Wozu sind die Galgen da?

Interpretation einer Karte aus dem Jahre 1683

August Meyer, Daun

 

Im Heimatjahrbuch 1984 (Seite 247) ist eine Karte des Amtes Daun abgebildet. Sie stammt aus dem Jahre 1683, ist also inzwischen über 300 Jahre alt. Die Gegend um Daun ist darin in ihren geographischen Verhältnissen ziemlich gut erfaßt; der Abstand der Dörfer voneinander, der Lauf der Bäche und die Lage der Berge stimmen mit heutigen Kartenbildern zwar nicht völlig überein, aber sie sind doch stimmig. Die eingetragenen Wälder geben einen interessanten Einblick über die damals bewaldeten Gebiete. Deutlich zu erkennen sind die Straßen, die das Gebiet durchziehen und oft eine wesentlich andere Streckenführung aufweisen, als heute.

Doch soll hier die Karte, die im Heimatjahrbuch nicht vollständig wiedergegeben ist, nicht weiter interpretiert werden. Eine auffällige Besonderheit soll Gegenstand dieser Auseinandersetzung sein. Siebenmal findet sich ein Zeichen eingetragen, das fast wie ein »M« aussieht. Es soll wohl einen Galgen darstellen. Heute wird ein Galgen mit einem Pfosten und einem Querbalken, verbunden noch einmal mit einem Stützbalken, dargestellt. Die Karte belehrt uns nun, daß damals Galgen noch stabiler gebaut wurden: zwei starke Pfosten und darüber ein Querbalken.

Galgen waren, wie man weiß, zur Hinrichtung bestimmt. War jemand zum Tode verurteilt, so wurde er meist durch den Galgen vom Leben zum Tod gebracht. Wann aber diese Galgen zum letzten Male diesem Zweck gedient haben, ist kaum noch zu erfassen, jedenfalls ist dem Verfasser kein hier vollstrecktes Todesurteil im 18. Jahrhundert bekannt.

 Eigenartigerweise ist nun bei Daun, dem Sitz des Hochgerichtes, kein Galgen zu finden. Dienten diese aber der Vollstreckung eines Urteils, dann war mit Sicherheit auch die Hinrichtungsstätte nicht weit. Da drängt sich die Frage auf, ob die in der Karte eingezeichneten Galgen nicht eine andere Information geben wollten oder sollten. Sie würden demnach nicht sagen: »Hier wird hingerichtet,« sondern: »Hier. ..«, ja, was? Was bedeuten sie die Galgen? Die Beantwortung der beiden Fragen: »Wo stehen sie?« und: »Wo stehen sie nicht?« dürfte die Lösung der Frage näher bringen.

 

Standorte der Galgen

 

1. Zwischen Berndorf und Kerpen. Wenn man die gestrichelte Linie als Grenze auffaßt, befindet sich das Zeichen jenseits derselben, also in der Herrschaft Kerpen.

2. Am Arnulphusberg bei Walsdorf. Auch hier läuft die Grenze zu Kerpen durch den Wald und trifft sich mit derjenigen zum Kurtrierischen Amt Hillesheim. Walsdorf gehörte zwar zum Amt Daun, aber es war zwischen Arenberg und Trier umstritten, wer die Herrschaft und die Gerichtsbarkeit dort innehabe.

3. Zwischen Essingen und Hohenfels an der alten Verbindungsstraße zwischen Hillesheim und Kelberg. Das Dorf Hohenfels gehörte nicht zum Amt Daun, obwohl es mitten in dessen Gebiet lag. Es unterstand den Grafen von Metternich. Da eine Grenze nicht eingezeichnet ist, läßt sich nicht sagen, auf wessen Gebiet der Galgen eingetragen ist.

4. An der Straße von Pelm nach Daun in der Nähe von Berlingen. Pelm bildete mit dem ebenfalls zu erkennenden Gees die Herrschaft Kasselburg, die ihrerseits zu Kerpen gehörte. Der Galgen steht auf Pelmer Gebiet jenseits der Grenze.

5. An der Straße zwischen Kelberg und Dreis. Auf der Karte ist keine Grenze zu erkennen. Dieser Galgen scheint mitten im Amte Daun zu liegen. In der Nähe der Stelle befindet sich heute noch die Flur »Büttelhof«. Ein Büttel könnte etwas mit Hinrichtung und Galgen zu tun gehabt haben. Aber der Galgen liegt hart an der Grenze zu Brück oder vielleicht gar auf Brücker Land. Brück hat gewissermaßen zwei Herren: einmal untersteht es Kerpen zum anderen dem Trierischen Amt Ulmen.

Brücks Nachbarort — und auch der Boxbergs — ist Dreis, und dieses ist ebenfalls kerpisch wie Dockweiler und Betteldorf.

6.ln der Nähe von Steinborn, deutlich jenseits der gestrichelten Grenzlinie. Diese Linie umfährt das damalige Hochgericht Neunkirchen. Hier könnte es sich also um die Hinrichtungsstätte des dortigen Gerichts handeln. Aber es ist auch zu bedenken, daß das Hochgericht ein Kondominium war, in dem sowohl das Kurfürstentum wie auch das Herzogtum Arenberg die Gerichtsbarkeit ausübten.

7. Bei Gillenfeld. Gillenfeld gehörte nicht zum Amte Daun. Es wurde von einem kerpischen Vogt verwaltet, doch hatte das Stift St. Florin in Koblenz darin auch Rechte und somit auch der Kurfürst. Da keine Grenze eingetragen ist, ist seine Lage unklar.

Zusammenfassung: Die Standorte von Galgen liegen auf der Karte überall dort, wo das Amt Daun mit der Herrschaft Kerpen zusammenstößt oder wo es sich mit diesem die Gerichtsbarkeit teilt. Eine Ausnahme bildet Hohenfels. Hier kann das Zeichen nur als Markierung einer Grenze verstanden werden.- Sind die Galgen überdimensionale Grenzsteine!?

 

Wo stehn keine Galgen?

 

Sollte obige Vermutung richtig sein, müßte die Karte noch etliche Galgen mehr enthalten, nämlich zu jedem Nachbarn hin.

1. Der Trierbach bildet die Grenze zum Kurfürstentum Köln, aber auch das eingetragene Katzwinkel und die weitere Umgebung unterstanden dem Amte Nürburg.

2. Die anderen Nachbarn sind kurtrierische Ämter.

a) Ulmen. Es ist mit Meiserich im Kartenbild.

b) Cochem. Davon ist die Gemeinde Strotzbüsch zu erkennen.

c) Manderscheid. Dazu gehörten die Orte: Niederscheidweiler, Wallscheid und Dierfeld.

3. Mitten im Amt Daun befindet sich die Gemeinde Waldkönigen, die wie Hohenfels den Metternichern unterstand.

4. Neroth hat einen Platz außerhalb des Amtes. Darin hatte Zandt von Lissingen die Gerichtsbarkeit. Später kam es zum Amt Daun, als die Grafen von Daun ihre Rechte am Ort an Kurtrier abtraten.

Alle diese Nachbarn tragen im Grenzgebiet zum Amt Daun kein Zeichen, das den Galgen als überdimensionalen Grenzstein erscheinen lassen würde.

 

Ein Ereignis von 1747

 

Für die Erklärung: Galgen gleich Grenzmarkierung gibt es nun aber noch einen unbestechlichen Zeugen. Es ist eine Urkunde aus dem Landeshauptarchiv Koblenz, 1 c Nummer 2986.

Im Jahre 1747 wurde der Galgen zwischen Pelm und Berlingen neu errichtet. Der Dauner Amtsverwalter PAQUIN hatte ihn verfault und verkommen vorgefunden. Er erstattete seinem Landesherrn Bericht und schlug vor, ihn zu erneuern. Der Kurfürst gab den Befehl dazu im Einverständnis mit dem Herzog von Arenberg. Die beiden Landschultheißen, Paquin von Daun und PRANGHE von Kerpen vereinbarten gemeinsam einen Termin. Dauner Zimmerleute fertigten den Galgen und brachten ihn zum Bestimmungsort. Das geschah am 16. Oktober 1747. Doch geschah die Aufstellung nicht einfach so. Die beiden Schultheißen hatten verfügt, daß alle, die zu diesem Hochgericht gehörten, als Zeugen anwesend zu sein hätten. Samt allen Kindern, sofern sie sieben Jahre alt seien.

Wer war das, der zum Hohen Gericht gehörte? Sicher nicht alle, die dem Hochgericht Daun unterstanden. Rockeskyll war ein sogenanntes Untergericht mit Berlingen, Essingen, Kirchweiler und Hinterweiler. Auf der anderen Seite bildeten Gees und Pelm die Herrschaft Kasselburg. So ist anzunehmen, daß die Bewohner dieser Orte zu dem spektakulären Ereignis auf dem Sellbusch pilgerten. Wahrscheinlich gab es dort auch Reden anzuhören und vielleicht bekamen die Kinder einen Weck und die Erwachsenen einen Trunk Wein. Aus dem notariellen Akt geht das allerdings nicht hervor. Diesen setzte der kaiserliche Notar Johann Albert Bolen auf Wunsch des Verwalters und Schultheißen Paquin auf und ließ ihn von diesem und den beiden Hochgerichtsschöffen Michael Schmilz und Christian Ohmen unterschreiben. Letzterer stammte aus Hinterweiler. Für unsere Frage ist nun in dieser Urkunde ein Satz hochinteressant:»... wo er zur Grenzmark dienen soll...« Nirgends ist etwas davon zu lesen, daß ein Galgen notwendig sei, weil eine Hinrichtungsstätte gebraucht werde! Und am Anfang heißt es nicht »der Galgen ist verfallen« sondern: »das Hochgericht ist verfallen«. Die Notwendigkeit der Erneuerung wird weiter damit begründet, daß es sich um eine »Grenzmark« handelt. Das Kampbücheier Weistum ist zu dem Zeitpunkt seiner Erwähnung als Zeuge fast 300 Jahre alt!

Schlußbemerkung: Die Karte wurde 1683 angefertigt. 1681 kam die Grafschaft Kerpen an das Herzogtum Arenberg. Vielleicht ist die Karte aus diesem Grund gezeichnet. Es hatte sich ja eigentlich nichts an den Grenzen verändert, aber der Nachbar war nun ein mächtigerer als vorher, ein Herzog.