Erinnerungen an Moritz Levy

Judenverfolgung im Dritten Reich im Kreis Daun

Peter Jakobs, Simmern

 

Mit Hitlers Machtergreifung wurde der Rassenantisemitimus als wesentlicher Teil der nationalsozialitischen Weltanschauung zur Grundlage der Staatserneuerung gemacht. Die nach dem 30. Januar 1933 einsetzende zügellose Verfolgung politischer Gegner schloß den jüdischen Bevölkerungsteil mit ein. Den in den Jahren vor 1933 angestauten, antisemitischen Gefühlen wurde nunmehr freier Lauf gelassen. Diese Epoche ist eine der unrühmlichsten in unserer Geschichte. Auch im Räume Gerolstein wird über diese Zeit noch viel gesprochen. Die Älteren unter uns nennen die »Gerolsteiner Juden« heute noch mit Namen. Und wenn über dieses Thema diskutiert wird, fällt oft der Name »Moritz«.

Wer kannte »Moritz« (Levy) nicht? In regelmässigen Zeitabständen besuchte er die Haushaltungen in einem großen Bereich. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich mit Hausieren. Seine »Ware«, die er in einem von Lederriemen zusammengehaltenen Wachstuch beförderte, bestand in der Hauptsache aus Schuhriemen, Durchziehgummi, Sicherheits-, und Nähnadeln, Druckknöpfen, Kurzwaren. Mühselig schleppte er sein Warenangebot von Dorf zu Dorf und von Haus zu Haus.

Reichtümer konnte er sich mit dem Verkauf nicht erwerben, jedoch reichte es für ihn, Frau und Kinder zu ernähren. Wir Kinder hatten immer eine große Freude, wenn Moritz wieder einmal Niederbettingen aufsuchte, hatte er doch stets für uns einen Beutel mit einfachem Bonbon, und zur Osterzeit mit kleinen Zuckerostereiern dabei. Wer wollte es uns verübeln, wenn wir Eltern und Großeltern animierten, dem Moritz etwas abzukaufen. Moritz war stets freundlich und gut gelaunt, ich habe ihn nicht anders erlebt. Wenn er kam, war immer was los.

Er war nicht nur körperlich, sondern auch finanziell und wirtschaftlich der »kleinste Jude« in Gerolstein. Er lebte von der Hand in den Mund und versuchte, mit viel Fleiß und Einsatzfreudigkeit über Wasser zu bleiben. Schlimme Zeiten standen diesem fleißigen und genügsamen Menschen und seiner Familie bevor. Es hat sicher nicht an Hinweisen gefehlt, Deutschland zu verlassen und auszureisen - aber dafür fehlten ihm wohl die Mittel. Zudem hatten die Aufnahmeländer mehr Interesse an »reichen Juden«, und dazu konnte man Moritz beim besten Willen nicht zählen.

Den Nachdenklichen entging nicht, daß der Kampf der Nazis gegen die Juden von Tag zu Tag zunahm. Nach einer Verordnung aus dem Jahre 1935 mußten sie ihre Reisepässe abliefern, der Personalausweis wurde mit einem aufgestempelten »J« gezeichnet. Das Trierer »Nationalblatt« erwies sich als ein schlimmes Hetzblatt gegen die Juden.

Als am 7. November 1938 ein siebzehnjähriger polnischer Jude den deutschen Botschaftssekretär vom Rath in Paris erschoß, wurde von Reichspropagandaleiter Dr. Goebbels eine Aktion inszeniert, die aussehen sollte, als habe das Volk spontan seiner Empörung Ausdruck gegeben, wobei in der Nacht vom 9. auf den 10.11.1938 eine ganze Serie von Gewalttaten gegen die völlig unschuldigen deutschen Juden durchgeführt wurden. Von nun an ging es Schlag auf Schlag. Juden durften nicht mehr Autofahren, jeder Mieterschutz wurde aufgehoben, öffentliche Verkehrsmittel standen den Juden nicht mehr zur Verfügung, öffentliche Telefonmöglichkeiten durften von Juden nicht mehr benutzt werden, der Zutritt zu Gasthäusern war verboten, ebenso war das Betreten des Waldes und der Grünflächen verboten. Rundfunkgeräte waren abzuliefern.

Ab 1. September 1941 mußten alle Juden über 6 Jahre in der Öffentlichkeit den sogenannten »Judenstern« tragen. Im Gesetz hieß es wörtlich: »Der Judenstern besteht aus einem handtellergroßen, schwarz ausgezogenen Sechsstern aus gelbem Stoff mit der schwarzen Aufschrift »Jude«. Er ist sichtbar auf der linken Brustseite des Kleidungsstücks fest angenäht zu tragen.« Juden durften von diesem Zeitpunkt den Bereich ihrer Wohngemeinde ohne schriftliche Erlaubnis der Ortspolizeibehörde nicht verlassen. Orden und Ehrenzeichen durften nicht mehr getragen werden.

Unser Jude Moritz aus Gerolstein wurde zu dieser Zeit zur Arbeit im Steinbruch Hohenfels (Gewerkschaft Carlsburg II) verpflichtet. Hier mußte er schwere, für ihn ungewohnte Arbeit verrichten, sonst hätte man ihm für seine Familie die Lebensmittelkarten entzogen. Juden erhielten keine Fischkarten keine Fleisch-, Kleider-, Milch-, und Raucherkarten. Weißbrot durfte an Juden nicht abgegeben werden, ebenso keine Rasierseife und keine Süßwaren.

Den Weg von und zur Arbeit mußte Moritz zu Fuß zurücklegen, viele Mitbürger können sich heute noch erinnern, wie er sich am frühen Morgen mit der Tasche unter dem Arm und dem Judenstern sichtbar an Jacke und Mantel auf den Weg nach Hohenfels machte. Zwischen den Monaten März - November 1941 fielen alle wesentlichen Entscheidungen über das endgültige Los der Juden in Deutschland. Hitler befahl die Depotierung der Juden nach dem Osten. Die Aufnahmeorte waren zunächst Lodz, Warschau, Riga, Kowno, Minsk und Theresienstadt. Nach Einrichtung des KZ Auschwitz gingen die Osttransporte ausschließlich in dieses Lager. Moritz und seiner Familie ging es in dieser Zeit in Gerolstein nur noch um das reine Überleben.

Nach und nach hatte man sich von liebgewonnenen Dingen im Haushalt getrennt. Sie wurden ausnahmslos heimlich gegen Lebensmittel getauscht. Mancher Bürger aus Gerolstein hat der Familie immer wieder Lebensmittel zugesteckt. Im Jahre 1943 war es dann soweit: die Familie Levy hatte sich in Trier in einem Sammellager einzufinden. Ein Gerolsteiner Polizist wurde zur Bewachung für die Fahrt nach Trier abgestellt. Vorher wurde Moritz schon mal inhaftiert. So wurde er zusammen mit anderen Juden in einem nicht benutzten RAD = Lager in Oberbettingen gesehen.

In Trier verliert sich die Spur. Es ist mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit anzunehmen daß die Familie in Auschwitz endete. In Gerolstein wurde nie bekannt, was aus Moritz und seinen Angehörigen wurde. Ein Sohn emigrierte zu einer Zeit, als dies noch möglich war. Er ist nach dem Krieg mehrfach in Gerolstein gewesen.