Lied der Blumen

 

 

Wir haben gebraucht so lange Zeit

nur um ein bißchen zu leben.

Der Weg war schwer, der Weg war weit,

der Weg aus den dunklen Geweben

des Wurzelgestrünks bis zum Sonnenlicht,

aus der Nacht bis zum Erwachen.

Nur ein paar Tage, mehr gab ER uns nicht,

um zu leuchten und lachen.

Und nun ist allzu früh wieder Nacht

in dieser Gruft aus Steinen.

Eine Frauenhand hat uns umgebracht!

Wenn wir könnten, dann würden wir weinen!

 

Deine Vase ist unser Golgatha,

und dein Glück unser Todeszeichen!

Zu kurz gekommen, so stehn wir da:

Eine Handvoll kleiner Leichen. . .

Lotte Schabacker

Fotos: Rita Gehendges, Daun

                  Löwenzahn

 

 

Wir hacken und jäten und reißen

im Garten hinter dem Haus

zwischen den Rosen und Nelken

das lästige Unkraut aus.

 

Wir schützen das Kostbare, Edle!

Doch denken wir dann und wann

auch mal an die Kinder der Enkel?

Denken wir wohl daran,

 

daß s i e sich freuen werden

— wenn nicht ein Wunder geschieht —

wenn in vergangenen Gärten

noch mal ein Löwenzahn blüht?

Lotte Schabacker