Der ständige Begleiter

Wie Bellos Autorität uns zu Respekt verhalf

Lotte Schabacker, Daun

 

Es sollte ein beschaulicher Spaziergang werden am Ende unseres Urlaubs. Es war zwar sehr heiß, und wir beide, mein Mann und ich, sind nicht mehr gar so jung, aber wir konnten ja langsam gehen, uns hier und da auf eine Bank setzen oder ins Gras. Oder auf einem Hügel Umschau halten und den letzten Film verknipsen, Motive gab es genug. In unserem Ferienparadies hatten sich viele Naturherrlichkeiten versammelt: Wälder, Grasland, Schafe, Gewässer, Heide, sogar ein bißchen Moor.

Unser Ziel sollte ein Dörfchen sein, wo wir vor dem Rückweg etwas trinken wollten. Unterwegs kamen wir an einem einsamen Gehöft vorbei. Davor, am Wegrand, saß ein mittelgroßer Hund. Er blickte uns neugierig-heiter-vertrauensvoll entgegen, den Kopf auf neckische Art etwas schief gelegt. Wir blieben vor ihm stehen und sahen ihn ebenfalls an. Wobei wir uns fragten, welche Ahnen wohl an seinem Erscheinungsbild mitgewirkt hatten. Schwer zu sagen. . .

»Hallo, Bello!« sagte mein Mann. So spricht er jeden fremden Hund an, mit dem sich zufällig ein Kontakt ergibt. Nicht wahr, das liegt ja auch nahe, vom Wortklang her hat Bello mit Bellen zu tun. Meistens bedanken sich die Angesprochenen bei ihm dafür mit freundlichem Schwanzgewedel. Dieser aber machte einen begeisterten Luftsprung, quasi aus dem Sitz. Sehr originell! Wir lobten ihn gebührend. Daraufhin vollführte er einen Freudentanz. Ob er wohl Ballettunterricht gehabt hatte, wollten wir wissen, Hunde-Volkshochschule, Kurs für Fortgeschrittene? Daraus ergab sich dann noch eine kleine Unterhaltung.

Der Hund war mit allem einverstanden, was wir sagten, und das gefiel uns. Nach freundlichem Abschied gingen wir dann vergnügt weiter.

Der Hund folgte uns. Ihm ist zu dem gehabten Gespräch noch etwas eingefallen, dachten wir. Gut, soll er sich aussprechen. Aber dann hatte er wohl den Faden verloren, den er nun in unseren Fußstapfen suchte. Natürlich machten wir uns über den fadensuchenden Hund lustig. Entweder hatte er das gemerkt und in die falsche Kehle bekommen, oder er hatte von vornherein etwas ganz anderes im Sinn, und wir hatten seine Äußerungen nur falsch interpretiert. Jedenfalls ging er, als wir wegen einer kleinen Steigung etwas langsamer wurden, dazu über, uns auf die Fersen zu rücken, mal dem, mal dem.

Wir sahen uns schief und vorsichtig nach ihm um. Mit wem hatten wir uns da eingelassen? Nein, erwirkte nicht bissig, sondern einfach nur fleißig, ordentlich und pflichterfüllt. Irgendwie erinnerte er mich an die Preußen, deren Tugenden mein Großvater in meiner Kindheit oft rühmend aufgezählt hatte, und ich mußte laut lachen. Das fand der Hund unpassend, und er wurde strenger. Jetzt durften wir noch nicht mal mehr einen kleinen Trab einlegen, selbst als es bergab ging.

Unser Hund sorgte schon dafür, daß wir nichts falsch machten. Seinem Unwillen über unbotmäßiges Verhalten gab er unüberhörbar Ausdruck, indem er bei fast geschlossenem Maul ein Geräusch erzeugte, das gleichzeitig aus zwei Konsonanten bestand, dem W und dem R. Und passen tat ihm vieles nicht, etwa, wenn wir stehenbleiben wollten, um zu knipsen. Umdrehen konnten wir uns zwar und mit ihm reden, aber dann mußten wir den Rückwärtsgang einlegen, das Tempo dabei gab seine Nase an unseren Fußspitzen an. Und uns auf eine Bank zu setzen oder gar ins Gras zu legen, daran war im Traum nicht zu denken. WWW/RRR! Wenn doch wenigstens ein Einheimischer auf dem Weg gewesen wäre! Aber weit und breit keine Menschenseele.

Eine hochdramatische Schau zog unser ständiger Begleiter ab, wenn wir zwei Menschen uns mal voneinander entfernten; dann umkreiste er uns — je größer der Abstand, desto schneller —, bis er uns wieder auf den Haufen getrieben hatte. Wobei er immer zwei Runden im Uhrzeigersinn und die dritte andersherum drehte. Zu diesem Zweck wendete er nicht einfach, sondern schwang sich rasant herum, wohl um uns die Arbeit, die er mit uns hatte, recht deutlich zu machen. Um möglichst lang und imposant zu wirken, hielt er den Kopf in Laufrichtung und stellte irgendwie seine Haare zu Berge, schielte aber aus den Augenwinkeln nach uns hin. Überhaupt gab er sich alle Mühe, zugleich wütend, autoritär und würdevoll auszusehen, ein verzwicktes Unterfangen.

Einer, der Würde hat, beißt ja nun nicht, sollte man meinen. Aber wußte er das auch? Wir waren nicht so sicher. . .

Unsere Hoffnung, dem Aufseher im angesteuerten Dörfchen durch eine Gasthoftür zu entwischen, mußten wir begraben, denn kurz vor den ersten Häusern dirigierte er uns wieder zurück, auf demselben Weg und mit derselben Methode. Bei seinem Zuhause angelangt, setzte er sich dann so hin, wie wir ihn angetroffen hatten, und sah uns freundlich an. Wie ein Hund eben, der Anspruch auf ein liebes Wort und ein Dankeschön zu haben glaubt. Wir lächelten ihm gequält zu, mehr schafften wir nicht.

In unserem Gasthof erzählten wir von dem Abenteuer. Schallendes Gelächter! Aber wir waren inzwischen fähig, mitzulachen. Die ein-heimischen Gäste klärten uns dann auf: Das sei einer der Hunde des Schäfers gewesen; von dem sei nie bekannt geworden, daß er je einen Menschen gebissen habe. Im Moment feiere er krank und müsse das Haus hüten, sei aber nun schon wieder gut beieinander. »Ja, das kann nur der Bello gewesen sein! Der ist verrückt darauf, Schafe zu hüten, ha ha!« »Bello???«

»Ja, so heißt er, so nennt ihn sein Herr, darauf hört er.« Seither spricht mein Mann fremde Hunde nur noch mit »He, du« an.