Heimatpflege - Erbe und Pflicht

Gerolstein: 650 Jahre Stadtrechte

Rechte und Freiheiten wie die Kaiserstadt Aachen Erwin

Schöning, Gerolstein

 

Vor 650 Jahren, am 28. August 1336, verlieh Kaiser Ludwig der Bayer dem Burgdorf Gerhardtstein die Stadtrechte. Innerhalb des Kurfürstentums Trier besaßen seit 1332 bereits mehrere Ortschaften Stadtrechte «nach Frankfurter Recht«, die Erzbischof und Kurfürst Bal-duin durch die sogenannten Sammelprivilegien Kaiser Karls IV. beim Kaiser erwirkt hatte. Gerolstein, das zum Erzbistum Köln gehörte, erhielt die Stadtrechte auf Antrag des Edelmannes Gerhard V. von Blankenheim, Herr von Kasselburg und Gerhardtstein, der wegen seiner Verdienste um Kaiser und Reich bei Kaiser Ludwig in hohem Ansehen stand. Mehrmals wurde Gerhard vom Kaiser zur Beilegung von Familienzwistigkeiten als Schiedsrichter zugezogen.

Der Originaltext der Verleihungsurkunde1 lautet: »Wir Ludwig von Gottsgnäden Rhömischer Kaiser zu allen Zeiten Mehrerer des Reichs« verniehn (bekunden) offentlig ahn dieszen Briefus, das wir durch Dienst willen die der Edelmann Gerhardt von Blankenhaim unser Lieber Getreuer uns und dem Reiche ge-thain hatt und auch noch githun und durch sein vleiszig Pit (Bitte), den bescheiden leuten zu Gerhardtsein, die besunder gnäd (Gnade) ge-than haben und thun auch mit diszem Brieuv (Brief) von unserem kaiszerlichem Gewalt, das sie sich bewarmen (bewehren) sullen und mugen(mögen) mit mauern und graben, als ein Stadt von recht als sie best mugen Und geben inewiglichen (für ewig) alle Wochen ahn dem Suntag einen WochenMarkt zu haben, und zu halten. Wir haben inen (ihnen) auch von Gnaden geben und erlaubt, das sie alle jaren zwein jarenmarkt haben sullen und mugen, einen des negsten (nächsten) Suntag vor Pfingstern, und den andren des Suntag vor Sanct Remeisztag (Remigiustag, 1. Oktober), und alle, die die jar und Wochenmärkte söchen (besuchen) und bawenen (beiwohnen), die niemen (nehmen) wir in unsren und des Reichs besunderen Friede und Schirm, das sie niemant ahn irem Leib noch gutt leidigen oder beschedigen sull, mit keinen Sachen bey unserem und des Reichs Hulden.-

Auch geben wir den vorgd. (vorgedachten) Bürgern zu Geroltzstein die jetzunt da sietzen oder fuerbasz dar khoment alle Freyhait recht Ehre und gutts Gewohnheit, die unseres und Reichs Stadt Ach (Aachen) habent ist und von Alter bis hiehin gehabt hatt...

Darum wollen und gebieten wir Allen unseren und des Reichs getreuen Fürsten, Grauen (Grafen), Freyen, Rittern, Knechten, Edlen und Unedlen und andren wie die genant sein eindringlichen, da sie die vorged. Bürger von Gerhardtstein ihn den gnaden, Freyheiten und rechten wie wir int (ihnen) geben haben, mit keinen Sachen leidigen noch beschweren. Welche aber disze unsere Gnade überfahren, die thäten schwerlig wieder (wider) unsere und des Reichs hulde und sen (sind) darumb verfallen Dreiszig Mark Goldes, als offt (so oft) sie in diesze unsere gnade überfahrendt, des halb (die Hälfte) in unsere und des Reichs Kammer gehörend und dies andere halb den Bürgern und ihrer Herrschaft ahn den die vorgd. gnade und Freiheit übervahren ist. Und des zuurkundet geben wir dieszen Brieff versiegelt mit unserem Kaiszerlichen Insiegel, der geben ist zu Passaw (Passau) den Mittwoch vor Sanct Egidytag (28. August), da man zalet (zählt) von Christus Geburt Dreizehnhundert jar und im sechsunddreissigsten jar, im zweiundzwanzig jar unseres Reichs, und im neunten des Kays-zerthumes2.«

Christa Beucher, Geeserweg 18, 5531 Pelm (Zeichenwettbewerb 8-14 Jahre) Motiv: »Altes Rathaus«.

Die Verleihung der besonderen Rechte und Freiheiten wie sie die Kaiser- und Krönungsstadt Aachen besaß, war eine besondere Auszeichnung für Gerhard V. und für den Flecken Gerolstein, die anderen Städten damals nicht zukamen. Ausschlaggebend für mittelalterlichen Stadtcharakter war das Recht, sich mit Mauern und Gräben zu bewehren. Die Mauer war ein wesentliches äußeres Merkmal der Stadt. Gerolstein mußte sich bereits 17 Jahre nach der Stadtrechtsverleihung als Festung bewähren, als Stadt und Burg von dem mächtigen Kurfürsten Balduin von Trier angegriffen und belagert wurde.

Anfang des 12. Jahrhunderts entwickelte sich in Deutschland die städtische Gemeindeverfassung: In der Stadt gab es keine grundherrliche Hörigkeit; es gab eine eigene Gerichtsbarkeit mit Schöffen; den Stadtbewohner nannte man Bürger, der alle durch die Stadtrechte verbrieften Freiheiten erlangte und somit auch als Ratsherr in der Stadtverwaltung vertreten sein konnte; ihm wurden bis auf die Stadtsteuer alle drückenden Abgaben erlassen, und er durfte frei über seinen Wohnsitz und seinen Beruf entscheiden.

Durch die Einrichtung von Märkten entwickelten sich Marktrecht und Marktfrieden. JederMarkt stand unter dem besonderen königlichen Friedensgebot. Wenn auf dem Marktkreuz die rote Fahne oder ein Handschuh aufgezogen war, symbolisierte dies die persönliche Anwesenheit des Königs. Auf dem Bruch des Marktfriedens stand die Todesstrafe, leichtere Fälle wurden mit dem Abhacken der rechten Hand geahndet. Dieser Friedensschutz entwickelte sich schon bald über die Markttage hinaus und wurde auf alle Städte ausgedehnt. Aus Marktfrieden wurde Stadtfrieden.

Die befreiende Stadtluft übte eine starke Anziehungskraft auf das umliegende Land aus. Leibeigene kauften sich frei, andere flüchteten aus ihrer Hörigkeit. Aber neben Rechte und Freiheiten, die vom Stadtrecht ausgingen, mag wohl auch die Sicherheit ausschlaggebend gewesen sein, die den Menschen innerhalb der Stadtmauern geboten wurde.

Auch die Bewohner von Sarresdorf wanderten nach und nach in den Burgflecken Gerolstein ab. Dieses Dorf, das bereits im Jahre 893 als Sarensdorpht unter den Besitzungen der Abtei Prüm erscheint, war bereits Anfang des 18. Jahrhunderts entvölkert. So schrieb Matthias Bernardi, der von 1716 bis 1760 Pfarrer in Sarresdorf war, in sein Kirchenbuch: »Sarresdorff ist Vor alterß auch ein Dorff gewesen, haben doch den Orth die Einwohner verlaße und seyend wegen freyheit in den Flecken Gerolstein gezogen; alßo die Kirch, Fahrhauß und Hoff sambt dem Custerhauß allein geblieben3...«

Das Leben in der Stadt wird sich anfangs nicht sonderlich vom Landleben unterschieden haben. Viele Stadtbürger blieben Bauern und bestellten weiterhin ihre Felder vor der Stadtmauer. Innerhalb der Stadtmauer drängten sich die Häuser auf engen Parzellen, worauf Wohnung, Werkstatt oder Laden, Stallungen und Garten Platz finden mußten. Die Straßen waren enge Gassen, die ungepflastert und oft morastig waren. Schweine liefen umher und fraßen die auf die Straße geworfenen Abfälle. Diese Art der Schweinemast wurde später sogar als Privileg an einzelne Bürger vergeben.

Die Häuser wurden damals aus Holz gebaut, deren Wände mit Lehm bewerten wurden. Erst später kam die Fachwerktechnik auf, die auch mehrstöckige Bauten erlaubte. Die Dächer waren mit Stroh oder Binsen gedeckt. Auch die innere Ausstattung war einfach. Öfen gab es für den einfachen Bürger nicht, auf einer offenen Herdstelle brannte ein Holzfeuer, dessen Rauch durch ein Loch in der Decke abzog. Wenn diese Herdfeuer in den Häusern unbeaufsichtigt waren, kam es schnell zu Bränden. Die Feuersbrunst war deshalb der größte Feind der Stadt, dem sie hilflos ausgeliefert war. Auch Gerolstein wurde durch drei Großbrände (1691, 1708 und 1784) gänzlich zerstört und jedes mal neu aufgebaut.

Für die Märkte und die damit verbundenen Schutzverordnungen für Besucher und Händler, hatte die Stadt Gerolstein eigene Maße und Gewichte. Hierüber steht in der Eiflia Illustrata Bd. 3, Abt. 2, Abschnitt 1, S. 38: »Zu Gerolstein hatte man ein eigenes Fruchtmaß für Getreide. Ein Gerolsteiner Faß ist gleich 7,0675 Metzen Preußisch. Eine Ruthe Landmaß im Orte Gerolstein wie in der ganzen vormaligen Herrschaft dieses Namens ist gleich 1 Ruthe 2 Fuß 9 Zoll 9,2800 Preußisch. Bei dem Feldmaße wurde der Morgen zu 150 Quadratruthen zu 256 Quadratfuß gerechnet, und ein solcher Morgen ist gleich 1 Quadratmorgen 48 Qudratruthen 87,6787 Quadratfuß Preußisch. Das Weinmaß war ein Ohm zu 108 Kannen, jede zu 4 Pinten. Eine Kanne gleich 1,1471 Quart Preußisch. Das Ölmaß zu 4 Schoppen ist gleich 1,5130 Quart Preußisch. Der Gerolsteiner Klafter ist gleich 1,36785 Klafter Preußisch.«

Das Stadtregiment - die Rechtsprechung, das Finanzwesen und die allgemeine öffentliche Ordnung - lag allein in den Händen des Stadtherrn und wurde von seinen Beamten, dem Vogt, dem Schultheißen und dem Burggrafen, ausgeübt. Die Stadtverwaltung bestand aus dem Bürgermeister und den Ratsherren, diese kamen zum größten Teil aus dem wohlhabenden Stadtadel und den Gilden. Der Anteil der Handwerker und Ackerbürger war gering. Dieses Verhältnis galt auch bei der Wahl der Schöffen.

Die Gerolsteiner Bürger waren sich ihrer Privilegien sehr wohl bewußt und stets darauf bedacht, daß die Huldigung eines neuen Dynasten stets unter gleichzeitiger Bestätigung ihrer eigenen Rechte seitens des neuen Herrn geschah. Erst durch die neue preußische Städteordnung für die Rheinprovinz vom 15. Mai 1856 wurden Gerolstein die Stadtrechte aberkannt, weil die Einwohnerzahl unter 10000 lag. Erst im Jahre 1953 erlangte Gerolstein seine Stadtrechte wieder. Das Jahr 1986 wird die Stadt Gerolstein als Jubiläumsjahr »650 Jahre Stadtrechte Gerolstein« mit einer Vielzahl der verschiedensten Veranstaltungen mit regionaler und überregionaler Bedeutung begehen.

Stadtaufgang in Gerolstein, Zeichnung Ulrich Nowotny

Quellenangabe:

Schannat/Bärsch: Eiflia Illustrata. Neudruck der Ausgabe 1824. Osnabrück Otto Zeller 1966

Dr. Batti Dohm: Gerolstein in der Eifel - Seine Landschaft, Geschichte und Gegenwart. 3. Auflage. Herausgeber: Stadtverwaltung Gerolstein

P.J. Böffgen: Um Munterley und Löwenburg, Lfd. Nr. 6. Herausgeber: Stadtverwaltung Gerolstein

Anmerkungen:

1) Die Originalurkunde ist verlorengegangen. Der Text ist aber in mehreren beglaubigten Abschriften überliefert. Die älteste dieser Abschriften stammt vom 4. Dezember 1571 und ist beglaubigt »von Worten zu Worten in allen Massen« vom Schultheiß und den Schöffen der Stadt und des Gerichts Hillesheim (Staatsarchiv Koblenz 29 A 76).

2) Entnommen aus Dr. B. Dohm: Gerolstein in der Eifel -seine Landschaft, Geschichte und Gegenwart.

3) P.J. Böffgen: Um Munterley und Löwenburg, Lfd. Nr. 6, S. 11.