Brauchtum was ist das?

Unrat und Müll gehören nicht zu »Hillich«

Hans Mühlhaus, Darscheid

 

Brauchtum ist, das Wissen um die heimatlichen Bräuche; ihre Formen, ihren Inhalt und vor allem ihren hohen Wert zur Erhaltung einer guten dörflichen Gemeinschaft. Der Brauch gehört zum Dorf!

Er ist ein würdiges Erbgut, das die große Dorffamilie begleitet an den festlichen Tagen des Jahres. Er will aber auch beim Schicksal des Einzelnen, im Glück wie im Unglück, dabei sein, um Mitgefühl zu bekunden. Freude bereiten, das ist sein wesentliches Element!

Die Durchführung des Brauchgeschehens ist nach alter Traditon der Jugend anvertraut, gemeint sind hauptsächlich die über 18 Jahre alten »Großen Jungen« des Dorfes. Es ist ihr erster gemeinsamer, freiwilliger und kostenloser Dienst für die Heimatgemeinde, ein Ehrendienst, dem sich kein Junge entziehen darf. Wir alle, ob alt oder jung, bejahen das vom Dorf geprägte Brauchtum und dürfen es nicht zulassen, daß durch Unverständnis ein sinnvoller Brauch zum sinnleeren und freudelosen Mißbrauch entwürdigt wird. Kein Meister der Dichtkunst hat das Brauchtum schöner geschildert, als es der Schweizer Gottfried Keller (1819 -1890) in seinem Gedicht »Sommernacht« getan hat. Aus ihm sei zitiert:

In meiner Heimat grünen Talen,

da herrscht ein alter schöner Brauch:

wann hell die Sommersterne strahlen,

der Glühwurm schimmert durch den Strauch,

dann geht ein Flüstern und ein Winken,

das sich dem Ährenfelde naht,

da geht ein nächtlich Silberblinken

von Sicheln durch die goldne Saat.

Das sind die Bursche jung und wacker,

die sammeln sich im Feld zuhauf

und suchen den gereiften Acker

der Witwe oder Waise auf,

die keines Vaters, keiner Brüder

und keines Knechtes Hilfe weiß-

ihr schneiden sie den Segen nieder,

die reinste Lust ziert ihren Fleiß.

Schon sind die Garben festgebunden

und rasch in einen Ring gebracht;

wie lieblich flohn die kurzen Stunden,

es war ein Spiel in kühler Nacht!

Nun wird geschwärmt und hell gesungen

im Garbenkreis, bis Morgenluft

die nimmermüden braunen Jungen

zur eignen schweren Arbeit ruft.

Dieses Gedicht -ein Loblied auf »die Bursche jung und wacker«- enthält alle Funktionen eines echten Brauches: Traditionstreue-selbstloser Einsatz der Ortsjugend- eine gute Tat, die der ganzen Gemeinschaft gefällt und zur Ehre gereicht.

Die äußere Form eines Brauches ist oft von Ort zu Ort verschieden und muß sich sogar den veränderten Zeitbedingungen anpassen, aber der Inhalt, der ethische Kern muß bleiben, er darf, wenn der Brauch weiterhin bestehen soll, nicht verletzt werden.

Auch das mit Recht oft gerühmte Eifeler Brauchtum ist diesem Gesetz des Seins oder Nichtseins unterworfen, Wir leben in einem Zeitalter des schnellen Fortschrittes in Wissenschaft und Technik. Als Begleiter dieser Entwicklung erlebte die arme Eifel den Aufschwung, der an keinem Dorf vorbeiging, und den niemand für möglich halten konnte. Wer wollte bezweifeln, daß die heranwachsende Jugend, vom Geist des Fortschrittes erfaßt, weniger Interesse hat an den alten Bräuchen, die den Eltern lieb und teuer waren? Ohne Schuldzuweisung muß einmal gesagt werden:

1. Unsere Bräuche sind unserer Jugend teils zu wenig bekannt.

2. Das scheinbar spielerische Tun -die Symbolsprache- muß mehr verstanden werden.

3. Die zum Brauch gehörenden ortsüblichen Lieder sind fremd geworden.

4. Viele Brauchtumsfreunde beklagen die würdelose Durchführung, sie droht, den Brauch zu einer seelenlosen Schau zu erniedrigen. In einem Beispiel aus Darscheid soll gezeigt werden, wie es bisher bei einer Hillich-Feier zuging: H i ll i c h, ein Wort, dessen Bedeutung nicht sicher bestimmbar ist, hat es mit der Heirat zu tun; denn die ehemaligen »Hillichma-cher« waren Heiratsvermittler. In der Eifel ist das Wort durch den Hillich-Brauch, der am Abend zur Feier des »heiligen« Eheversprechens stattfindet, lebendig geblieben. Das Eigenschaftswort »heiligen« bedeutet den höchsten Grad eines Versprechens, das für das ganze Leben gilt. Diese rein weltliche Feierlichkeit wird im Hause der Braut vor der kirchlichen Trauung, dem Eintritt in den heiligen Stand der Ehe, vollzogen. Zu der abendlichen Feier sind die Eltern des Paares sowie die nächsten Anverwandten eingeladen. Sie alle wollen und sollen bei dem entscheidungsvollen Versprechen dabei sein.

Auch die Dorfjugend will dabei sein, um nach altem Brauch und guter Sitte dem jungen Paar seine Glückwünsche zu bekunden. Gegen Abend der Hillig-Feier wird ein eisenbereifter Wagen von der Jungenschar durch die Dorfstraßen gezogen. Mit lauten Hillichrufen, die zur Teilnahme einladen, rumpelt der Wagen bis vor das Haus der Brautleute, wo der aufgebockt wird, damit ein Rad gedreht werden und das Schleifen der Sense beginnen kann. Mit dem schrillen Knirschen der Sense startet das ohrenbetäubende Naturspiel, ein Erbe aus uralter Zeit. Lautes Gejohle begleitet den langgezogenen Kratzton, der rostigen Sense letzter Schrei. Ausgediente Kochtöpfe werden zu handlichen Trommeln und eiserne Bratpfannen geben Bummstöne ab, die auch im Geräuschorchester nicht fehlen dürfen. Dazwischen knallen Pistolenschüsse und gellen Pfeiftöne hinauf zum dämmerigen Abendhimmel. Die Hil-lich-Rufe spielen immer mit und wollen nicht enden.

Das ist das Hillich-Konzert, das trotz seiner fürchterlichen Disharmonie kein Eifeler vermissen möchte. Es ist für sie eine Feiermusik, die zur Hillich gehört und sie verschönt und beglückt. Für das junge Paar ist sie der Abschied aus besonnter, unbeschwerter Jugendzeit, in der man noch übermütig und laut sein durfte, in der man auch ohne Harmonie auf die Pauke hauen konnte. Nun ist diese schöne Zeit vorbei und der Ernst des Lebens beginnt. Die Sense ist geschliffen, morgen geht es hinaus ins Feld. Nach einem bäuerlichen Sprichwort heißt es:

Nou sei-der jejucht - nou kinn-der deije! (Nun seid ihr mit dem Joch beglückt, beladen, bepackt, belegt- Nun könnt ihr drücken - damit der Wagen läuft).

Endlich erscheint das junge Paar an der Haustür und beendet damit das Schleifkonzert. Nach einer kurzen Pause werden die bekannten Hillichlieder gesungen, und man hört sie immer wieder mit Freude und Aufmerksamkeit; denn sie sind ein heimisches Liedgut, das tief verwurzelt ist im Eifeler Volkstum. Zur Zeit sind viele örtliche Sammler dabei, die Liedtexte neu aufzuschreiben. Das ist eine gute Sache!

Nach dem Vertrag der Lieder, meist sind es zwei, folgt die Gratulation. Alle kommen und drücken dem frohen Paar die Hände. Mancher weiß noch ein Sprüchlein oder ein Scherzwort zuzulegen, das zur Erheiterung beiträgt. Zum Lohn reicht die Braut eine Kuchenplatte in die Runde, aber auch der Zukünftige läßt sich nicht lumpen, so daß der Gastwirt den Bierhahn einmal richtig aufdrehen kann.

Neuerdings wird über die Durchführung des Brauchtums, besonders über die Hillich-Feier, oft Klage geführt. Sie ist, so wird behauptet, kein Dorfbrauch mehr, wenn Jugendgruppen aus fremden Orten mit Kraftfahrzeugen heranfahren, um sich am dörflichen Brauchgeschehen zu beteiligen. Und was geschieht? Nach dem üblichen Schleifen werden schon zweierlei Lieder gesungen, da jedes Dorf seine eigenen Hillichlieder hat.

Aber dann soll etwas ganz »Tolles« geschehen, etwas, was noch nie da war: Man überschüttet Haus und Hof, den Vorgarten mit all seinen Blumen und Sträuchern mit mitgebrachtem Unrat. Es werden prallgefüllte Säcke und Pappschachteln mit Papierfetzen, Waldlaub, Bierdeckeln, Styropor u.a.m. über das Anwesen des zu ehrenden Hillichpaares entleert, das für diesen Schmäh, diese schaurige Anteilnahme einen »anständigen« Obulus zahlen darf. Man kann und darf die Worte nicht wiederholen, mit denen Betroffene den Mißbrauch bezeichnen. Sie sind nicht erfreut darüber. Die Säuberung kostet viel Mühe, Zeit und Geld. Wer kann das verantworten?

Der Brauch darf die Ehrfurcht vor der Würde des Menschen und seiner heimatlichen Welt nicht verlieren. Man sollte Unzuträglichkeiten rechtzeitig erkennen und sie nicht einreißen lassen. Der Brauch muß bleiben, was er zu allen Zeiten war: eine gute Tat, die Freude bereitet! Dazu gibt es keine Alternative, dazu müssen wir stehn.