Hausgemachte Musik

Lotte Schabacker, Daun

 

Es war damals zwischen den großen Kriegen, als der Plattenspieler noch Grammophon hieß und selten vorkam, als die erste Radio-Generation mehr jaulte als funktionierte, als Konzertkarten für Unreiche noch etwas Besonderes waren, und Musik noch nicht, eingesperrt in ein kleines Kästchen, auf die Straße ging. In jenen Tagen galt auch für sie das 'Do it your self, wenn es sich irgend machen ließ.

In der Regel durften sich die Herren Söhne an Blas- und Streichinstrumenten versuchen, und die Töchter lernten Klavierspielen. Besser: sie nahmen Klavierstunden. Eine dieser Töchter war ich. Es gelang mir schnell, Noten zielsicher in Töne zu übersetzen, und was mich bei dieser Tätigkeit am meisten faszinierte, war meine eigene Fingerfertigkeit. Als ich dann mit der Träumerei aus den Kinderszenen etwa fünfmal so schnell fertig wurde, wie Schumann sich dasgedacht hatte, prophezeite mir mein Klavierlehrer eine große Zukunft - als Taschendieb. Die Träumerei bekam ich für's erste verboten und wurde auf Etüden, die von Czerny, zurückversetzt. Da könnte ich mich ja auslassen! Aber für mich war das keine Strafe, ich liebte Etüden, und eine Zeitlang spielte ich nur noch Czerny. Zum Leidwesen der Mutter. Sie schwärmte eher für die Träumerei und sowas. Und nach meiner täglichen Übungsstunde (das mußte damals sein) strich sie sich mit jener Gebärde über die Stirn, die sonst einer drohenden Migräne vorbehalten war. Doch sie klagte nie.

Aber nicht nur meine Mutter litt, es waren ihrer drei allein schon im engsten Freundeskreis. Eine davon hatte einen Perfektionisten in die Welt gesetzt. Er übte keine Musikstücke, sondern Takte, die er, je nach Leistungsstand, bis zu zehnmal wiederholte, zügig und unermüdlich. Unter Umständen wurde dann die Träumerei zum endlosen Töne-Bandwurm. Haben Sie sowas schon mal ertragen müssen, auf der Geige? Ein anderer Sohn nervte seine Mutter mit dem Hervorbringen sehr tiefer Cello-Töne. Er spielte möglichst alles eine Oktave zu niedrig. Wenn dann das Cello nicht mehr mitkonnte, ging er hoch, dann wieder tief, dann . . . Der wurde übrigens später Orchestermusiker. Die Mütter klagten sich (nicht uns) solange ihr Leid, bis ihnen etwas einfiel.

Nach Rücksprache mit den einverstandenen Musiklehrern, die auch die entsprechenden Noten besorgten, sperrten sie uns zusammen. Zweimal die Woche für je einen halben Nachmittag. Reihum. Zwei Mütter blieben dann jeweils verschont, die dritte würde in dieser Zeit einkaufen gehen.

Aber daraus wurde nichts. Aus dem befürchteten dreifachen Lärm wurde nämlich sehr bald anhörbare Musik, denn wir konnten ja nun, da uns Katzenmusik gegen die Ehre ging, nicht mehr unsere Marotten kultivieren. Wir mußten uns zusammenraufen und uns nach etwas ausrichten, das uns über war, nach den Vorstellungen der Komponisten halt. Gut! So verlor keiner sein Gesicht, und das war wichtig.

Natürlich waren wir uns nicht immer einig, was dem jeweiligen Komponisten genau vorgeschwebt hatte, und ob seine Anweisungen wirklich die besten aller Möglichkeiten waren (ich zum Beispiel fand oft die Pausen zu lang), aber schließlich hörten wir dann doch auf den Geiger. Wir hatten ihn zwar nicht gewählt, aber er war halt der Tüchtigste. Außerdem konnte er mit dem Bogen auf meinen Kopf klopfen, wenn ihm was nicht paßte, ich aber nicht auf den seinen mit dem Klavier.

Es wäre gewiß übertrieben, bei unseren Darbietungen von einem abgerundeten Klangkörper zu sprechen, aber die Mütter waren zufrieden, und schließlich auch die Väter. Mit der Zeit wurde unsere 'Nummer' zu einer beliebten Einlage bei geselligen Treffen und manchmal sogar zum Mittelpunkt. Aber wichtiger als diese kleinen Erfolgserlebnisse war etwas anderes: Wir begriffen, daß der Lehrsatz, das Ganze sei mehr als die Summe seiner Teile, auch hier galt. Wenn wir uns gekonnt ergänzten, dann brachten wir (in etwa) Mozart hervor, zum Beispiel. Wenn nicht, dann waren wir Nervensägen. Mozart war uns lieber! Aber da galten wir schon als 'fortgeschritten'.

Begonnen hat jeder von uns nicht anders wie heute meine Mitbürger von nebenan: Zwillinge, sechs, Flötisten!

»Was ist schlimmer als eine Flöte?« »???« »Zwei Flöten!«, heißt es. Aber das ist es nicht, was mich manchmal nervös macht. An sich liebe ich Flöte. Es sind die Musikanten! Zwar spielen sie weder zu schnell, noch zu tief, noch sonst wie abartig - sie spielen schlicht falsch! Gewiß immer abwechselnd, denn sie sind ein eineiiges Pärchen. Auch Zwillingsmeisterfallen eben nicht vom Himmel. Aber sie sind musikalisch genug, das zu merken, und fair genug, sich deswegen nicht anzubrüllen. Im Gegenteil, sie lachen miteinander über ihre Patzer, daß die Wand zwischen uns wackelt. Und dann üben sie weiter. Ach ja! Und hier fällt mir oft meine Mutter ein mit der Gebärde kurz vor der Migräne!

Also mal ein Hoch! Nein, zur Abwechslung nicht auf die Musik, sondern auf die Geduld! Die Geduld so vieler Mütter, Väter und auch Nachbarn für die pannenreichen und nie stillschweigenden Übungen der jungen Garde. Zwar wäre ohne diese Geduld manches leiser, aber vieles auch ärmer!

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