»Et öß Jemeen op da Bröck«

Wie früher Dorfpolitik an den Bürger gebracht wurde

Theo Pauly, Gerolstein

 

Oft bin ich als kleiner Junge des Sonntags mit der Schelle in Beinhausen durchs Dorf gezogen mit dem Ruf: »Heut möttdach öm hallwa zwoo ös Jemeen op da Bröck«!

Eine Sache, die es heute nicht mehr gibt. Mittlerweile werden die Gemeinden zentral verwaltet; Beschlüsse werden zwar noch von den Räten der selbständig gebliebenen Gemeinden wir früher gefaßt und durchgeführt, ihre Bekanntgabe aber erfolgt im Mitteilungsblatt der Verbandsgemeinde oder durch öffentlichen Aushang.

Den öffentlichen Aushang gab es seit eh und je. Dorthin aber gelangten nur Verlautbarungen, die von »oben« her verfügt waren und über einen bestimmten Zeitraum ausgehängt bleiben mußten. Alle anderen »Ratsbeschlüsse« oder Angelegenheiten das Gemeinwesen »Dorf« betreffend wurden »op da Jemeen« bekanntgegeben, von allen »op da Jeemen« Anwesenden diskutiert, beraten und beschlossen oder auch abgelehnt.

Die »Bekanntmachungstafel«, an der die Aushänge in Beinhausen erfolgten, hing nicht etwa am Haus des Bürgermeisters, denn da kam nicht jede Woche jeder Dorfbewohner vorbei, sondern am Ortsausgang, den alle passieren mußten, wenn sie die Sonntagsmesse in Hilgerath besuchten, und in die Kirche gingen alle. So war der »Vorsteher« sicher, daß alle Bürger von der »Bekanntmachung« Kenntnis nahmen. Die »Jemeen« fand auf der Brücke statt, die im Oberdorf über die Lieser führt, kurz hinter dem Zusammenfluß der sieben Quellbäche, die am Ortseingang aus Richtung Kelberg/Boxberg den eigentlichen Anfang der Lieser bilden.

Hierhin begab sich dann zur ausgerufenen Zeit je ein Familienmitglied aus den damals achtzehn Haushaltungen des Dorfes, um die Neuigkeiten und Problemchen, die der Ortsvorsteher oder auch damals der Ortsbauernführer hatten, zu erfahren, darüber zu diskutieren oder sich darüber aufzuregen. Da kam es dann schon einmal vor, daß schwelende Familienoder Nachbarstreitigkeiten aufflammten und lautstark unter dem Schmunzeln der Nichtbeteiligten öffentlich auf der Brücke ausgetragen wurden, doch bald beruhigte man sich wieder.

Hierzu trug wohl nicht selten das bruhigende Plätschern der Lieser unter der Brücke bei oder auch der Blick hinüber nach Hilgerath, wo auf dem Kirchhof diejenigen ruhten, die zu Lebzeiten auf die Brücke zur »Jemeen« gekommen waren und sich nicht anders verhalten hatten.

Für uns Kinder war es jedesmal ein Vergnügen, dabei sein zu dürfen, und so wurden wir schon früh in die Politik, wenn es auch nur die eines kleinen Dorfes war, eingeführt. Wir hockten dann zwischen den »Großen« auf dem breitgemauerten Brückengeländer oder auf einem der vielen Baumstämme, die gewöhnlich dort lagen und auf den Abtransport durch irgendeinen Fuhrunternehmer warteten. Da war keiner der Männer, der nicht seine Pfeife rauchte, ab und zu einer, der eine Zigarre zelebrierte und von dem dann die Rede ging, er genieße eine Zigarre nur »op da Jemeen«, um damit zu dokumentieren, daß er sich eine solche leisten könne; nur Schreinerkloas packte gewöhnlich seine Priemdose aus, entnahm ihr mit einer Art Pinzette ein glänzendes braunschwarzes Röllchen Kautabak und kaute genüßlich seinen Priem, wobei das Kauen nur unterbrochen wurde, um einen Strahl Tabaksaft gezielt auf einen Stein am Weg zu schießen. Der Kautabak sah in der Priemdose so appetitlich aus und erinnerte an Lakritze, und ich habe an Schreinerkloas so lange herumgebettelt, bis er mir eines Tages ein kleines Stückchen abgab, um es zu probieren. Er hatte seinen Spaß, ich nicht!

Zeichnung: Horst O. Genenger, Hörschhausen

Es waren aber nicht nur die Männer, die »op de Jemeen« gingen, es waren auch immer Frauen dabei. Sie saßen da mit der Sonntagsschürze, den Strickstrumpf in der Hand, und die Nadeln klapperten um die Wette. Die Frauen waren dabei beileibe nicht nur Zuhörer, sie mischten sich auch häufig in die Debatten ein; und was sie zu sagen hatten, wurde von den anwesenden Männern respektiert wie der eigene Beitrag. »Op da Jemeen« waren die Beinhausener Frauen damals schon emanzipiert.

Man könnte fragen, warum diese Zusammenkunft ausgerechnet auf der Brücke abgehalten wurde. In anderen Dörfer war es der Dorfplatz beim »Backes« oder bei der Schule oder Kirche. Beinhausen ist auch heute noch ein langgezogenes Straßendorf; untergeteilt in Ober-und Unterdorf. Zwischen Ober- und Unterdorf befand sich früher eine unbebaute Strecke von etwa 120 m. Genau in der Mitte dieser Strecke war die »Ziep«, eine Viehtränke für das Dorf. Hier hätte es sich angeboten, den Dorfmittelpunkt hinzulegen. Aber hier wuchs kein Baum und kein Strauch, der für die »Jemeen« Schatten gespendet hätte. Das war auf der Brücke anders. Hier wuchsen zu beiden Seiten hohe Bäume, die Schutz vor brennender Mittagssonne und auch schon einmal vor einem kleinen Regenschauer boten.

Vier Brücken führen insgesamt im Ortsbereich von Beinhausen über die Lieser, aber jeder wußte, welche Brücke gemeint war, wenn es hieß »heut möttdach ös Jemeen op da Brock«. Vielleicht hatten auch die Alten diese Brücke als Treffpunkt für die »Jemeen« mit Bedacht gewählt, weil Brücken verbinden und sie Symbol sein sollte für »verbindliche« und friedliche Debatten und Auseinandersetzungen in der »Jemeen«.

Adolf Molitor hat diese Brücke, auf der früher die »Jemeen« abgehalten wurde, im Jahre 1984 gezeichnet. Diese Zeichnung gibt die Atmosphäre wieder, in der damals in Beinhausen Dorfpolitik gemacht wurde. (Siehe auch Heimatjahrbuch 1985, S. 186)