Kompaß und Glocke gefragt

Halbtagswanderung mit Sorgen und frohem Ausklang

Fritz Jaquemod, Daun

 

Es ist Januar, vier Wochen lang hat der Himmel voller Wolken gehangen, und manchen hat der Regenkoller gepackt. An diesem Sonntag jedoch strahlt der Himmel und die Sonne vergoldet den Tag.

Am Postamt in Daun treffen sich 18 Wanderer, ungewohnterweise alles Einheimische. (Keen Frimme dabey!) Der Weg führt den Arnsberg hinunter zum Viadukt. Hier nehmen wir den fast vergessenen Pfad durch die Schleif in Richtung Burbach. Zwischen den unbelaubten Bäumen hindurch bietet sich ein herrlicher Ausblick auf die Kreisstadt. Der etwas steile Aufstieg vom Burbach zum Übergang über den Eisenbahntunnel durch Wiesen und Haine endet in einen Pfad, der von Schlehen- und Weißdornhecken, Ginster- und Haselnußsträuchern eingesäumt wird. Vor einigen Jahren war der Pfad so zugewachsen, daß Männer unserer Wandergruppe den Weg freischlagen mußten.

Am Ende dieses Pfades wird dann plötzlich der Blick frei auf Weinfeld, den Mäuseberg, die Senheld und Altburg. Weiter führt der Weg über Flurwege bis zur Maarstraße, deren Überquerung wegen des starken Autoverkehrs gefährlich geworden ist. Wehmütig erinnert man sich dann an die Zeiten des Liedes: »Wozu ist die Straße da? Zum marschieren«. Es war einmal...

So gelangen wir zum Kapellchen am Toten Maar. Ein kurzer Besuch, um schweigsam die Atmosphäre auf sich wirken zu lassen. Um diese Jahreszeit herrscht hier oben noch himmliche Ruhe. Das Totenmaar läßt jeden in Melancholie versinken; weg sind die Gedanken an Alltag und Arbeit. Im Kopf ist Platz für Träumereien. Die Phantasie wird angeregt.

In dieser Stimmung gehen wir hoch zum Mäuseberg, nehmen vom Dronketurm aus den Pfad am Waldrand vorbei zur Karl-Kaufmann-Bank. Dieses idyllische Plätzchen erinnert viele an die Jugendzeit. Das stille Eckchen wurde früher von jungen Pärchen bevorzugt und aufgesucht. So erwähnt einer der Wanderer beiläufig, es sei ein Platz zum Schmusen gewesen. Weiter führt der Weg vom Fuße des Mäuseberges über Wiesen und Felder mit Flurnamen Erz. Nach etwa 800 Metern bietet sich hier eine sehr schöne Aussicht in Richtung Liesertal mit dem Härenbüsch und dem neuen Feriendorf Grafenwald, das Pützbachtal mit seinen Dörfern Pützborn, Neunkirchen und Steinborn, dem Ernstberg, Scharteberg, Nerother Kopf, Riemerich, und am Horizont die Höhen hinter Üdersdorf, Bleckhausen und die Mosenberge. Die Augen nochmal zurück nach rechts geschwenkt sehen wir Daun mit Wehrbüsch, Nikolauskirche, Mitteldaun mit der Burg, Oberdaun mit Kreuzberg und Hunert.

Einige 100 Meter weiter empfängt uns ein Mischwald; unser Weg ist flankiert von Hagebutten, Schlehen und Weisdorn, Ginster und Wacholder. Überraschenderweise sind viele Sträucher noch von Früchten behangen und bieten damit unserer Vogel- und Kleintierwelt einen reichen Tisch für ihre Mahlzeiten.

In diesem Waldstück muß das folgende Drama seinen Anfang genommen haben. Nach Durchschreiten einiger lang gezogener Kehren durch die abwärts gelegenen Weidekoppeln vermissen wir auf einmal zwei Damen unserer Wandergruppe, die Anny und die Hildegard. Die ganze Zeit vorher bildeten die zwei immer das Schlußlicht nach dem Motto: Das dicke Ende kommt nach! Nach längerem Warten und in der Hoffnung, sie könnten unterhalb vom Mäuseberg den geraden Weg hierrunter zum Gemündener Maar genommen haben, gehen wir zum verabredeten Lokal, zur Kaffeepause weiter. Aber hier zeigt sich der Irrtum; nach Aussage der hier schon eingetroffenen Wanderfreunde waren die zwei Vermißten bis kurz vor der genannten tragischen Stelle hinter ihnen gewesen. Bangen Wartens vergeht eine Stunde, Kaffee und Sahnewaffeln mit Kirschen schmecken nicht mehr. Angst und Sorge überkommen die meisten Teilnehmer der Gruppe, bis schließlich drei Männer zur Suchaktion aufbrechen. Sie sind kaum 10 Minuten weg als der Ruf ertönt: »Sie kommen, Land in Sicht«:

Welch Glück, welche Erlösung, als die zwei im Schweiße Ihres Angesichts, mit knallrotem Kopf leibhaftig wieder unter uns sind! Vor Wiedersehensfreude fällt der Stefan der Hildegard an die Brust. Anny läßt sich völlig ermattet in den Stuhl fallen, während ihr Mundwerk wie ein Maschinengewehr prasselt. Dieses Erlebnis in der Irre, ihre absolvierten Weg- und Querwald-ein-Strecken müssen danach toll gewesen sein. Bergauf- und ab, Böschungen und Steigungen hoch und runter, ein gescholtener Weg, der sich im Walde in Nichts auflöste. Einmal hatten sie die Üdersdorfer Mühle in Sicht, dann die Kläranlage, sogar den Ponyhof und den Fischweiher, auch eine Brücke haben sie passiert, aber kein Weg wollte der richtige sein.

Wir, die vorhin große Sorgen um die Vermißten plagten, können die Schilderungen über ihre Erlebnisse mitfühlen. Was wäre geschehen, wenn es früher dunkel geworden wäre? So ohne Begleiter draußen im Wald, hungrig und verlassen, mit zerrissenen Schuhen und Strümpfen. Die Freude über die glückliche Wiederkehr ist groß. Wie so oft im Leben, kein Schaden ist so groß, ein kleiner Vorteil ist immer dabei. Tags darauf hört man in Daun, Anny hatte alle Ursache, daheim angekommen, sich zuerst zu baden. Ferner habe sie erfreut feststellen können, daß sie drei Pfund an Körpergewicht eingebüßt hat; für's Figürchen bestimmt eine Wohltat.

Inzwischen wurde beim Vorstand des Eifelvereins der Vorschlag eingereicht: diese zwei tüchtigen Wanderer sollen zum Wanderführer gekürt und gleichzeitig mit Kompaß und einer Glocke um den Hals ausgerüstet werden.