Kennen Sie Georg Meistermann?

Besuch im Ferienatelier eines Künstlers in Schüller

Marianne Schönberg, Jünkerath

 

Mit der Frage nach Georg Meistermann ging ich in Jünkerath und in der Verbandsgemeinde Obere Kyll buchstäblich hausieren. Daß dieser Mann mit Glas und Malerlei arbeitet, war alles, was ich wußte. Viel mehr verrieten auch die Befragten nicht. Nach unterschiedlichen Antworten erfuhr ich: »Er wohnt in Schüller, in der neuen Schule — ein freundlicher älterer Herr, raucht Pfeife.« Solche Auskunft stimmt heiter. Über den Menschen sagt sie allerdings wenig. Seit einigen Jahren haben die Meistermanns ein Feriendomizil in der Eifel, eine Zweitwohnung mit Atelier. Hauptsitz des Künstlers ist Köln. Und dies erfuhr ich: »Glasbilder hat er gemalt. Auch ein Porträt von Willy Brandt — ein vielgeschmähtes Werk.«

Mit diesem dürftigen Wissen ging ich zum Termin mit Georg Meistermann nach Schüller. Wir hatten uns zwischen zehn und halb elf Uhr verabredet, im Atelier in der Schule. Als ich den Klingelknopf drückte, schlug die Glocke vom Kirchturm zehn. Diese preußische Pünktlichkeit! Manchmal leide ich an mir selbst.

Mein Gesprächspartner nahm's mit einem Lächeln. Nach dem siebten Lebensjahrzehnt sind solche Eigenheiten wahrscheinlich gar nicht wesentlich. Das ist gut so. Ob der Künstler Meistermann gekränkt ist, wenn ich so wenig von ihm weiß? Der Sprung nach vorn schien mir das Richtige und ich sagte, daß ich nur dürftige Informationen anzubieten hätte. Aber wir wollten seine Arbeit im Jahrbuch aufzeigen. Die Zusage kam spontan, nur erzählen über sich, das mochte er nicht. Mit einem Bündel Schriften ging ich aus dem Haus, zum Studium über Georg Meistermann. Da gabs einen Katalog über die Ausstellung im Bundeskanzleramt, über eine Sonderausstellung in Wittlich, die Fenster der evangelischen Feldkirche, Kartons von Glasfenstern für verschiedene Kirchen in der Bundesrepublik, einen Zeitungsausschnitt. über die Rede von Georg Meistermann anläßlich der Verleihung des Romano-Guardini-Preises 1984 in der Kath. Akademie München. Da mußte ich nun durch.

Kenne ich Georg Meistermann nach der Lektüre? Natürlich nicht. Aber ich weiß soviel, daß ich sagen kann, wer da in unserem Raum lebt und was er arbeitet. Ein wenig Rückblende gehört zu solcher Information.

Georg Meistermann wurde am 16. Juni 1911 in Solingen als jüngstes Kind des Schumachers Georg Arthur Meistermann und seiner Frau Sophie geboren. Nach dem Tode des Vaters übernahm der Sohn die Schuhmacherei in der Kaiserstraße 74. Volksschule und Gymnasium besuchte Georg in Solingen. Von 1928 bis 1933 studierte er an der Kunstakademie Düsseldorf; von 1926 bis 1933 war er Zentrumsabgeordneter im Preußischen Landtag.

Ausstellungsverbot und Abbruch des Studiums in 1933; bis 1940 war Meistermann freischaffender Künstler. Erste Glasfenster für St. Engelbert in Solingen entstanden 1938. Vertretungsweise war Meistermann Zeichenlehrer am Gymnasium seiner Heimatgemeinde, 1941 wurde er Soldat. Wegen eines angeborenen Armleidens befreite man ihn vom Militärdienst und als Lehrer wurde er 1943 wegen »politisch untragbarer Äußerungen« entlassen. Ein Bombenangriff 1944 zerstörte alle frühen Bilder. Nach dem Kriegsende ein großes Atemholen. Jeder versuchte, sich neu zu orientieren. Für Georg Meistermann und seine Arbeit kamen Kunstpreise aus Hagen, München, Wuppertal, Köln, Frankfurt und Hamburg. Dem neugegründeten Deutschen Künstlerbund trat er 1950 bei, 1953 wurde er Gastdozent in Hamburg, zwei Jahre später Professor an der Kunstakademie Düsseldorf. Das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland wurde ihm 1959 verliehen, Professuren und Lehraufträge wurden ihm angetragen und von 1967 bis 1972 war er Präsident des Deutschen Künstlerbundes.

Seit der Pensionierung im Jahre 1976 arbeitet Meistermann als freischaffender Künstler. Ein langes Leben mit einer breiten Palette der Ausdrucksform. Ich will versuchen, einiges aufzuzeigen. Nehmen wir zuerst die umstrittenen Portraits: Willy Brandt als bekanntestes, dazu kommen Bilder von Carlo Schmidt und Walter Scheel. Das sind keine fotografisch genauen Abbildungen. Man muß sich schon Zeit nehmen, die Anliegen des Malers zu verstehen. Meistermann wollte mit diesen Portraits auch die Zeit festhalten, mit allen Spannungen und wechselhaften Vorgängen im politischen Geschehen, denen diese Männer in gewisser Weise »ausgeliefert« waren. Gewiß nicht schutzlos, aber persönliche Verantwortung um eine Entscheidung war gefragt, und diese Problematik sollte zum Ausdruck kommen. Als Betrachter kann man dazu ja oder nein sagen.

Es ist nicht von der Hand zu weisen, jede Stellungnahme zu künstlerischen Aussagen ist subjektiv, also von der eigenen Empfindung abhängig. Was mich beeindruckt, kann ich weitergeben. Bei Meistermann sinds die Kirchenfenster. Teils gegenstandslose Arbeiten, die durch Linienführung und Farbgebung faszinieren. Zum Beispiel die Feldkirche bei Neuwied. Da hat Georg Meistermann 28 Fenster gestaltet und jedes aus einem Wort des Alten oder Neuen Testaments. Wunderschöne Farbkompositionen, ganze Schriftsätze aus der Seligpreisung der Bergpredigt, figurale und abstrakte Darstellungen.

In Schalkenmehren wohnt der Glasmaler Bernhard Gössel. Er arbeitet seit Jahren für Meistermann und ist mit der Farbgebung, mit dem Umsetzen der Unikate des Künstlers in das gläserne Fenster vertraut.

Glasfenster schuf Meistermann für die Basilika St. Gereon in Köln, für die Pfarrkirche in Herne, die Kirche St. Marien in Köln-Kalk, die Johannes-Kapelle in Maria Laach, St. Nikolaus in Konz, das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg, das Rathaus Wittlich. Die Reihe wäre beliebig fortzuführen. Das große Altarbild für St. Alfons in Würzburg entstand 1954. Bundespräsident Theodor Heuss schrieb Meistermann in einem Brief: ».. . farbig fand ich die Gliederung der großen Wand in den verschiedenen Schichten, schön und eindrucksvoll.« Und noch ein Brief von Heuss aus dem Jahre 1958 an Meistermann: «... vielleicht haben Sie in der Zeitung gelesen, daß ich bei der Durchfahrt durch Ochtendung eine Kirche mit einem großen Fenster entdeckte, dort halten ließ, um mir von dem Pfarrer bestätigen zu lassen, daß der Entwurf von Ihnen stammt!«

Selten wären zu füllen mit Hinweisen, was dieser Mann geschaffen hat. Doch das Jahrbuch will keine künstlerische Registratur sein. Wenn wir hier einen Anstoß geben, sich mit Georg Meistermann zu beschäftigen, sich für seine Arbeit zu interessieren, dann ist's genug. Weil dieser Maler meist abstrakt, also für den Betrachter auf den ersten Blick unverständlich arbeitet, scheint mir ein Brief des ehemaligen Bischofs von Würzburg, Kardinal Julius Döpfner, besonders wichtig. Er schrieb 1955 an Meistermann: »... so oft komme ich nach St. Alfons hinauf und bin immer wieder neu beschenkt. Ich vermag nicht den künstlerischen Wert Ihres Bildes — es handelt sich um die ganzflächige Wandgestaltung im Altarraum — mit fachmännischer Sicherheit zu beurteilen. Doch beten kann ich dort und mich so tief freuen auf das ewige Leben.«