Kindesentführung auf der Kasselburg

Aus einer Familienchronik des 18. Jahrhunderts

Karl Reichert, Birresborn

 

Hin und wieder ist den Massenmedien zu entnehmen, daß wieder einmal ein Kind entführt worden ist. In den meisten Fällen hoffen die Entführer, durch diese Tat und die anschließenden Lösegeldforderungen das große Geld zu machen. Aber Kindesentführungen sind keine Erscheinung unserer heutigen Zeit, sondern auch in früheren Jahrhunderten wurden Kinder von Kidnappern - wie die Entführer heute genannt werden - gewaltsam verschleppt. Ein solches Schicksal traf auch meine Vorfahren, die zu Beginn der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf der Kasselburg bei Pelm lebten. Zu jener Zeit war mein Ur-Ur-Ur-Großvater Förster bei dem Herzog von Arenberg, der diese Burg besaß. Eines Tages wanderte er mit seinem treuen Hund Karo durch das Revier. Lange Zeit war er unterwegs gewesen. Nun näherte er sich der Burg, wo seine Frau und seine Kinder auf ihn warteten. Endlich hatte er die Wohnung erreicht. Die Hunde schlugen an, aber von Frau und Kindern war nichts zu sehen. Als er bangen Herzens die Wohnung betrat, empfing ihn seine Frau laut weinend. Sie berichtete ihm, daß der Sohn August von Zigeunern geraubt worden sei. Was sich zugetragen hatte, ist wie folgt überliefert: Die Mutter hatte die beiden Jungen in den Wald zum Köhler geschickt, um Holzkohlen zu bestellen. Unweit des Forsthaues hatte der Köhler seinen Meiler. Nach etwa einer Stunde kam der dreijährige Nikolaus nach Hause gelaufen und erzählte: »Der schwarze Mann hat den August geholt.«

Anfangs dachte die Mutter, des Köhlers Sohn, mit dem August befreundet war, habe den Jungen zurückgehalten. Am Abend aber war er immer noch nicht zu Hause. Da eilte die besorgte Mutter selbst zum Köhler. Hier aber wußte man nichts über den Verbleib des Jungen. Wohl hatte man einen Zigeunerwagen gesehen, der nach Pelm fuhr, darauf einen Jungen, der dem vermißten August sehr ähnlich sah. Die »braunen Gesellen« hatten es sehr eilig gehabt. Deshalb vermutete man, daß sie den Jungen entführt hatten.

Die Verfolgung der Zigeuner blieb erfolglos, da diese einen großen Vorsprung hatten. Die Verkehrsverhältnisse waren zu der damaligen Zeit um das Jahr 1766 undenkbar schlecht. Der Knabe blieb verschollen. Welchen Kummer diese Eltern bis zu ihrem Lebensende hatten, kann man sich gut vorstellen, immer in Ungewißheit über den Verbleib des Jungen.

Sage vom Wodansheer

Ein Bruder dieses entführten Kindes, Hilarius Stoll, geb. 15. 7. 1766, war ebenfalls Förster und zwar beim Baron von Berg auf der Burg Seinsfeld. Der Baron von Berg und sein Förster Stoll gingen an einem Abend auf den Schnepfenstrich. Als sie eine Weile dastanden, vernahmen sie in der Luft ein viel- und verschiedenstimmiges Geräusch, welches näher und näher kam. Der Baron nahm reißaus und suchte schnellfüßig die Burg zu erreichen, der Förster aber blieb stehen und wollte das Kommende abwarten. Er vernahm nun aus der Luft Hundegebell, Gewieher, Wagenrasseln, Katzengeschrei und dergleichen mehr und kehrte, nachdem alles vorüber war, ebenfalls auf die Burg zurück. Da erhielt er vom Baron, den er nach der Ursache des Ausreißens befragte, die Antwort: »Hast Du denn nicht das wütende Heer in der Luft vernommen, das war der leibhaftige Teufel, deshalb hatte ich keine Lust, seine Ankunft abzuwarten.«

Nach meinen Erkundigungen auf der Burg Seinsfeld hat dieser Baron ein ausschweifendes Leben geführt, wie es unter den absolutistischen Adligen der damaligen Zeit üblich war. Er hatte noch versucht, der Enteignung durch die Franzosen zu entgehen, aber ohne Erfolg. Mein Ur-Ur-Großvater mußte dann aus der Burg ausziehen, so daß er sich nach einer neuen Bleibe umsehen mußte. Er baute sich ein Haus in Seinsfeld und zwar im Weiler Weg mit der Nummer 3. Auf dem Türsturz ist noch heute die eingemeißelte Inschrift: »18 Hilarius Stoll - Margarete Weber 08« zu lesen.

Sagen vom Wodansheer, in der Volkssprache auch »Wodesheer« genannt, findet man beinahe in jedem Ort in der Eifel. Man denkt sich unter diesem Heer eine Ansammlung von geheimnisvollen, unheimlichen Wesen, die durch die Luft ziehen, ein viel- und verschiedenstimmiges Getön von sich gebend. Mitunter vernimmt man auch eine liebliche Musik oder einen anmutigen Gesang. Nicht nur in Seinsfeld sondern auch aus anderen Orten wie Walsdorf, Kirchweiler usw. bestehen Sagen über das Wodansheer, wobei es von Ort zu Ort abweichende Besonderheiten gibt, die es bei seinem Erscheinen einhält.