Eine Brautschau in der Eifel

Erinnerungen an das Hofgut Oberwinkel

Constantin Cnyrim, Königswinter

 

Als meine Eltern1 in den Jahren 1981 und 1982 verstarben, hinterließen sie mir eine Fülle alter Akten und Papiere, denen man es ansah, daß sie für den Abfall zu schade waren. Tage, Monate und mittlerweile Jahre benötigte ich, um die vererbten Papiere zu sichten und zu ordnen. Dabei fiel mir ein kleiner Zeitungsausschnitt in die Hände, der mich faszinierte. Es war in ihm von einer »Brautschau in der Eifel« die Rede. Unterzeichnet war mit den Initialen F.C. Mich interessierte der Artikel deswegen, weil ich auf dem in dem Artikel genannten Hofgut, dem Hofgut Oberwinkel, die wesentlichsten Jahre meiner Kindheit verbrachte. Recherchen und einige Befragungen haben mich von der Wahrheit des Artikels überzeugt. Inhaltlich konnte er sogar noch ergänzt werden. Was bei den Ermittlungen herauskam, sei hier geschildert.

Der Hof zu Oberwinkel wurde seit 1680 von einer Familie Maas bewirtschaftet.2 Nach der französischen Revolution wurden die vom Staat eingezogenen Kirchengüter öffentlich versteigert. Das Hofgut Oberwinkel wurde von dem Trierer Arzt Josef Willwersch ersteigert3, der es kurz darauf an den damaligen Beständer Matthias Josef Maas weiterveräußerte.

Somit änderte sich in Oberwinkel nichts. Trotz Verkaufs blieb die Familie Maas in Oberwinkel, jedoch nicht als Pächter, sondern als Besitzer des Hofgutes. Matthias Josef Maas hatte eine Tochter Maria Eva, die in Oberwinkel am 12. 3. 1803 geboren wurde. Eva wuchs in Oberwinkel und auf der Burg üssingen auf4. Mittlerweile schrieb man das Jahr 1824.

Der Gutshof Obemiimel um 1940 mit Gutsherrenhaus, Pächterhaus, Wirtschaftsgebäuden und eigener Kapelle. Alle Gebäude bis auf die kleine Kapelle wurden abgerissen. Die Kapelle wird jetzt renoviert

Foto: Archiv der Verbandsgemeindeverwaltung Daun

Auf einem großen Hof in Welschbillig, Kreis Bitburg, saß in einer warmen Sommernacht der Besitzer des Hofes, Johann Peter Limbourg, vor der Haustüre und machte sich Sorgen um seinen Sohn Franz. Franz Limbourg war trotz seiner 28 Jahre5 noch nicht verheiratet. Und dies war der Grund der väterlichen Sorge. Wen konnte der Sohn heiraten? Hatte die Familie nicht vor einigen Wochen den Besitzer des Oberwinkeier Hofes mit Familie in Trier kennengelernt? Hatte der Winkeler nicht eine anmutige Tochter? - Zufrieden begab sich Johann Peter Limbourg nun zur Ruhe. Am kommenden Morgen schickte Johann Peter Limbourg seinen Großknecht Pittchen auf Reisen. Oberwinkel! Ein von langer Wanderung verstaubter Priester bog an der Kapelle in den Hof und bat um Unterkunft. Da die Familie Maas sehr fromm und gottesfürchtig war, kam man der Bitte des fremden »Paters« gerne nach. Der »geistliche Herr« wurde gut bewirtet, man zeigte ihm den Hof, die Pferde, die Äcker und die Stallungen. Die Herrin des Gutes6 zeigte dem reisenden Pater auch die Kapelle und bat ihn, am nächsten Morgen eine Messe zu lesen. Da die Familie wünschte, zur heiligen Kommunion zu gehen, beichteten die Eltern Maas und die Tochter Eva bei dem fremden Pater. Der Sündenlast entledigt, schritt man nun zu den lukullischen Genüssen. Nach Tisch wurden am Abend noch einige gute Tropfen von der Mosel genossen.

Unser reisender Pater wurde in den frühen Morgenstunden von dem Nachdurst erheblich geplagt, so daß er sich zum Brunnen schlich und das kühle Naß in hastigen Zügen trank. Dazu verschlang er noch ein mitgebrachtes Butterbrot. Vor sich hin schmunzelnd, erwartete er so die Hofherrin. Mit ernstem Gesicht trat er auf sie zu: »Madame, ich muß mich jemandem anvertrauen, mich plagt mein schlechtes Gewissen so, daß ich es nicht mehr aushalte. Ich muß mit jemandem sprechen.« Sorgenvoll und gütig meinte die Hofherrin, er könne mit ihr guten Gewissens reden.

Der Pater sprach von seinen Nöten. Eine Messe könne er nicht mehr lesen. Er könne dies auf keinen Fall tun, da er nicht mit seinem schlechten Gewissen vor den Altar des Herrn treten könne. Auf die Frage: »Warum denn nicht?« antwortete der Geistliche: »Der Nachdurst hatmich derart gequält, daß ich in der Früh' zum Brunnen lief und Wasser trank. Dazu hab' ich noch mein Butterbrot gegessen. Nun bin ich nicht mehr nüchtern und kann keine Messe mehr lesen.« Auf Bitten der Hausfrau ließ er sich aber dazu bewegen, mit der Familie Maas und dem Hofgesinde in der Kapelle des Hofes den Rosenkranz zu beten. Nach einem ausreichenden Frühstück dankte der Pater für die gute Bewirtung und zog weiter. Wohin er zog, hatte er nicht verraten.

Als einige Tage später in Welchbillig der Großknecht Pittchen von seiner Reise zurückkam, berichtete er seinem Herrn: »Här, et is alles in Ordnung. Dat Mädschen is in Ordnung! Dän Hoof is sauber un adrett, dat Vieh un de Pärd prima wie bei oas. Kochen kann de Juffer Ev wie de best Köchin, un kei Engel is reiner wie et Ev, ich hann nämlich sein Beicht gehourt.« Ein halbes Jahr später wurde in Oberwinkel die Hochzeit zwischen Eva Maas und Franz Limbourg gefeiert.7 Als nach der Hochzeit Eva Maas auf den Stammhof nach Welschbillig kam, war das Gesinde zur Begrüßung angetreten. Als erster stand der Großknecht Pittchen in der Reihe. Eva Limbourg geborene Maas stand vor ihm, kniff die Augen zusammen und sagte: »Deich kennen eich doch!!« Dabei versetzte sie ihm eine laut knallende Ohrfeige.

Die »Spionagereise« des Großknecht »Pittchen« hatte schließlich noch ein gerichtliches Nachspiel. Der Knecht wurde einige Monate später von einem königlichen preußischen Amtsgericht zu einer Freiheitsstrafe von sechs Wochen wegen Amtsanmaßung verurteilt.

Die vorliegende Geschichte wurde auf zwei Arten überliefert. Im Jahre 1924 wurde sie in einer Kurzform in der »Saarlouiser Zeitung« veröffentlicht, unterzeichnet mit den Initialen F.C. Diese Buchstaben stehen für: Franz Cordier. Franz Cordier war ein Urenkel von Eva Limbourg geb. Maas.8 Weiterhin hörte ich gleiche Geschichte von Marie-Luise Maas geb. Faber, die heute in Bonn-Bad Godesberg lebt. Ihr Mann, Adolf Maas, war der letzte Maas, der in Oberwinkel geboren wurde. Auch hier ist die Quelle sehr zuverlässig.

Zum Schluß stellt sich noch die Frage, inwieweit war die so gestiftete Ehe glücklich. Von beiden Ehepartnern ist bekannt, daß sie sehr energisch und zielstrebig waren und daß ihre Meinungen oft aufeinanderprallten. Über das Glück oder Unglück einer Ehe sollte man hier nicht urteilen. In der Familie Maas ist überliefert, daß Eva Maas diese Verbindung nur aus Gehorsam gegenüber ihrem Vater einging. Sie war zuvor mit einem Niederländer van de Kerk befreundet. In der Burg Lissingen, die ebenfalls ihrem Vater gehörte, ritzte Eva Maas in die Scheibe eines Eckturmes ein: »E.M.K.« Was später aus dem Herrn van de Kerk wurde, konnte ich bisher nicht feststellen.

Eva Maas verh. Limbourg wurde 78 Jahre alt, wurde Mutter von 8 Kindern, erlebte das Großmutterdasein und das seltene Urgroßmutterdasein. Sie starb am 31. 3. 1881 in Helenen-berg bei Bitburg. Ihr Mann Franz Limbourg, in der Familie seiner Frömmigkeit wegen der »Klerikale« genannt, starb acht Jahre früher am 1.3. 1873.

Da heute der Oberwinkeier Hof nicht mehr steht9), soll wenigstens diese kleine Geschichte an ihn erinnern.

Anmerkungen:

1 Meine Eltern Gurt C. Cnyrim und Aline Elisabeth Cnyrim geb. Tobias lebten von 1944 bis 1952 in Oberwinkel. Der Hof war seit 1922 im Besitz der Familie Cnyrim.

2 Die Ahnenliste der Familie Maas wurde im Jahre 1912 von Herrn Hermann Rennen aus Koblenz erstellt. Die Ahnenliste liegt dem Verfasser vor.

3 Müller, Michael: Säkularisation und Grundbesitz, Boppard 1980, S. 374

4 Die Burg Lissingen war bis nach dem 1. Weltkrieg im Besitz der Familie Maas.

5 Franz Limbourg wurde am 12. 12. 1796 in Helenenberg bei Bitburg als Sohn von Johann Peter Limbourg und Margarethe Knepper geboren. Er betrieb u.a. die Poststelle und Gastwirtschaft in Helenenberg. Lebte mit seiner Frau bis 1830 in Oberwinkel und bewirtschaftete kommissarisch das Hofgut Oberwinkel.

6 Anna Margarethe Maas geb. Schnitters.

7 Die Hochzeit fand am 6. 4. 1825 statt. Die Ziviltrauung ist in die Register von Bitburg eingetragen. Die kirchliche Trauung fand in der Kapelle des Hofgutes Oberwinkel statt.

8 Eva Limbourg geb. Maas hatte eine Tochter Magdalena Henriette, geboren 11. 1. 1835 in Helenenberg. Diese heiratete am 5. 5. 1857 Peter Eugen Cordier aus Saarlouis, den Großvater von Franz Cordier, der diese Geschichte überlieferte.

9 Über den Hof bleibt noch viel zu berichten, zumat sich seine Geschichte bis in das 14. Jahrhundert hinein fast lückenlos verfolgen läßt.