Unsere zwei Raben

Änni Steffes, Mückeln

 

Eines Tages brachte unser Junge einen Raben mit nach Hause, der Besitzer konnte ihn nicht halten, da er in der Umgebung zuviel Schaden anrichtete. Er bekam einen großen Käfig im Garten mit einer schön geschützten Schlafstelle. Es dauerte eine Zeit bis er sich eingelebt hatte. Natürlich mißfiel ihm sein Gefängnis, doch das Futter verschmähte er nicht. Mein Mann, der durch eine schwere Kriegsverletzung viel Zeit hatte, freundete sich bald mit ihm an. Er war ein schöner schwarzer Geselle, feingliedrig und zierlich; wir hätten nie gedacht, daß so ein Rabe soviel Freude bereiten könnte. Eines Tages überraschte er uns, er ahmte Nachbar's Hund nach. Er bellte genau wie jener und rief auch später Asta, genau in dem Ton wie die Nachbarin und darauf rief er in tieferem Ton, wie der Nachbar: Astaaa, Astaaa. Jetzt erst merkten wir, daß er sich zu einem kleinen Genie entwickelte.

Da wir immer Jakob riefen, hatte er das auch bald in seinen Sprachschatz aufgenommen. Nun konnten wir uns richtig mit ihm unterhalten. So um acht Uhr morgens fing er an: Jakob, Jakob, ob, ob, ob. Mein Mann, der später aufstand, gab ihm immer Antwort. Dann bellte er dazwischen und rief der Asta. Über unserem Garten war das Vieh auf Weide, da fand mein Mann heraus, daß nicht immer die Kühe und Rinder in vier, fünf verschiedenen Tönen oben muhten, sondern daß unser Jakob die Stimmen täuschend nachmachte.

An unserem Garten vorbei führte ein Weg, da spielten öfters fünf, sechs Kinder, sie lachten und riefen untereinander. Da rief mein Mann. Ich hörte die Kinder, das Lachen und Spektakel, wie's Kinder halt machen. Da wir eine hohe Hecke um den Zaun haben, ging ich auf den Weg. Ich fand keine Kinder, es waren keine da. Wie konnte das kleine Tier nur soviele Stimmen täuschend nachmachen? Mein Schwager ging alle paar Tage oben vorbei und sprach mit Jakob, und der rief alles, was er sich angeeignet hatte. Sie hielten ein richtiges Schwätzchen ab. Eines morgens rief mein Mann mich ins Schlafzimmer: »Komm hör mal zu«. Und dann hörte ich Jakob ganz deutlich rufen: »Pauauaul - Pauauaul«. Er hatte ihn zum ersten mal beim Namen gerufen. Wir wollten ihn so gerne mal auf Band aufnehmen lassen, damals war das ja noch sehr schwierig. Doch eines morgens lag das arme Tierchen tot im Käfig, eine zu spät erkannte Krankheit hatte ihn uns weggenommen, wir trauerten sehr um ihn.

Unser zweiter Rabe war ein ganz anderer Typ, ein großes Sprachtalent war er nicht, er rief wohl: »Jakob, ob, ob, ob« — das wars aber auch. Er liebte seine Freiheit so sehr, schrieh und krächzte und hackte wütend gegen den Draht seines Käfigs. Wir ließen ihn öfters fliegen. Im Anfang gings noch gut, doch bald entwickelte er sich zu einem kleinen Unhold. Hatte ich Wäsche aufgehängt, dann machte es ihm großen Spaß oben über die Leine zu trippeln. Und gerade die weiße Wäsche wählte er sich dazu aus und hinterließ seine Dreckspuren. Dann krallte er sich unten an die langen Herrenunterhosen und schaukelte nach Herzenslust hin und her.

Ein kleiner Spitzbub war er auch. Das fing damit an, daß er kleine Wäschestücke von der Leine riß. Es fehlten da und dort Taschentücher, Küchenhandtücher; sogar ein Unterhemd von einer neuen Garnitur aus Nachbars Garten war nicht mehr aufzufinden. Beim Strümpfeaufhängen kriegte er mich besonders bei den Männersocken öfters dran. Dann sagte ich schon, heute kriegst du keinen und doch gelang es ihm fast immer, einen zu stibitzen und damit fortzufliegen, verlor mal einen, scharrte sie im Garten ein, aber meistens blieben die Sachen verschwunden. Ein kleines Schäferstündchen war es für ihn, wenn ich im Garten Unkraut jätete; dann hockte er sich neben mich, pickte die Würmer aus dem Boden, scharrte in der Erde, fand mal eine Raupe, manchmal riß er Unkraut aus, so als ob er mir helfen wollte. Ich redete mit ihm, streichelte ihn. Er ließ sich sein Köpfchen kraulen und an seinem zärtlichen »gack, gack, gack« konnte ich erkennen, daß er sich sehr wohlfühlte dabei. Er war sehr anhänglich und wir hatten ihn auch sehr lieb gewonnen.

Im Sommer versammelten sich die anderen Raben und wollten ihn mitlotsen. Er zog mal Stunden, dann ein paar Tage mit ihnen. Wir hofften, er würde den Weg in die Freiheit wiederfinden. Einmal schien es geschafft zu sein. Er zog mit den Raben fort, doch nach zehn, vierzehn Tagen kam er zurück. Er war nicht gewöhnt sich selbst zu ernähren, er zog es vor, zu seinem gefüllten Napf zurückzukehren. Mittlerweile hatte es sich im Dorf herumgesprochen, daß er der kleine Übeltäter war, der da und dort Schaden anrichtete. Die Klagen häuften sich und wir konnten ihn nicht mehr behalten. Halten würden wir jeoch keinen Raben mehr; man kann ihnen bei aller Liebe die Freiheit nicht ersetzen.