Ein Dorfmuseum für Neroth

Initiative des Heimatvereins bedarf der Förderung

Hildegard Ginzier, Mainz

 

Unter der Vielzahl möglicher Museumsaufgaben ist die des Sammelns und Bewahrens eine grundliegende geblieben. Die Gemeinde Neroth im Kreis Daun hätte doppelten Grund ihre Vergangenheit und deren materielle Zeugen zu erhalten und öffentlich zu präsentieren.

Die Vorfahren der heutigen Nerother haben ebenso ungewöhnlich aktiv wie originell ihre eigene Geschichte mitbeeinflußt. Die selbstinszenierte Vergewerblichung durch die Einführung der Drahtwarenherstellung und des Hausierwesens (»Musfallskrämer«) hat im 19. Jahrhundert nicht nur zum Überleben der Dorfbevölkerung geführt, sondern auch weitreichende Prozesse gewerblichen und sozialen Wandels ausgelöst. Es wurden Denk- und Handlungsweisen entwickelt, die über die akute Situation hinaus weiterhin wirksam blieben. Insofern haben wir es bei der Nerother Geschichte mit einer schützenswerten Rarität zu tun.

Das kann natürlich nicht bedeuten, daß dieser eher auffällige Geschichtsabschnitt isoliert von der Gesamtgeschichte des Dorfes und der Eifelregion dargestellt werden sollte. Hierbei würde man Gefahr laufen, die Nerother Geschichte als Kuriosum zu deklarieren, in dessen Mittelpunkt der Hauptdarsteller Hausierer quasi wie ein vom Himmel gefallenes, mit Rattenfallen behängtes Wunderkind im Raum steht. Es muß vielmehr durchsichtig werden, auf welche Weise lokale Sonderkonstellationen mit allgemeinen Rahmenbedingungen ineinandergriffen. So läßt sich am Beispiel Neroth veranschaulichen, in welche Bedrängnis die Bewohner der Mittelgebirgslandschaften durch die Industrialisierung gerieten, inwiefern sie durch die Entwicklung in den Zentren in gesteigertem Maße an den Rand gedrängt und unterentwickelt wurden, bzw. welche Überlebensmöglichkeiten ihnen offen blieben.

Auf diese Weise wird ein Museum viel mehr als ein Schutzraum für historische Objekte, Dokumente und Überlieferung der betroffenen Bevölkerung. Denn das Gefallen an der Beschäftigung mit der Vergangenheit hat einen Neuauftrieb durch den sich immer rascher vollziehenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel der Gegenwart erhalten. Das bedeutet, daß die Erfahrungen der Großeltern- und Elterngeneration neu überdacht und verstanden werden müßen, um in einem veränderten Lebens- und Arbeitszusammenhang verwertbar, d. h. wertvoll bleiben zu können. Zur Konservierungsfunktion des Museums gesellt sich also unmittelbar seine Bildungsfunktion nach dem Motto »aus der Geschichte für die Gegenwart lernen«.

Zur Veranschaulichung eignet sich das Beispiel der »Nerother Entwicklungshelfer«. Gemeint sind hier Vereine und Einzelpersonen, die bestrebt waren, das Drahtwarengewerbe zu fördern, auf umliegende Ortschaften auszudehnen und gleichzeitig allmählich die fahrenden Händler durch seßhafte Heimarbeiter abzulösen. Dabei gingen sie mit gutgemeinten Übereifer oder Expertenarroganz, fast immer jedoch mit mangelndem Gespür für lokale Realitäten, an die selbstgestellte Aufgabe. Diese Problematik der Hilfe von außen hat heute wenig von ihrer Brisanz verloren. Das gilt für die Entwicklungshilfe an 3. Welt-Länder ebenso wie für die Arbeit von Pädagogen, Sozialarbeitern, Pfarrern etc. mit bedrohten Minderheiten. Allerdings hat sich durch die Fehlschläge der Vergangenheit unter den Vertretern der helfenden Berufe zunehmend ein Bewußtsein darüber gebildet, daß Hilfe nur dann ihren Zweck erfüllt, wenn sie sich an den Bedürfnissen der Betroffenen orientiert, wenn sie Hilfe zur Selbsthilfe ist. In der Nachschau erkennen wir einerseits in den damals häufig diskriminierten Hausierern die ursprünglichen und wirksamsten Entwickler Neroths und können andererseits die ehemalige Überbewertung der Leistungen der sog. »hochherzigen Menschenfreunde« relativieren.

Außer den vorangestellten Überlegungen, die für ein Museum in Neroth sprechen, spielt der Zeitfaktor eine Rolle. Bevor die Drahtwaren in Sammlerdepots verschwinden und alte Nerother ihr Wissen über das Gewerbe nicht mehr mitteilen können, sollte gehandelt werden. In diesem Sinne bemüht sich der »Heimatverein Neroth« den Bestand der einzigen im Original erhaltenen Drahtwarenwerkstatt für das Museum zu erwerben und die alte geräumige Dorfschule vor dem Abriß zu bewahren und als Museumsgebäude zu nutzen. Zudem enthalten die zahlreichen veröffentlichten Berichte, unveröffentlichten Untersuchungen und die Überlieferung des Ortes vielfältig Belege und Erklärungen für die historischen Vorgänge, so daß sich eine konzeptionelle Aufarbeitung geradezu anbieten würde.

Bleibt zu hoffen, daß sich finanzkräftigere Interessenten als die Gemeinde Neroth und der Heimatverein finden, die die regionale Bedeutsamkeit eines solchen Museumsprojektes erkennen und es entsprechend zu fördern bereit sind.