Freunde in der Wolfsschlucht

Warum der Wolf als Feind des Menschen verteufelt wurde

Heinz Tschimmel, Gönnersdorf

 

In dem hier folgenden Artikel soll in der Hauptsache die Rede davon sein welch schönes, kluges und im Familienverband sozial lebendes Tier der Wolf in Wirklichkeit ist, und nur nebenbei soll darüber berichtet werden, wie es zur Verfolgung der Wölfe in der Eifel, bis zu deren vollkommenen Ausrottung durch den Menschen, kam.

Vor einigen Jahren war in einer Bürgerzeitung im Räume Düren etwa folgendes zu lesen: »Von Wölfen in Eifel und Flachland«, im Jahre 1876 (?), haben einige Bauern, zum Segen für die ganze Bevölkerung, den letzten hier lebenden Wolf in einem Gehöft in eine Ecke getrieben und haben ihm, mit Knüppeln und Mistgabeln, den Garaus gemacht. Diese Tat wurde als lobenswert und verdienstvoll geschildert, wogegen der Wolf als gefährliches Ungeheuer dargestellt wurde. Der Verfasser des Artikels hatte den Wolf geschildert, wie er den meisten Menschen durch schriftliche und mündliche Überlieferungen früherer Zeitgenossen bekannt war, und man kann ihm daher keinen Vorwurf machen.

Aber wie kam es, daß der Wolf bis in die heutige Zeit, so verteufelt wurde und noch wird, und wie kam es dazu, daß der Wolf, wie kein anderes Tier auf dieser Erde, so lange gehetzt und verfolgt wurde, bis er in vielen Gebieten, so auch in der Eifel, endgültig ausgerottet war? Diese Frage ist nicht so schwer zu beantworten, wie es zunächst scheint. Will man zuerst einmal dem Ursprung der Wölfe in der Eifel nachgehen, so ist es wohl unmöglich, das erste Auftreten dieser Tiere in der Vulkaneifel festzustellen. Mit Gewißheit waren sie schon vor dem ersten Auftreten der Menschen, im Zeitalter des Pleistozän, in den riesigen Wäldern der Eifel und Ardennen, weit verbreitet. Als dann der Mensch in diesen Räumen siedelte, begann die Einengung der Lebensräume der Wölfe und damit auch deren Verfolgung, da der Wolf, als Nahrungskonkurrent des Menschen, von demselben Wild leben mußte, von dem auch der Mensch durch die Jagd lebte.

Wenn aber ein Tier als Konkurrent des Menschen auftrat, wurde es zu allen Zeiten verfolgt und wenn möglich, ausgerottet. Da der Wolf, bedingt durch die weitere Einengung seiner Lebensräume, sich immer mehr an die Viehherden der Menschen heranmachte, wurde sein weiteres Schicksal schon sehr früh festgeschrieben.

Angeregt durch die vielen Schilderungen über den »bösen Wolf«, ließen es sich auch Märchendichter nicht nehmen, den Wolf als menschenfressendes Ungeheuer zu schildern und auf Bildern zu zeigen. Es gab ja zu dieser Zeit noch keine Tier- und Verhaltensforschung. Diese Wissenschaften haben allerdings mit der alten Vorstellung vom »bösen Wolf« gründlich aufgeräumt und zeigen dieses schöne Tier heute von einer ganz anderen Seite.

So erschien vor einigen Jahren in einer bekannten Tageszeitung eine Artikelserie unter dem Titel: »Der Untergang der Tiere«. Hier hieß es über den Wolf: »Nach allem was Wissenschaftler in mühseliger Forschungsarbeit über den Wolf in Erfahrung gebracht haben, besteht zu seiner Verfolgung kein Grund«.

Entgegen der herrschenden Meinung stellt der »Menschenfresser aus Grimms Rotkäpchen« keine Gefahr für den Menschen dar und tötet auch Tiere nicht aus reiner Mordlust. Darüber hinaus reißt der Wolf fast ausschließlich solche Tiere, die aus irgendeinem Grunde nicht ganz in Ordnung sind, vornehmlich alte, kranke, verletzte oder verkrüppelte Tiere. Mit zur Hauptnahrung des Wolfes gehören aber auch Mäuse, Maulwürfe, Insekten aller Art, und auch Aas verschmäht der Wolf nicht.

Der amerikanische Wissenschaftler und Zoologe L. David Mech, schildert in seinem Buch: »Der Wolf«, interessante Beispiele dafür, wie der Wolf dazu beiträgt, das biologische Gleichgewicht der Natur zu erhalten und schreibt weiter: »Das also ist der Wolf, ein hübsches, hochinteressantes Tier, harmlos für den Menschen und überaus nützlich für den Haushalt der Natur. Warum stellt der Mensch gerade ihm nach wie keinem anderen Vierbeiner? Es ist und bleibt ein Rätsel«.

Der schwedische Zoologe Eric Ziemen vom Max Planck-Institut für Verhaltensphysiologie erklärt das Phänomen überzeugend wenn er sagt: »Um den Wolf zu retten, müssen erst einmal die Märchenbücher umgeschrieben werden«.

Wir wissen heute, daß der Wolf ein sehr soziales Verhalten hat. Wenn er sich einmal verpaart hat, hält diese Gemeinschaft meist ein ganzes Leben lang. Seinen Jungen gibt er eine vorbildliche Kinderstube und eine gute Erziehung, die auf unbedingten Gehorsam aufgebaut ist. Wenn die Jungwölfe alt genug und jagdfähig sind, gehen sie ihre eigenen Wege und gründen eigene Familien. In strengen Wintern jedoch, kommen diese Familien von weither zusammen und bilden eine Großfamilie, da der einzelne Wolf weiß, daß er in der Gemeinschaft besser überleben kann. Es kommt jedoch vor, daß sich die Mitglieder einer solchen Großfamilie jahrelang nicht gesehen haben, z.B. in sehr milden Wintern, aber nur die zu diesem Familienverband gehörenden Tiere kommen zu dieser Großfamilie und der Vater dieser Gruppe ist der Anführer.

Darüber hinaus verfügen die Wölfe über eine sehr ausgeprägte Sprache, mit der sie sich, insbesondere bei Nacht, über weite Strecken verständigen. Wir kennen diese Sprache nur als Wolfsheulen, in Wirklichkeit ist es aber ein ausgezeichnetes Verständigungsmittel.

In der neuzeitlichen Literatur haben sich viele Tier-Forscher zu Wort gemeldet, die die Wölfe und ihr Familienleben, in langjährigen Studien, in der freien Natur oder in riesigen Freigehegen, gründlich erforscht haben. Insbesondere

hat sich auch der Wissenschaftler, Zoologe und Vater der modernen Verhaltensforschung, Konrad Lorenz, eingehend mit den Wölfen befaßt, und auch er weiß nur Positives über sie zu berichten.

Über eines sind sich jedoch anscheinend alle Tier-Forscher einig, nämlich, daß der Wolf für den Menschen keinerlei Gefahr darstellt und daß er nie einen Menschen angreifen würde. Dafür spricht auch, daß bei der Ausrottung der Wölfe in der Eifel, viele Wölfe von Bauern und Schäfern mit Knüppel erschlagen wurden und es steht wohl außer Zweifel, daß ein Wolf sehr wohl in der Lage wäre, einem Schlag auszuweichen und seinen Widersacher anzugreifen. Ein Bericht aus dem Jahre 1816, der im Jahrbuch Kreis Prüm von 1966 festgehalten wurde, zeigt dies deutlich. Danach haben 2 Bauern in der Gegend von Reuland, am Tage einen großen, männlichen Wolf gesehen, den sie sofort verfolgten. Der Wolf flüchtete auf ein Dorf zu, wobei er einen Hohlweg nahm. Hier begegnete er einer Viehherde, die von 2 Mädchen begleitet wurde. Als diese laut zu schreien anfingen, flüchtete der Wolf, nunmehr den Verfolgern entgegen. Von einem der Bauern erhielt er jetzt einen Schlag mit einem Stück Holz wonach er den Berg runter rollte und dann von den beiden Bauern mit dem Holz und mit Steinen erschlagen wurde.

Daraus geht hervor, daß die beiden Bauern nicht etwa flüchteten als sie den Wolf sahen, sondern ihn sofort verfolgten und auch als der Wolf ihnen in dem Hohlweg wieder entgegen kam, ihn sofort angriffen und totschlugen. In diesem Bericht sind alle Namen und Fakten festgehalten, es ist also keine erfundene Geschichte. Der Wolf hat den Menschen seit Jahrhunderten als seinen schlimmsten Feind erkannt und weicht ihm aus, wo immer er kann. Und doch wurde der Wolf in vielen Gebieten, so auch in der Eifel, ausgerottet. Wie kam es dazu?

Dr. Werner Schwind, Gerolstein, hat in seinem Buch: »Der Eifelwald im Wandel der Jahrhunderte«, ausführlich über die Ausrottung der Wölfe in der Eifel berichtet. Danach wurden von 1820 — 1871, nachweisbar, 524 Wölfe in der Vulkaneifel getötet. Der letzte Wolf wurde1888 im Kreis Daun erlegt. In dem Bericht heißt es u.a., daß der Grund für die Verfolgung der Wölfe primär nicht auf die Furcht der Bevölkerung vor diesen Tieren zurückzuführen war, sondern darauf, daß diese sich als Nahrung immer mehr Haustiere und Wild holten. Das wiederum gefiel den »hohen Herren« nicht, hatten sie doch überall das Jagdrecht. Aus dem Bericht von W. Schwind, ist auch nicht ein Fall zu ersehen, wo Wölfe Menschen angegriffen hätten.

Wenn man dann noch bedenkt, daß im ganzen 19. Jahrhundert hohe Prämien für Wolfstötungen gezahlt wurden, und daß gerade Bauern und Schäfer meist in Armut lebten, dann ist es nur zu verständlich, daß diese Menschen sich, durch Töten von Wölfen, etwas nebenher verdienen wollten.

Wer aber heute den Wolf etwas näher kennenlernen will, der sollte hin und wieder in der Eifel den bekannten »Adler- und Wolfspark Kasselburg« bei Gerolstein besuchen. Hier betreut Dominik Kollinger, außer 55 Greifvögeln auch ca. 25 Wölfe und viele andere Tiere. Damit hat die Kasselburg das größte Wolfsgehege Europas. Der zahme Jungwolf »Bonni« spielt gerne mit Kindern und geht auch mit spazieren. Vielleicht könnten alle Wölfe so sein, wären sie nicht seit vielen hundert Jahren, von den Menschen gejagt und getötet worden.

Faszinierend auch die tägliche Vorführung des Falknermeisters Kollinger mit seinen Greifen. Ein Lächeln entlockt es dem kundigen, etwas abseits stehenden Betrachter, wenn ein Falke, aus etwa 2000 m Höhe, mit einer Geschwindigkeit von ca. 300 km/h nach unten stößt, die Zuschauer jedoch immer kleiner werden um zum Schluß ganz auf die Knie zu gehen. Die Angst war umsonst. Kollinger, in der Mitte der Zuschauer, kann sich eines leichten Schmunzelns nicht erwehren. Der Falke aber, gewaltig abbremsend, landet sicher und sanft auf seiner lederbehandschuhten Hand, um sich seine Belohnung abzuholen.

An einer für alle Zuschauer gut übersichtlichen Stelle, wird auch die tägliche Fütterung der Wölfe gezeigt. Hier hat der Zuschauer die Möglichkeit, diese Tiere einmal aus der Nähe zu betrachten, wobei Kollinger alles Wissenswerte über die Wölfe erklärt. Bei der Erfahrung, die Wölfe mit Menschen haben, ziehen sie sich aber auch hier bald wieder in das Dunkel der Bäume zurück.

Eines sollte man aber bedenken: »Solange im Fernsehen noch Filme gezeigt werden mit dem Titel: »Von Wölfen gejagt«, wo ein Vater mit Sohn einen langen Marsch durch Schnee und Eis machen mußten und dauernd von Wölfen gejagt wurden, oder, solange der Deutsche Schäferhund in vielen Zeitungen als reißende Bestie gezeigt und mit dem Wolf verglichen wird, solange muß man sich nicht wundern, wenn viele Zeitgenossen über den Wolf noch genau so denken, wie ihre Vorfahren vor 100 Jahren.