Auf Pilgerpfaden der Eifel

Quirinus-Wallfahrt der Oberkailer nach Neroth

Erich Gerten, Oberkail

 

»In Gottes Namen gehen wir - hl. Quirinus, zu dir kommen wir.« Jedes Jahr am ersten Samstag im Mai, frühmorgens 5 Uhr, hört man in der Pfarrkirche von Oberkail (Kreis Bitburg-Prüm) diese Worte, gesprochen von Oberkailer Pfarrkindern. Hl. Quirinus, zu dir kommen wir - das Ziel der Wallfahrer liegt in der Vulkaneifel, nahe Daun. Neroth - ein Dorf in geschützter Tallage verehrt in seiner Pfarrkirche den hl. Quirinus. Man erzählt sich, daß der römische Tribun Quirinus im 2. Jahrhundert n. Chr. als Märtyrer starb und in einer Katakombe beerdigt wurde. Die Gebeine des Heiligen wurden wohl schon im 10. Jahrhundert nach Neuß überführt; seine Verehrung erreichte im Spätmittelalter ihre Blüte.

Der Ursprung der Oberkailer Quirinuswallfahrt liegt im Dunkeln. Es wird erzählt, daß vor Jahrhunderten Seuchen den Viehbestand des Ortes dezimierten. Die ohnehin von allerlei Sorgen und Nöten heimgesuchte Bevölkerung entschloß sich daraufhin, beim hl. Quirinus in Neroth Eindämmung der Seuche und Schutz vor weiteren Viehkrankheiten zu erflehen. Auch wenn die Intention der Wallfahrt sich mittlerweile geändert hat und nicht nur ausschließlich die Landwirtschaft betrifft, so weiß man seit Menschengedenken kein Jahr zu ermitteln, in dem in Friedenszeiten die Wallfahrt nicht stattfand. Nur einmal soll sie ausgesetzt worden sein. Prompt stöhnte Oberkail unter neuen Viehseuchen. Die Wallfahrt lebte wieder auf; lange Jahre entsandte jede Familie, jedes Haus, mindestens einen Fußwallfahrer, so daß die Prozession 150 und mehr Personen umfaßte. Vor nicht allzulanger Zeit sank diese Zahl rapide auf weniger als 20. Besorgt zeigten manche Ortsbewohner das Ende der Wallfahrt an, doch mittlerweile sind Prozessionen mit 50 und mehr Teilnehmern keine Seltenheit.

Auch 1985 machten sich die Oberkailer auf den beschwerlichen Fußweg durch Wald und Feld nach Neroth. Mit dem Pilgerkreuz voran ging es raschen Schrittes betend den Berg hinauf über gepflegte und holprige Waldwege durch das »Lange Tal« bis zur Loh-Salm, einem kleinen Bach in ruhiger Lichtung, nahe der Grenze zum Kreis Daun. Die Pilger hatten gleichsam die Morgendämmerung durchwandert. Eine Wegstunde hatte sie von tiefer Nacht in angenehmes, frühlingshaftes Morgenlicht geführt. Das erste Hindernis, ein steiler Berghang, sollte den überwiegend jungen Pilgern keinerlei Schwierigkeiten bereiten. Mit Elan ging's hinauf nach »Hasselt«, um dann über langgestreckte Wiesen bis Desserath zu ziehen. Gespräche mit den Mitpilgern ließen einen weiteren Sinn dieser Wallfahrt erkennen; das Gemeinschaftsgefühl verstärkte sich.

Der erste kleine Sammelpunkt vor Desserath lud zur kurzen Rast ein. Und weiter ging's, betend und singend, durch das Dörfchen mit seinen Hotels und Pensionen. Frühaufsteher schauten verwundert aus ihren Zimmern und sahen die Gruppe in den Wald Richtung Weidenbach ziehen. Erwachende Natur umgab die

Ansicht von Neroth mit der Bergkuppe Nerother Kopf

Foto Nico Sastges

Pilger bei ihrem Gang, unablässig bis nach Weidenbach betend. Weidenkätzchen standen am Wegesrand, erstes Grün kündigte den in diesem Jahr verspäteten Frühling endlich an. Ein Blick auf die Schönheit dieses Teiles der Eifel ist auch dem Beter nicht verwehrt. »Hinterbüsch«, die heute liebkosende Landschaftsbezeichnung für die Wälder im südlichen Teil des Kreises Daun, bildet das Erholungsgebiet der Ortschaften Meisburg - Desserath - Deudesfeld, vielleicht auch Weidenbach. Doch in Weidenbach tritt der Neroth-Pilger aus dem schützenden Wald heraus und stellt sich auf geteerter Bundesstraße den Gefahren des Straßenverkehrs. Aber auch hier sichtbare Zeichen Eifeler Frömmigkeit - Wegekreuze entlang der Straße oder mitten in Feld und Flur, von weitem zu erkennen.

Links grüßt von der Höhe das einst zur Grafschaft Oberkail gehörende Dorf Salm. Vor Wallenborn, immer noch auf der überraschend ruhigen Straße, trifft sich die Pilgerschar, um betend am Ort Wallenborn entlangzuziehen, hinauf in die Berge der Vulkaneifel. Schade eigentlich, die Natur ist in diesem Frühjahr noch nicht voll erwacht. Ist das der Grund, warum wir dieses Jahr bei Wallenborn den noch mit seinem Pferd pflügenden Bauern vermissen. Oder hat auch er die Geruhsamkeit des Landlebens den Vorteilen der Technik geopfert?

Weiter geht's, in loser Formation, vorbei an Lohhecken, durch ausgetretene Feldwege, hinab in taufrische Wiesen, zum nächsten Ziel, dem «Zehn-Uhr-Berg«, der letzten, steil zu erklimmenden Bergkuppe vor Neroth. Die Oberkailer selbst haben der Kuppe ihren Namen gegeben, die richtige Bezeichnung interessiert niemanden. Es ist halt die Erhebung südwestlich Neroth's, an deren Auslauf sich die Pilger gegen 10 Uhr sammeln, um, nach kurzer Stärkung, hinab nach Neroth zu gehen.

Etliche mit dem Bus angereiste Wallfahrer warten am Ortsrand und lassen eine große Prozession nach Neroth hineinziehen. Annähernd 100 Oberkailer Katholiken füllen die Nerother Pfarrkirche. Der Oberkailer Pfarrer zelebriert die Wallfahrtsmesse und segnet das Quirinuswasser, um dann mit seinen Pfarrkindern im nahen Gasthaus die Mittagsmahlzeit einzunehmen und über dieses und jenes zu plaudern. Sicherlich auch über vergangene Zeiten, in denen Mausefallen aus Neroth am Wallfahrtstag nach Oberkail verkauft wurden. Drahtgeflochtene Mäuse- und Rattenfallen, Schaumschläger, Kuchenwender und dergleichen mehr wurden noch vor wenigen Jahrzehnten in Neroth angeboten. Der Ort war Mittelpunkt dieser eigengeprägten Eifeler Heimarbeit.

Für die Oberkailer naht der beschwerlichste Teil der Wallfahrt. Nur noch die Hälfte der Fußwallfahrer tritt den Rückweg an. Für die anderen steht der Bus zur Heimfahrt bereit. Gott sei Dank ist das Wetter in diesem Jahr ideal; trocken, nicht zu warm. Auch der Heimweg, so scheint es, wird ohne Regenschauern verlaufen. Schnell ist der »Zehn-Uhr-Berg« überquert; kein Wunder, diesmal führt der Weg abwärts. Wallenborn, dessen schmucke Pfarrkirche grüßt, wird betend durchzogen, vorbei am wallenden Born, der dem Ort seinen Namen gab, entlang goldgelber Ginsterblüten, jetzt abseits der Straße quer durch Feld und Flur bis nach Weidenbach zum »Pappelhof«, dessen Gastlichkeit zu längerer Rast einlädt. Jetzt schon mühsam, bei manchen schleppenden Schrittes, ziehen die Pilger durch Desserath; neugierig beobachtet von entgegenkommenden Touristen, aber auch Einheimischen. Manch einer belächelt die müden Pilger, wieder andere sind sich unschlüssig ob ihres Verhaltens. Dann und wann, doch recht selten, bleibt ein Passant stehen, zieht den Hut, oder faltet gar die Hände zum Gebet. Doch das scheinen selbst die Eifelaner verlernt zu haben. Schon sind die ausgedehnten und gepflegten Oberkailer Wälder erreicht. Der nun einsetzende Landregen vermag die Andacht des wohltuende Ruhe verbreitenden Forstes und der die letzte Etappe antretenden Pilger nicht zu stören. Das Kreuz mit grünen Buchenzweigen, dem »Mai«, zu schmücken, ist in diesem Jahr jedoch nicht möglich. Die Natur hat den Mai auf Eifelhöhen noch nicht kommen lassen. Gegen 19 Uhr treten die »Nerother« aus dem Wald heraus, hinter ihnen mühsame, aber erquikkende Wegstrecken, vor ihnen das geschichtsreiche Oberkail, ihr Heimatdorf in der Südeifel.

-----------------------------7d23c827230394 Content-Disposition: form-data; name="hjb1986.44.htm"; filename="" Content-Type: application/octet-stream