Zeitbilder der Kreisgeschichte

 

1985 waren 40 Jahre verflossen, seit die Schrecken des Zweiten Weltkrieges beendet wurden. Die Eifelbevölkerung war vom Chaos der Endphase des Krieges besonders hart betroffen. Daher flössen der Jahrbuchredaktion viele Erlebnisberichte des Kriegsgeschehens von Dorf zu Dorf zu, die weit über den Umfang des Jahrbuches hinausreichen. Nachdem im Jahrbuch 1975 — 30 Jahre nach Kriegsende — ein umfassender Rückblick zur Not und Drangsal in den Kriegs- und ersten Nachkriegsjahren veröffentlicht wurde und in zahlreichen örtlichen Schriften das Kriegsgeschehen seither breiten Raum gefunden hat, entschloß sich die Redaktion, dem vierzigsten Gedenkjahr des Kriegsendes einen aufschlußreichen Hintergrundbericht zum Bombenkrieg sowie einige Stimmungsbilder zu widmen, die jene grauenvolle Zeit auch für die kriegsunkundige Generation nachvollziehbar machen.

Menschliche Not und Drangsal durchfließen die Geschichte der Eitel über Jahrhunderte. Darüber können die einzelnen Jahrbücher nur einen jeweils begrenzten Ausschnitt aufnehmen, wollen sie dem redaktionellen Leitgedanken umfaßender Heimatkunde und dem Spiegelbild aktueller Zeitprobleme im Interesse der gesamten Leserschaft gerecht bleiben.

Luftangriffe auf Gerolstein

Hintergründe der Zerstörungen im Winter 1944/45

Heinz Weber, Kenn

 

Über die Luftangriffe auf Gerolstein im zweiten Weltkrieg hat Dechant i.R.A. Molter aus eigenem Erleben im Jahrbuch des Kreises Daun 1975 S.26 bis 32 ausführlich berichtet. Nach seinen Aufzeichnungen wurde Gerolstein in der Zeit vom 1. Mai 1944 bis 2. Jan. 1945 insgesamt zehnmal von Flugzeugen angegriffen. Nachdem die Kriegsdokumente in englischen und amerikanischen Archiven zugänglich sind, hat der Verfasser dort mehrere Dokumente über Luftangriffe auf Gerolstein gefunden.

Bemerkenswert war daraus zunächst die Feststellung, daß die engliche Luftaufklärung bereits am 20. April 1940 (beginn des Westfeldzuges: 10. Mai 1940) Luftbildaufnahmen vom Großraum Gerolstein (Maßstab der Abzüge etwa 1:32000) und von Gerolstein selbst (Maßstab des Abzuges etwa 1:1200) gefertigt hat. Die Luftbilder des Großraumes lassen die Bedeutung Gerolsteins als Eisenbahnknotenpunkt im deutschen Nachschubsystem erkennen. Die Eisenbahnlinien im Nahbereich und im überörtlichen Verkehrsbereich sind hervorgehoben und entsprechend beschriftet. Im Luftbild vom Gerolstein selbst ist der Bereich der Bahnanlagen von der Hochbrücke bis zur Drehscheibe (Richtung Pelm) mit einer gestrichelten Linie deutlich umgrenzt. Außerdem sind als besondere Ziele mit Ziffern hervorgehoben : 1 = Passenger Station (Bahnhof), 2 = Engine Shed and Turntable (Drehscheibe) und 3 = Station Sidings. Beide Luftbilder sind am Rand je mit einem aufgedruckten örtlichen Koordinatensystem versehen, das es erlaubt, jeden Punkt eindeutig zu bezeichnen. Gerolstein hatte übrigens in der Kriegskarte die Bezeichnung (Koordinaten) 4416/T1-235811.

Auch diese Dokumente bestätigen die Feststellung, daß strategische Luftangriffe mit großer Sorgfalt und hohem Aufwand minuziös vorbereitet wurden. In der Kriegsterminologie galt Gerolstein als Target (Ziel) GH 482-6(d)(v) 10. Die vorerwähnten Luftbilder waren die Illustrationen Nr. 3 und 4 des Angriffsplanes.

Bei strategischen Luftangriffen wurden in der Hauptsache drei Zieltypen unterschieden: Communications Centers (z.B. Daun, Euskirchen), Marshalling Yards (z.B. Ehrang, Konz) und Railway Junction (Eisenbahnknotenpunkte). Vor, während und nach Flächenbombardements wurden in aller Regel Luftbildaufnahmen gefertigt, die anschließend einer kritischen Auswertung unterzogen wurden. Solche Auswerteberichte (Interpretation Reports) und die zugehörenden Luftbilder fand der Verfasser von den Luftangriffen am 24., 27. und 29. Dezember 1944 sowie vom 2. Jan. 1945. Schließlich hat die amerikanische Luftaufklärung am 14. Jan. 1945 um 12.50 Uhr ein Luftbild gefertigt. Dieses Foto zeigt sozusagen als Zusammenfassung das Endergebnis des gesamten Zerstörungswerks. Der Anblick der schneebedeckten Gerolsteiner Landschaft auf diesem Bild drängt durch die vielen Krater dem flüchtigen Betrachter den Eindruck einer unwirklichen Mondlandschaft auf.

Acht Tage nach dem Beginn der Rundstedt-Offensive hatte sich am 24. Dezember 1944 das winterliche Wetter soweit aufgeklart, daß Luftangriffe nach terrestrischer Navigation geflogen werden konnten. Diese Luftangriffe verfolgten in erster Linie den Zweck, dem deutschen Invasionsheer den Nachschub abzuschneiden. Wegen dieser Aufgabenstellung wurde u.a. auch der bereits vier Jahre alte Angriffsplan GH 482-6(d)(v) 10 (Gerolstein) hervorgeholt und der zweiten Bomberdivision der 8. Air Force zugeteilt. Gerolstein war allerdings nur eines der vielen Angriffsziele. Der Großangriff richtete sich auf 13 Communication Centers: Ahrweiler, Bitburg, Blumenthal, Cochem, Daun, Mayen, Pfalzel, Prüm, Rheinbach, Ruwer, Schönecken, die Eisenbahnbrükke bei Eller, die Eisenbahn und Straßenkreuzung bei Kirn und vier Ziele »of oppertunites«: Hillesheim, Nettersheim, Arzfeld und Malmedy. Gerolstein stand in der Angriffsliste unter »Marshalling Yard«. Zum Einsatz kamen 607 Bomber vom Typ B24D Liberator. Der Verband wurde von 87 Jagdflugzeugen begleitet. Die Bomber führten insgesamt 1.012 Vierzentnerbomben (je 217,5 kg) und 9.451 Zweizentnerbomben (je 109kg) mit. 59 Flugzeuge der 445., 446. und 447. Bombergruppe warfen Bomben im Gesamtgewicht von rund 175 Tonnen zwischen 14.40 und 14.46 Uhr auf Gerolstein. Der IR 3026 vom 25. Dez. 1944 schildert das Ergebnis des Angriffes wie folgt:

12 Explosionen sind zu sehen im Zielgebiet, zehn im Raum am äußeren östlichen Ende. Schlechte Fotos und Rauch des Angriffes erlauben keine detaillierte Interpretation. Ungefähr 100 Explosionen sind zu sehen in Gebäuden, Wald und Feld unmittelbar südlich des Ziels. Andere Explosionen sind wie folgt zu sehen:

1. ungefähr 70 im offenen Feld 2,5 km ostnordöstlich,

2. ungefähr 80 im offenen Feld 2,25 km westlich und zwei mögliche Treffer auf der Eisenbahnlinie,

3. ungefähr 40 im offenen Feld 1 km östlich,

4. ungefähr 40 im offenen Feld und in Gebäuden 2,25 km ost-nordöstlich, fünf wahrscheinliche Treffer auf der Eisenbahnlinie zwischen Pelm und Gerolstein,

5. ungefähr 60 Explosionen in einem tiefen Tal 3 km nordöstlich mit ungefähr zehn Bombentreffern quer über die Eisenbahnlinie nördlich von Pelm,

6. ungefähr zehn Explosionen im offenen Feld 3,3 km nordöstlich.

Am gleichen Tag waren auch die erste und dritte Bomberdivision im Einsatz. Sie griffen mit 1.400 schweren Bombern (858 B24 u. 542 B17) Flugplätze östlich des Rheins an. die Verbände waren von 726 Jagdflugzeugen begleitet. Die abgeworfene Bombentonnage ist mit 3.506 tons angegeben.1 Zum gleichen Zeitpunkt erreichte die Ardennen-Offensive ihr Ma-ximum.

Vier Tage später, am 27. Dez. 1944 hatten die drei Divisionen der 8. Air Force 641 schwere Bomber im Einsatz, die von 390 Jagdflugzeugen begleitet waren. Die abgeworfene Bombentonnage betrug 1.578 tons. 58 viermotorige Fortress Il-Bomber aus diesem Großverband (401 .u.457. Bombergruppe der 1. Division) griffen Gerolstein an.

Sie warfen zwischen 12.03 und 12.21 Uhr 995 Zweizentnerbomben und 111 Vierzentnerbomben (Phosphor). Der IR 3035 führt anhand der beim Angriff aufgenommenen Luftbilder aus: Details des Angriffes: Drei Schwerpunkte mit insgesamt mehr als 250 Einschlägen sind im oder nahe bei dem Ziel zu sehen. Mindestens 28 G.P. Bomben (Mehrzweckbomben) haben den Verschiebebahnhof getroffen. Am Westende des Verschiebebahnhofes sind in der Nähe des Knotenpunktes der Linie Paris-Belgien zwei Treffer auf einem Gleis über der Kanalbrücke zu sehen, zwei Treffer auf einem Gleis über der Eisenbahnbrücke und mindestens sechs Treffer auf der Eisenbahnlinie und nahe beim Knotenpunkt. Verschiedene Treffer sind in Geschäfts- u. Verwaltungsgebäuden in Gerolstein zu sehen. Gegen Ende des Angriffes wurden drei Brände sichtbar. Der Ort Pelm nordöstlich von Gerolstein wurde mit I.B. (Phosphorbomben) eingedeckt. Die Nordhälfte dieses Ortes brannte.

Auswirkungen: Die Frequentierung des Bahnhofes ist gering. Ein Zug auf der Strecke nahe bei Pelm ist mit einem Volltreffer aus einem vorausgegangenen Angriff liegengeblieben. Neun Krater im Verschiebehanhof sind bisher nicht verfüllt worden. Die Eisenbahngleise östlich des Verschiebebahnhofes bei Pelm waren an acht Stellen durch Krater unterbrochen und blieben unrepariert.

(Der Verfasser fügt aus eigener Kenntnis an, daß die Reparaturtrupps der Eisenbahn durch geschickte Anordnung verschieden gefärbterKiessteine häufig Krater in den Gleisen vortäuschten). Abbildung 1 zeigt einen Ausschnitt aus dem Luftbild, das am 27.12.1944 um 12.05 Uhr während der Explosion der Bomben aufgenommen wurde.

Einen Tag später, am 28. Dez. 1944, flogen erneut 1.275 schwere Bomber (361 B24 und 914 B17) nach Deutschland ein. Der Verband war von 606 Jagdflugzeugen (Mustang P51) begleitet. Die Bomber luden ihre todbringende Last (3.171,9 tons) über 15 Zielen ab. Darunter waren Kaiserslautern, Neunkirchen, Zweibrük-ken, Koblenz, Remagen, Siegburg. Gerolstein verschonten sie an diesem Tag. Dafür waren sie aber am 29. Dezember wieder da. Der Einsatz 8AF Nr. 769 verzeichnete 827 schwere Bomber (565 B17 u.262 B24) und 724 Jagdflugzeuge. Die Bombentonnage ist mit 2.035,3 tons angegeben. Aus diesem Verband flogen 26 B24 Liberator-Bomber der 446. Bombergruppe Gerolstein an. Sie klinkten um 12.42 Uhr Bomben im Gesamtgewicht von 67,5 tons aus. Der l R 3045 widmet dem Angriff nur wenige Sätze:

Eine Gruppe von Explosionen ist unmittelbar südlich des Bahnhofes zu sehen; weitere mögliche Treffer im Zielgebiet. Zwei Explosionen sind am Ostrand des Zielgebietes zu sehen. Weitere Expl. südlich außerhalb des Zielgebietes 1,3 km in Feld und Wald. Das Jahr 1944 endete mit schweren Luftangriffen auf deutsche Städte. Am 30. und 31. Dezember luden 2.516 amerikanische Bomber rund 7.000 Tonnen Bomben auf deutsche Stadt ab. Zu erwähnen ist insbesondere der Großangriff auf Hamburg am Silverstertage.

Aber auch in Gerolstein war wieder Fliegeralarm. Eine Staffel Jagdbomber (Republic P47-Thunderbolt) griff mit Bomben und Bordwaffen den Bahnhof an.

Das neue Jahr begannn wie das Alte geendet hatte. Am Neujahrstag 1945 flog die 8. Air Force ihren Einsatz Nr. 774. 850 schwere Bomber starteten mit einer Bombenlast von 1.820,6 tons. In unserem Raum waren Koblenz und Remagen Angriffsziele. Gerolstein wurde erneut von Jagdbombern angegriffen. Der 2. Januar verzeichnete einen noch größeren Angriff: 715 B17 und 296 B24, Bombentonnage: 2.802,8 tons. An diesem Tag war auch Gerolstein wieder Opfer ihrer Bomben. Sie fielen aus 74 Fortress Il-Bombern (B17) der 381. und 384. Bombergruppe zwischen 10.59 und 11.48 Uhr. Abgeworfen wurden 372 Vierzentnerbomben, 664 Zweizentnerbomben und 138 Vierzentnerphosphorbomben. Der IR 3069 schildert das Ergebnis:

a) Eine große Anzahl von Explosionen und eine Gruppe von Brandbombeneinschlägen sind in der Innenstadt von Gerolstein zu sehen, außerdem 20 Treffer im Eisenbahnknotenpunkt und in der angrenzenden Eisenbahnlinie. Andere Treffer sind in nicht näher identifizierbaren Gebäuden zu sehen. Zwei Feuer brennen außerhalb des Zielgebietes in der Stadt.

b) Andere Explosionen:

1. mindestens 150 verstreut im Wald und offenen Feld 1,3 km nordöstlich des Ziels mit zwei oder drei Treffern auf der Eisenbahn,

2. einige vereinzelte Einschläge und zwei Gruppen von Brandbomben-Einschlägen sind im offenen Feld ungefähr 1 km nördlich des Ziels zu sehen.

Das dem Bericht beigefügte Luftbild zeigt weitere Einzelheiten. Schließlich fertigte die Luftaufklärung am 14. Januar 1945 das schon eingangs erwähnte Luftbild. Eine ausführliche Auswertung dazu findet sich im IR 3604 vom 15. Januar 1945. Die Abbildung 2 ist ein Ausschnitt aus diesem Luftbild.

Es ist ein erschütterndes Dokument aus der schwersten Stunde dieser Stadt, deren günstige Lage im Schienennetz der Eisenbahn ihr in einem unseligen Krieg zum Verhängnis wurde. Wenn in diesem Bild Krater und Trümmer domminieren, so mag doch gerade dies zurücktreten und die Erinnerung wach rufen an die Menschen, die hier ihr Leben lassen mußten. Aus den Kratern ist Hoffnung gewachsen. Abbildung 3 zeigt den gleichen Bildausschnitt, aufgenommen am 7. April 1978. Er dokumentiert die Lebens- und Schaffenskraft dieser Stadt, die in diesem Jahr 650 Jahre alt wird.

Literatur

1: Freeman.Roger A.:Mighty Eighth War Diary.New York 1981 (Gerolstein betreffend Seite 398,399,406,407 u.408)

2: Craven,W.Fr.,Cate J.L.The Army Air Force in World War II Washington,D.C.1983 (Volume Three Europe:Argument ro V-E Day January 1944 to May 1945)

Abb. 1 und 2: Freigegeben durch Bez.Reg. Rh.-Pfalz unter Nr. 20608-8 u. 20609-8

Abb.3:Freigegeben durch das Landesvermessungsamt Rheinland-Pfalz unter Nr. 4/78; vervielfältigt mit Genehmigung des Landesvermessungsamtes Rheinland-Pfalz vom 23. Mai 1985 - Az.: 2.3465/85