Eine Rose wäre mir lieber

Lotte Schabacker, Daun

 

Liebe Freundin, ich weiß, Du willst mir eine Freude machen, wenn Du mir ab und an ein Blümchen, wie Du so bescheiden sagst, mitbringst. Und ich würde mich ja auch freuen, wenn. .. ja wenn diese Orchideenartigen nicht gar so launisch wären.

Was mir da Sorgen macht, ist gewiß nicht Dein Geldbeutel, sondern nur Deine Vorstellung von der Langlebigkeit dieser Exoten. Drei bis vier Wochen sollen sie halten, wenn nicht noch länger. Das tun sie ja vielleicht auch. Anderswo! Und, siehst Du, das ist das Problem.

Dabei gibst Du Dir solch große Mühe! Du kaufst nicht einfach ein nettes Blümchen - Du erstehst für mich mit Bedacht einen Einrichtungsgegenstand. Du erwägst genau die Farben, die seinen Stammplatz umgeben, die Übergardine und den Sessel im Ton fehlfarbener Zigarren, das sanfte Rot eines Läufers und die Vielfarbigkeit eines Gobelindeckchens, das Dir ein Dorn im Auge ist. Das Blümchen muß sich da einfügen und zugleich Blickpunkt sein; und sogar von der Form her soll es die streng waage- und senkrechten Linien der anderen Möbelstücke anmutig auflockern. Und das schafft es auch jedesmal.

Aber kaum hast Du den Rücken gekehrt, so wird aus dem Blümchen ein Sorgenkind, denn nach unserem alten guten Brauch besuchst Du mich ja jede Woche: jedesmal eine Gelegenheit, das Geschenk zu kontrollieren! Die ersten zwei bis drei Tage kommen wir noch gut miteinander zurecht, daß Blümchen und ich, aber als reine Freude kann ich selbst diesen vergleichsweise freundlichen Zustand nicht bezeichnen, dafür beobachte ich es viel zu aufmerksam. Später wird aus der Wachsamkeit dann Argwohn. Ist seine Farbe nicht schon etwas verblaßt? Haben sich die hellen Spitzen seiner Blütenblätter nicht bereits vergrößert? Überhaupt wirkt es, als sei es ein bißchen zusammengeschrumpft. Und dieser kleine braune Fleck, wielange gibt's den schon? Du liebe Zeit. . .

Schließlich muß ich gegen den Drang ankämpfen, das Blümchen mit Vitaminen und Hormonen zu füttern, es staubzusaugen und in die Waschmaschine zu stecken, es zu färben, zu bügeln und zu polieren. Oder mich einfach davorzustellen und um sein Überleben zu beten. Und immer wieder bedaure ich, daß es keine Intensivstationen für Blümchen gibt. Literatur über den Umgang mit diesen Lieblingen habe ich mir schon längst besorgt und die angegebenen lebensverlängernden Drogen gekauft. Ich tue alles, was da von Fachleuten vorgeschlagen wird. Und schon öfter als einmal habe ich ein solches Schmuckstück an einen kühleren Ort gestellt, wo es mich überhaupt nicht zu Gesicht bekommt (und ich es auch nicht), wo ich es nicht stören und ihm nicht lästig werden kann. Aber nichts hilft.

Dann und wann habe ich auch schon das ebenfalls bald verlebt wirkende Grünzeug, mit dem solche Blümchen garniert sind, ausgetauscht in der Hoffnung, dieser Hauch von Frische könne über den Verfall des teuren Stükkes hinwegtäuschen. Doch Du läßt Dich durch solch kleine Tricks nicht aufs Kreuz legen. Und Deine Besuche, auf die ich mich sonst so freue, erscheinen mir nun eher wie Visitationen. Du kommst, siehst und schimpfst. Natürlich nicht auf mich, sondern auf den Blumenhändler (der bestimmt an dem Malheur genauso schuldlos ist wie ich). Doch mir ist dann jedesmal, als hätte ich Dein Blümchen eigenhändig vergiftet. Nachdem Du nun kürzlich gedroht hast, den Einrichtungsgegenstand im Wiederholungsfall zu reklamieren, habe ich mich am Vortag Deines nächsten Besuches auf die Suche nach einem neuen Blümchen gemacht. Da das nun in Farbe und Form dem vergammelten gleichen mußte, war ich lange unterwegs. Ohne Erfolg! Und als Du dann abends anriefst und Dein Kommen wegen Grippe absagen mußtest, fiel mir ein Stein vom Herzen. Und das geht ja nun zu weit!

Nun bin ich die Sache leid, und, siehst Du, deshalb schreibe ich diesen Brief, den Du mir sicher nicht verübeln wirst - dafür kennen wir uns schon viel zu lange. Findest Du es nicht auch paradox:

Wie oft trennen wir uns leicht von Kleidungsstücken, an denen fast noch das Preisschild hängt? Ganze Zimmereinrichtungen und Polstergarnituren müssen dran glauben, weil die Möbelindustrie dazu rät. Ganz zu schweigen von den neuen Wagen! Warum zum Kuckuck soll denn ausgerechnet etwas Lebendiges, etwas mit eingebauter Lebensuhr, dem das Blühen und Welken von Natur aus bestimmt ist, über Wochen und Wochen unverändert herumstehen, als sei es aus Pappmache?

Siehst Du, wir leben doch in einem ganz kleinen Städtchen, mit Gärten, die so viel Schönheit hergeben. Und Du hast einen davon, einen aus dem Poesiealbum sogar mit 'Rosen, Tulpen, Nelken'! Da wäre mir wirklich lieber, Du brächtest mir, wenigstens im Sommer, eine Rose aus Deinem Garten mit. Auch wenn sie zu keiner hier vorkommenden Farbe passen sollte - sie ist Harmonie in sich. Und sie könnte mich allein schon durch ihren Duft bezaubern. Und wenn ihre Zeit gekommen wäre, dürfte sie in Würde sterben. So wie wir das auch einmal möchten.