Foto: Helmut Klassmann

Nachdenken über »Heimat«

Pflege des Heimatbewußtseins gemeinsame Aufgabe

Landrat Karl-Adolf Orth

 

Carpe diem - nütze den Tag, seine Chancen und Möglichkeiten, die für jeden von uns anders aussehen. Der Spruch des alten Römers und Dichters Horaz könnte auch in unserer schnellebigen Zeit den einzelnen Tag wieder zu einem wichtigen Instrument unserer Lebenszeit, der Zeit in unseren Städten und Ortsgemeinden machen. Sicher, die erste Nachkriegsgeneration nach 1945 hatte handfeste Aufgaben zu bewältigen, den Wiederaufbau zu bewerkstelligen und die Weiterentwicklung unseres Landkreises fortzusetzen. Es galt, Straßen zu planen und zu bauen, Fabriken anzusiedeln und, was eigentlich an die erste Stelle gehört, Krankenhäuser, Schulen und Bildungseinrichtungen zu errichten. In diesen Nachkriegsjahrzehnten kam etwas zu kurz: Die Bildung des Heimatbewußtseins, die Pflege der heimatlichen Umwelt, der Erneuerung der Dörfer als Orte mit dörflichem Leben und Eifeler Kultur, mit Nachbarschaft, Geborgenheit und Tradition.

»Wohl dem, der eine Heimat hat«.

Die alten Einwohner im Landkreis Daun hatten eine sehr verwurzelte Beziehung zur Heimat. Sie hatten auch, wie mir scheint, ein Kreisbewußtsein, daß sehr ausgeprägt war und das z.B. die Begriffe Oberkreis, Unterkreis, Hinterbüsch und Struth prägte. »Gehst du aus dem Kreis Daun heraus?«, fragten beim Abschied die Alten die Jungen. Aus dem Kreis Daun herausgehen, war Verlassen der Heimat, ob sie nun nach Köln, ins Ruhrgebiet, zu den Soldaten nach Berlin oder gar nach Amerika gingen. Ich glaube aber auch, daß bewußt oder unbewußt bei manchem Mitbürger die harten Erlebnisse in und nach den Aufbaujahren, die Sensibilität für Heimatfragen nur zugedeckt haben. Wir haben auch den Mitbürgerinnen und Mitbürgern viel zu verdanken, die als Vertriebene aus dem Osten ihre Heimat verloren und die sich selbst als »Heimatvertriebene« bezeichnen. »Wohl dem, der eine Heimat hat«, das brachten uns, den Altbürgern, die Neubürger bei, und sie waren und sind uns dankbar, daß sie bei uns eine neue Heimat fanden. Ein zweites Mal möchte man seine Heimat und seinen Wohnort nicht verlieren. Heimat wurde wieder zu einem Stück Identifikation, für das man sich einsetzt, vielleicht mehr denn je.

Heimat - mehr als Romantik

Ich freue mich, daß auch in den Schulen die Heimatkunde wieder ihren Platz im Lehrplan erhält. Heimat und Heimatkunde sind nicht nur Romantik, sie sind auch nüchterne, geographische und geschichtliche Begriffe. Das Wort Heimat beinhaltet nicht nur Idylle, sondern auch rauhe Wirklichkeit. Die Arbeit zur Lebendigmachung des Heimatgedankens ist keine modische Welle, sondern verlangt tägliche praktische Arbeit im Ort. Hier gilt es, jeden Tag zu nutzen, um kleine Dinge, die für das Dorf schädlich sind, abzuwehren, sei es die Gestaltung einer Hauswand mit Alutüren, die Betonierung von Vorgärten oder auch die Gestaltung von Dorfplätzen auf der grünen Wiese", die keine Geborgenheit im Dorf vermitteln. Wir haben zwar Dorfplätze angelegt, die von der Bevölkerung als Begegnungsstätte angenommen werden. Wir kennen aber auch Plätze in der freien Landschaft, die nicht zum anheimelnden Niederlassen und Gespräch mit dem Mitbürger einladen. In einer großen Tageszeitung stand kürzlich ein bemerkenswerter Beitrag, dessen Überschrift allein schon einen entscheidenden Ansatz liefert, nämlich das »Nachdenken über Heimat«. In diesem Artikel wird gesagt, daß es großer Gedankenanstrengung bedarf, das Wort Heimat zu erfassen. Ein nüchternes und poetisches, also ein rätselhaftes Wort sei Heimat, über das nachzudenken sich lohne.

Umwelt nur Teil unserer Heimat

Heute verbinden wir den Begriff Heimat auch mit dem Wort Umwelt. Eine Triebfeder für den Einsatz zu heimatlicher Pflege sind die belastenden Umweltprobleme unserer Tage. Nicht nur die Sehnsucht nach heimatlicher Idylle, sondern die Schäden in der Natur und an Baudenkmälern aktivieren den Heimatfreund. Wir können jetzt »Heimat« auch als Schutz unserer Umwelt bezeichnen. Heimat- und Umweltschutz haben vieles gemeinsam. Zur Heimat gehören die Nachbarn, die Menschen, die Mitbürger, die gleiche Sprache, der örtliche Dialekt, das ortsgebundene Brauchtum, die Vereine und die Kirche, auch das Nachbardorf mit den kleinen und großen Eifersüchteleien. Zur Heimat zählen nicht nur Luft, gesunde Wiesen, Erde und Wasser. Sehr wichtig ist auch die kulturelle Umwelt, die die Menschen prägt und Heimat vermittelt. Der gemeinsame sonntägliche Kirchenbesuch prägt mehr als mancher glauben mag. Die Wiederbelebung und der Erhalt der Prozessionen, seien es die Fronleichnamprozessionen oder die Bittprozessionen, sind ohne Heimat-Bindung nicht denkbar. Heimat ist Umwelt und Seele. Heimatpflege ist etwas Lebendiges. Der Mensch will sich nicht nur an seiner Heimat und der Landschaft erfreuen, sondern er lebt und wirkt in ihr; er will ihr eigenständiges Gesicht erhalten. Viele von uns suchen nach langen Zeiten des Mißbrauchs, der Abwertung heimatlicher Gefühle wieder überschaubaren Raum mit Geborgenheit und mitmenschlichen Bindungen, Nachbarschaft und Dorfgemeinschaft.

Auf Einladung von Landrat Orth — Vorsitzender des rheinland-pfälzischen Landkreistages — waren die drei Regierungspräsidenten von Rheinland-Pfalz zu einem Arbeitsgespräch nach Daun gekommen. Von links: Landrat Orth, Frau Orth, Frau Schwetje, Regierungspräsident Schwetje, Trier, Regierungspräsident Schädler, Neustadt, Frau Schädler, Frau Korbach, Regierungspräsident Korbach, Koblenz.

Heimatbewußt leben!

Ich möchte jede Bürgerin und jeden Bürger des Landkreises Daun einladen, mit mir auf die Suche nach Heimat zu gehen, um jeden Tag heimatbewußt neu zu gestalten. In unserer in-dustriealisierten Welt gehört aber auch das Wissen dazu, daß Heimatpflege und Umweltbewußtsein nicht isoliert von der Technik gesehen werden können. Der Erhalt und die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Heimat und Umwelt mittragen, sind wichtige Aufgaben. Unsere junge Generation ist durchaus in der Lage, bei allem Engagement für den Umweltschutz diese nur scheinbaren Gegensätze zu erkennen und sich danach einzurichten. Wir Erwachsenen haben die Aufgabe, die Werte Heimat, Heimatpflege und Heimatschutz unserer Jugend na-hezubringen, damit sie später von ihr mitverantwortet und mitgetragen werden können. Ideologische Scheuklappen helfen nicht weiter. Der realistische Blick muß her, um die Zusammenhänge zwischen Umwelt und Wirtschaft, Umweltschutz und Arbeitsplätzen zu erkennen. In der Demokratie ist der Umweltschutz sicher schwerer zu verwirklichen als in diktatorischen Regierungsformen, da die Interessen der einzelnen Gruppen bei uns stärker aufeinanderprallen. Wir haben aber auch mehr Freiheit, das richtig Erkannte jeden Tag neu zu tun. Deshalb sind Heimatgedanke und Umweltschutz in der Demokratie am besten aufgehoben. Meine Bitte zur Pflege des Heimatbewußtseins möchte ich als Gemeinschaftsaufgabe verstanden wissen.

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