Denkmalpflege im Kleinen

Das Bettinger Nischenkreuz restauriert

Prof. Matthias Weber, Köln

 

Die Eifel ist das Land der Wegekreuze. Dieses Wort, das dem aus Monschau stammenden rheinischen Schriftsteller Ludwig Mathar (1882-1958) zugeschrieben wird, hat viel für sich. Besaß doch allein schon der Kreis Daun nach einer in den Jahren 1949/52 durchgeführten Zählung 483 Wegekreuze und Bildstöcke. Wieviele davon heute noch stehen, wissen wir leider nicht. Immerhin waren auch 80 Holzkreuze darunter. Ihre Lebensdauer ist natürlicherweise ohnehin kürzer als diejenige der vielen Sandsteinkreuze. Unsere Wegekreuze, die heute kaum noch so wie früher auch sakralen Zwecken, etwa bei Flurprozessionen, dienen, sind in mehrfacher Hinsicht Denkmäler. Sie erwecken im Betrachter nicht nur Gedanken an das Zeichen des Kreuzes und seine Botschaft an uns Menschen, sondern auch an den Errichter des Kreuzes und sein Anliegen, sein Motiv, wie wir heute sagen. Diese Kleindenkmäler erinnern schließlich auch an die handwerkliche Fertigkeit, ja häufig auch an die künstlerische Begabung und Tüchtigkeit des Steinmetzen oder gar Bildhauers, dem wir die konkrete Gestalt des Wege- oder Feldkreuzes verdanken. Heute sind die vielen Buntsandsteinkreuze im Kreis Daun außerdem regelrechte Kulturdenkmäler, die eine hier ehemals im Kylltal blühende Sandsteinindustrie gegenständlich bezeugen. Deren Produktionszentren waren im nördlichen Kreisgebiet die Gemeinde Oberbettingen bei Hillesheim und am Südrand des Kreises das Städtchen Kyllburg. Diesen beiden Herstellungsplätzen lassen sich durchweg die jeweils in ihrer Umgebung stehenden Steinkreuze zuordnen. Daß viele dieser teilweise recht formschönen Wegekreuze weit über 300 Jahre alt sind - acht Kreuze im Kreisgebiet stammen sogar aus der Zeit von vor dem Jahr 1600 - , macht ihren besonderen kulturgeschichtlichen Reiz aus. Im Laufe dieser Jahrhunderte waren sie nicht nur den schädlichen Einflüssen der Witterung und so manchen Kriegseinwirkungen nahezu schutzlos ausgesetzt, sondern auch den vielen Gefahren des ständig wachsenden Verkehrs. So etwa beim Straßenbau oder bei der Holzabfuhr.

Aber immer wieder gab es auch Menschen, die sich, wo dies irgendwie möglich erschien, um die Wiederherstellung (Restaurierung) und Wiederaufrichtung dieser oft unscheinbar wirkenden, aber wichtigen Kleindenkmäler unserer Geschichte sorgten und kümmerten. Es mußten nicht unbedingt besonders geschulte und beauftragte Vertreter der öffentlichen Denkmalpflege oder ortsnaher Behörden sein. Auch der kulturgeschichtlich aufgesschlossene Sinn privater Einzelpersonen oder von Gruppen, dieses kulturelle Erbe, das uns die Vorfahren in den Kleindenkmälern mit zum Teil Kleinodcharakter hinterlassen haben, gebührend zu pflegen, ist gottlob nie ausgestorben. Nicht zuletzt verdanken wir gerade solcher Wachheit und Zuwendung viele wichtige Anstöße und Initiativen zu praktischer Denkmalpflege sowie zum Bewahren kultureller Traditionen, die auch unsere eigene Generation wieder überleben mögen.

Es ist sogar besonders erfreulich und ergiebig, wenn private Vereinigungen von »Gesinnungsfreunden« dahinter stehen und ihren Stolz dareinsetzen, diese kleinen, aber wichtigen Zeugnisse unserer Vergangenheit nicht verkommen zu lassen. Sie empfinden es geradezu als eine Blamage, daß unsere materiell gewiß ärmeren Vorfahren die Opfer und Kraft aufbrachten, solche Denkmäler zu errichten, während wir heute Lebenden noch nicht einmal bei wesentlich höherem Lebensstandard und Wohlstand in der Lage sein sollten, sie zu erhalten. Die tatkräftigen und entschiedenen Bemühungen solchen Denkens und Handelns werden dann zum überzeugenden Liebesbeweis, der auch Hartgesottenen unter die Haut geht.

Einen derartigen Beweis der Heimatliebe und Heimatpflege erbrachte Anfang des Jahres 1985 der Heimatverein Niederbettingen. Er zählt im adretten 250-Seelendorf an der mittleren Kyll, das seit 1974 dem bekannten Marktort Hillesheim eingemeindet ist, rund 80 Mitglieder. Ein Drittel davon sind sogar auswärtige Heimatfreunde. Ihm war der marode Zustand des alten Nischenkreuzes jenseits des Kyllstegs, das im Gebüsch von Weißdornsträuchern sein weithin unbeachtetes Dasein fristete, schon länger ein Dorn im Auge. Dieser Zustand wurde auch nicht besser dadurch, daß der reizvolle Wanderweg von Hillesheim durch das Bolsdorfer Tälchen ins Kylltal nach Niederbettingen zu »Eifeldom« und Schutzhütte »Heimatblick« immer mehr Besucher anlockte. Im Gegenteil! Von Nachbarorten der Verbandsgemeinde Hillesheim war inzwischen vom Hörensagen oder durch Augenschein vor Ort bekannt, daß hier viel für die Restaurierung solcher Kleindenkmäler im Ortsbereich und in der Gemarkung getan worden war. So wirkten beispielsweise die Gemeinden Kerpen und Oberbettingen geradezu wie leuchtende Vorbilder. Von beiden Ortschaften ist auch bekannt, daß sie im Dorfwettbewerb beachtliche Erfolge errangen, was allerdings auch von Niederbettingen gesagt werden muß.

Nischenkreuz bei Niederbettingen 1982 vor der Restaurierung...

Dennoch ging es mit dem besagten Nischenkreuz bei Niederbettingen zunächst trotz wiederholter offizieller Vorstöße des Heimatvereins nicht weiter. Schließlich packte sich der Heimatvereinsvorstand Anfang 1985 ein Herz und beschloß, das Wegekreuz auf eigene Kosten restaurieren zu lassen. Beflügelt wurde dieser Entschluß durch eine beachtliche Spende eines Mitglieds. Angebote waren längst eingeholt; es mußte also noch gehandelt werden. Den Auftrag erhielt schließlich der Steinmetzmeister Valentin Theres aus Neustraßburg. Er ist u. a. durch erfolgreiche Restaurierungsarbeiten an der Erlöserkirche in Gerolstein fachlich ausgewiesen. Trotz des harten und lange anhaltenden Winters 1984/85 fand Meister Theres mit seinen Gehilfen eine Gelegenheit, das Kreuz an seinem Standort auszuheben und zur Restaurierung in seine Neustraßburger Werkstatt zu transportieren. Wer je den alten Zustand des Kreuzes näher betrachtete, mochte auf den Gedanken gekommen sein, eine Restaurierung wäre, wenn nicht eine vergebliche, so doch eine kostspielige Liebesmühe, die sich nicht lohne. Regelrechte »Transplantationen« von gesundem auf kranken Stein waren erforderlich. So zum einen eine völlige Neuabdeckung der in den Stein gehauenen Nische, und zwar so, daß zugleich die Halterung für ein Eisentürchen damit verbunden werden konnte, zum anderen ein völlig erneuerter Kreuzaufsatz. Der Betrachter von heute weiß dem Steinmetzmeister und seinen Mitarbeitern Dank und Anerkennung für das wohl gelungene Werk. Das über 350 Jahre alte Wegekreuz ist nicht nur mit den Mitteln heutiger Handwerkstechnik von allen Resten eines alten und Verwitterungserscheinungei »herausgeputzt« worden, sondern als glückliche Mischung von überwiegend alten Teilen und harmonisch damit verbundenen und ergänzenden neuen Stücken an seinem Standort auch eine regelrechte Augenweide. Der Reiz der schlichten Form von Kreuzesschaft, Nische und Aufsatz wird noch erheblich verstärkt durch das barockförmige Eisentürchen, das eine noch zu beschaffende Innenfigur (»Schmerzhafte Muttergottes«) schützen wird. Der 77jährige gelernte Huf- und Wagenschmied Willi Uters (Niederbettingen), passioniertes Heimatvereinsmitglied, fertigte und stiftete das Werk zur größeren Ehre Gottes und aus Heimatliebe. Ihm sei auch an dieser Stelle herzlich gedankt. Das Wegekreuz wurde bereits am 19. April 1985 - gut einen Monat vor Pfingsten 1985 - wieder aufgestellt. Seine wesentlichen Merkmale sind schnell beschrieben:

1985 nach der Restaurierung.

Sein Material ist Buntsandstein mit einem spitz-giebeligen Eisentürchen vor der Nische. Seine Maße betragen 220 cm in der Höhe und 42 cm in der Breite. Eine alte Inschrift - etwa mit dem Jahr seiner ersten Errichtung und dem Namen des Stifters - ist nicht vorhanden. Jedoch stützt ein Vergleich von Stilmerkmalen und Daten ähnlicher Wegekreuze in der näheren Umgebung die Vermutung, daß dieses Nischenkreuz bei Niederbettingen um das Jahr 1625 entstanden ist. Stifter und Stiftungsanlaß sind - wie bereits angedeutet - unbekannt. Die tiefe Nische des Kreuzes diente früher dem Aufstellen des Allerheiligsten, das bei Flurprozessionen mitgeführt wurde. Solche Flurprozessionen waren insbesondere als sogenannte Hagelprozessionen noch bis um das Jahr 1800 (Zeit der Aufklärung) im Kreisgebiet frommer Brauch.

Der Standort des Kreuzes im westlichen Grenzbereich der Gemarkung der ehemaligen Gemeinde Bolsdorf (auch sie wurde 1974 nach Hillesheim eingemeindet), mag auch darauf hinweisen, daß es u. a. die Aufgabe hatte, eine gemeindliche Besitzgrenze zu markieren.

Wir sehen, solche Kleindenkmäler wie Wege-und Feldkreuze, sind Zeugnisse unserer Kulturgeschichte. Wir begegnen ihnen in Gottes freier Natur. Sie sind gleichsam ein Stück Geschichte zum Anfassen. Da sie besonderen Gefahren ausgesetzt sind und auch leicht übersehen werden, bedürfen sie erst recht unserer wachsamen Obhut und Pflege. Wenn vor dem Bettinger Nischenkreuz heute sogar ein in Naturstein gefaßtes Blumenbeet das Betrachterauge erfreut, kann das nur als ein Zeichen der Liebe und Verehrung für diese wichtigen Zeugnisse frommer Volkskultur gedeutet werden. Inzwischen wurde dem Heimatverein Niederbettingen bei seinen Bemühungen um die Restaurierung des Nischenkreuzes auch offizielle Hilfe zuteil. Mit Freude und Dankbarkeit nahm er die Mitteilung zur Kenntnis, der Kreisausschuß des Kreises Daun habe für die Restaurierung des Nischenkreuzes bei Niederbettingen einen beachtlichen Zuschuß zur Verfügung gestellt. Dies war ihm vor Auftragserteilung weder bekannt noch als Wahrscheinlichkeit angedeutet worden. Eine solche überörtliche Förderung setzt jedoch ein erfreuliches Zeichen fruchtbarer Zusammenarbeit zwischen privater, sprich vereinsmäßiger, und öffentlicher Denkmal- und Heimatpflege. Der Heimatverein Niederbettingen erblickt darin eine Bestätigung seiner gemeinnützigen Bemühungen am Ort und zugleich eine Ermunterung, weiter im engeren Heimatraum initiativ zu bleiben. Sein erfolgreicher Einsatz speziell für das beschriebene Nischenkreuz rechtfertigt also voll und ganz die heutige Kreuzinschrift: REST. 1985 HVN = RESTAURIERT 1985 HEIMATVEREIN NIEDERBETTINGEN. Möge die kürzelhafte Inschrift auch nachwachsende Generationen ermutigen und anregen, Heimatliebe und Heimatpflege als Erbe und Auftrag zu empfinden.