischen« entweiht? Doch »Ammi's Beerdigung« duldete keinen Aufschub, es mußte ein Grab ausgehoben werden. Die Nachbarn der Verstorbenen gingen mit Ortsvorsteher Hausener auf den neuen Friedhof, wo er ihnen die Gabstelle zuwies, ein gutes Stück vom Grab des Förster's Hackfeld, dem »Andersgläubigen«, entfernt. Am nächsten Tag fand die Beisetzung auf dem neuen Friedhof statt, begleitet von der ganzen Gemeinde. Nach den Grabgebeten und dem Segen des Deudesfelder Pastors, der Weidenbach mitverwaltete, wurde der Sarg in die Erde gesenkt.

Abends zuvor waren Regenschauer aus wolkenverhangenem Himmel heruntergeprasselt und der scharfe Westwind hatte den Herbst angekündigt. Dem fahlen Mond war es nur gelegentlich gelungen, ein wenig Licht auf die Erde zu werfen. Nicht einmal einen Hund hätte es bei diesem Wetter auf die Straße gelockt. Den drei Männern war dieses Dunkel der Nacht gerade recht, als sie nach Mitternacht, mit Hakken und Schaufeln bewaffnet, den Hut tief ins Gesicht gezogen und den Mantelkragen hochgeschlagen, in Richtung Kirche schlichen und -bald um die Ecke biegend - verschwanden. Nahe an der Kirchhofsmauer hoben sie vorsichtig und fast geräuschlos eine Grube aus. Nach gut zwei Stunden war sie ca. 1,80 m lang, 70 cm breit und rd. 1 m tief - fertig. Bald verschwanden die drei Gestalten, kamen jedoch nach kurzer Zeit wieder, trugen einen in Decken gewickelten länglichen Gegenstand zum Kirchhof und legten ihn in die eben ausgehobene Grube. Eilig machten sie sich ans Werk und füllten die Grube wieder mit der ausgehobenen Erde. Zum Schluß legten sie auch noch die vorher vorsichtig ausgestochene Grasnarbe obenauf. Überschüssigen Boden kippten sie am Rand des Friedhofs ab. Nichts sollte auf ihr Wirken aufmerksam machen. Die dunklen Gestalten legten ihre Arbeitsgeräte weg, stellten sich um die aufgefüllte Grube, nahmen den Hut ab, bekreuzigten sich und murmelten etwas vor sich hin, das wie ein Gebet klang. Dann verließen sie eilig den Kirchhof und verschwanden im Dunkel der stürmischen Nacht.

Zu Hause aber setzten sie ihr Werk fort. Klafterholz, im Hof aufgestappelt, trugen sie ins Haus und schichteten es in einem in der Stube aufgebahrten Sarg. Anschließend verschlossen sie sorgfältig den Sarg und gingen zu Bett. Vor Aufregung konnten sie jedoch kaum ein Auge zumachen. Am nächsten Morgen mußten sie schon früh aufstehen, denn der Deudesfelder Pastor hatte um 8.30 Uhr die Beerdigung der verehrten Frau und Mutter angesetzt.

Häufig sah man die Angehörigen der Verstorbenen »Ammi« noch zum alten Friedhof gehen und wunderte sich darüber, denn »Ammi« war doch auf dem neuen Friedhof bestattet worden...

Ganz unentdeckt blieb das nächtliche Geschehen auf dem alten Friedhof jedoch nicht, oder gab es Weidenbacher, die die gleiche Idee hatten?

Der Weidenbacher Friedhofsstreit

Das Geschehen um alten und neuen Friedhof hat einen realen Hintergrund. Am 26.04.1877 beschloß der Gemeinderat, den alten Kirchhof -er war belegt - durch Ankauf eines Gartens zu erweitern. Eine Wiederbelegung schied wegen der Verwesungsmüdigkeit des Bodens aus, denn bereits seit 1570 ist der Friedhof, der vermutlich noch älter ist, urkundlich erwähnt. Dem Antrag auf Erweiterung des Friedhofes stimmte der damalige Landrat Rintelen nicht zu und forderte entschieden die Neuanlage außerhalb des Dorfes. Die Gemeindeväter suchten deshalb widerwillig den Standort des jetzigen Friedhofes am »Schutzer Weg« aus, stellten sich jedoch mit Beschluß vom 28.09.1877 gegen die Verlagerung und gelangten plötzlich zu der Meinung, daß der alte Friedhof noch genug Platz biete. Die hygienischen Verhältnisse scheinen jedoch so katastrophal gewesen zu sein, daß Landrat Rintelen auf die umgehende Neuanlage bestand.

In einem Schreiben vom 07.01.1881 an den Ortsvorsteher in Weidenbach führt er aus: »...daß der alte Kirchhof daselbst polizeilich geschlossen ist und zur Beerdigung von Leichen nicht mehr benutzt werden darf, dieselben müssen daher auf dem neuen Kirchhof bestattet werden. Der Widerstand der dortigen Einwohner gegen das polizeiliche Verbot des Beerdigens auf dem alten Friedhof wird nötigenfalls mit allen zu Gebote stehenden gesetzlichen Zwangsmaßregeln gebrochen werden. Der Bevölkerung von Weidenbach, die von einigen böswilligen Personen aufgehetzt zu werden scheint, kann ich daher nur dringend empfehlen, jede Widersetzlichkeit zu unterlassen.«

Das Grabmal des Försters Hackfeld, versteckt in der Friedhofshecke.

Das vorhin geschilderte Geschehen könnte sich in dieser oder ähnlicher Weise zugetragen haben, zumal auch im Volksmund der Kampf um den alten und den neuen Friedhof noch in guter Erinnerung ist.

Der neue Friedhof war 1880 fast fertig, als Förster Hackfeld als erster dort seine letzte Ruhestätte fand. Sein Grab am Rande des Friedhofs ist Zeugnis für den Zeitgeist vor über 100 Jahren. Nach heutigem christlichen Selbstverständnis werden evangelische und katholische Christen und Personen anderer Glaubensgemeinschaften nebeneinander bestattet. Damals aber war auf den Friedhöfen für NichtKatholiken meist ein eigenes Gräberfeld, häufig ganz am Rande, ausgewiesen. Gute, alte Zeit?

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