Die schwere Buße des Bauern

Alles verziehen, aber nicht die Sache mit dem Reh

Alois Clemens, Bausendorf

 

Die schwierigen Zeitumstände der Nachkriegsjahre waren nur allzusehr geeignet, einen sonst harmlosen Eifelbauern mit den Gesetzen und Verordnungen in Konflikt zu bringen. So auch in diesem Fall.

Es war die Zeit der Nachkriegsjahre, als das Schwarzwild in erschreckendem Maße zunahm und in den Dörfern zur Selbsthilfe geschritten werden mußte. Nächtliche Streifen wurden zum Schutz der Getreidefelder kurz vor der Ernte eingerichtet. Auch wurden die Felder, die mit Weizen oder Kartoffeln bestellt waren, eingezäunt. Trotzdem entstanden große Wildschäden, die von niemandem ersetzt wurden, da die Jagdgebiete zur damaligen Zeit meist nicht mehr verpachtet waren oder aber nicht bejagt werden durften. Alle erdenklichen Maßnahmen wurden durchgeführt, und die Einwohner wurden sogar zu Schlingenstellern, um sich vor der gänzlichen Verwüstung ihrer Felder zu schützen. Vom weidmännischen Standpunkt war diese Methode natürlich zu verwerfen, denn manches Reh fiel dieser Selbsthilfe ungewollt zum Opfer. Rein zufällig wurde in dieser Zeit ein biederer Bauersmann in einer solchen »Wilderersache« zum Hehler.

Im zeitigen Frühjahr wollte er in seiner abgelegenen Talwiese den schattigen Kranz starker Haselnußhecken beseitigen und Reiserschanzen daraus binden. Reiser wurden immer benötigt, zumal um diese Zeit noch selbst gebakken wurde. Nicht wenig erstaunt war der Bauersmann, als er ein frisch ausgenommenes Reh in den Hecken seiner Wiese versteckt vorfand, Wahrscheinlich war der Wilderer durch ihn gestört worden und war nun heimlich ohne Beute nach Hause gegangen, oder er hatte in den angrenzenden Berghängen ohne sichtlichen Argwohn nach Schaufel - oder Gabelstielen gesucht, um auf diese Weise seine wirkliche Tätigkeit geschickt zu tarnen. Wie dem auch war, unser Bauer sah niemanden. Der anfängliche Schreck beim Anblick des versteckten Wildes war bald einer heimlichen Freude gewichen. Der in Aussicht stehende zusätzliche Braten ließ den Mann während des Tages schneller als sonst arbeiten. Sein Tagespensum war erreicht, aber es war noch zu hell, und am Tage durfte er sich nicht mit seinem »Fund« nach Hause wagen. Oft schaute er nach der Uhr. Die Zeit wollte nicht vergehen. Als im Nachbarort die Betglocke läutete, raffte er sich auf und rüstete zum Heimgang. Das Reh band er in bauschige Reiser zusammen, hob die schwere Bürde auf die Schulter und ging querfeldein dem Dorfe zu. Mehrmals mußte er seine Last hinlegen und etwas ausruhen. Gespannt horschte er dann, ob ihm niemand folge oder gar entgegenkomme. Seinen Herzschlag spürte er ganz deutlich. Der Schweiß rann ihm von der Stirn. Hastig ging er weiter. Zum Glück lag sein Gehöft am Dorfrand. Völlig ungestört und von niemand beobachtet, gelangte er durch den Garten in seine Scheune. Hier traf er seine Frau. Sie war erstaunt und fragte ihn nach seiner Aufregung, nach einer kurzen Entspannung erzählte er, wie er zu dem Rehbraten gekommen sei.

Obwohl außer den Eheleuten niemand etwas wußte, belastete es trotzdem das Gewissen des braven Mannes. Lange nachher, nachdem das letzte Stück Fleisch längst gegessen war, dachte er immer noch an das Reh. Er war ein Hehler geworden. Nach einigen Jahren hatten sich, Gott sei Dank, die Verhältnisse gebessert. Die meisten Jagdbezirke waren wieder verpachtet, und der Abschuß durch eifrige Jäger brachte der großen Wildschweinplage langsam ein Ende. Die Felder konnten wieder wie zu normalen Zeiten bestellt und auch schadlosgeerntet werden. Just in dieser Zeit wurde in der Pfarrei eine Mission abgehalten. Alles sollte in Ordnung gebracht, was man bis dahin, der Not gehorchend, getan oder den Umständen nach als nicht frevelhaft angesehen hatte. So wünschte es der Pfarrer bei der letzten Sonntagspredigt. Unser Bauersmann hatte sich fest vorgenommen, dem fremden Pater alles zu erzählen aus der »faulen Zeit«.

Mit diesem Vorsatz ging er in die Pfarrkirche zur Beichte. Daß er die Hühner nicht richtig angegeben und auch Milch zum Buttern heimlich zurückbehalten, einige Male schwarzgeschlachtet und sogar Schnaps im Viehkessel gebrannt hatte, verzieh ihm der Ordenspriester sofort. Aber die Sache mit dem Reh, darüber kam er nicht hinweg. Dem reumütigen Bauern war es schon leid geworden, daß er hiervon überhaupt etwas gesagt hatte. Aber es war nun mal gebeichtet, und er mußte das Urteil abwarten, so schwer es auch für ihn werden würde. Der Schaden müsse gutgemacht werden, lautete die Forderung des Paters, der wohl auch noch Weidmannsblut in den Adern hatte. Reumütig versprach der Bauer alles und verließ bedrückt die Kirche. Nie mehr würde er in eine solche Geschichte verwickelt werden, dachte er bei sich, als er sofort den Heimweg antrat, ohne vorher noch einmal im Gasthaus hereingeschaut zu haben. Heute hatte er den Kopf voller Gedanken. Gutmachen hatte er versprochen, aber wie sollte er das anfangen? Betrübt ging er seinem Filialort zu.

Der Heimweg führte ihn durch eine große Wiesenmulde. Dieser Fußpfad war wesentlich kürzer als die Straße. Hier grenzte auch die Nachbargemarkung mit einem breiten Streifen Niederwald an. Zufällig war dieses Jagdgebiet für die Herren der Besatzung reserviert und daher noch nicht  verpachtet. Plötzlich sah er zwei Rehe friedlich äsend in diesem Waldstreifen. Da durchzuckte ihn ein erleuchtender Gedanke. In einem großen Bogen schlich er sich vorsichtig ganz nahe an das Wild heran. Dann schrie er los, fuchtelte mit den Armen und schwenkte seinen Hut solange, bis die Rehe erschreckt in weiten Sprüngen die Wiese überquerten und auf die Heimatgemarkung des Bauern einwechselten. Jetzt war es ihm leichter ums Herz. Er dankte mit einem Blick zum Himmel dem Herrgott für die überraschende Hilfe. Sein Schaden war doppelt gutgemacht. Innerlich zufrieden und ein Lied summend stapfte der biedere Bauersmann munter nach Hause.