»Das Kreuzbrot ist angeschnitten«

Vom »Backes« in der Eifel

Josef Schmitt, Pfr.i.R., Leubsdorf/Rh.

 

Seit einigen Jahren komme ich öfters in die Eifel, genauer gesagt nach UTZERATH in der Nähe von Daun. Bei Gesprächen am abendlichen Tisch über die alte Zeit steht immer wieder das »Backes« im Vordergrund. Fast jeder Ort in der Eifel besaß früher ein Backhaus, im Volksmund »Backes« genannt. In größeren Orten finden wir mehrere. Das Backes war Eigentum der Gemeinde. Sie hatte es erbaut und sorgte für seine Unterhaltung. Es stand jedem Bürger zur Verfügung. Im Innern war der Ofen eingebaut; zuweilen ein kleiner und ein großer. Die Ofenbauer kamen zumeist aus der Gegend von Mayen; von dort wurden auch die Steine für die Innenwände des Ofens bezogen, die sog. »Mendiger Tuffsteine«.

Im Laufe der Zeit hatte sich für den Ablauf des Backens eine bestimmte Ordnung herausgebildet, die »Backes-Ordnung«. Wer an »seinem« Tage backen wollte, fand sich tags vorher beim Läuten der Mittagsglocke am Backes ein. Erst nach dem letzten Glockenschlag wurde die Reihenfolge für die Backenden bestimmt. Folgende Ordnung wurde peinlich eingehalten: aus einer Vertiefung in der Mauer wurden die Lose genommen; diese Lose bestanden aus Holzstäbchen, in die eine Anzahl von Kerben eingeritzt war. Einer der Anwesenden nahm die Stäbchen so in die Hand, daß nur die Spitze herausragte und die Kerben verdeckt blieben. Nun konnte jeder sein Los ziehen. Die Reihenfolge zum Backen war durch die Anzahl der Kerben festgelegt. Vor großen Tagen wie Kirmes, Weihnachten, Ostern u.a. kam der Ortsbürgermeister selbst zur Einteilung. Da es an solchen Tagen meist viele waren, hatte er in seinem Hut Lose aus Papier mit entsprechenden Nummern. Aus dem Hut wurden nun die Lose gezogen. Wer die Nummer 1 oder das Holzstäbchen mit nur einer Kerbe zog, hatte als der Erste zu beginnen. Das war nicht jedem recht. Denn er benötigte zum Anheizen wenigstens eine Schanze mehr als die Nachfolgenden.

Das Brot wird in den Backofen eingeschlossen.

Die Vorbereitung zum Backen geschah daheim, im eigenen Haus. Jede Familie besaß eine Back-Mulde. Das war ein Tisch mit einer Vertiefung nach der Form von einem halben Faß. Abends vor dem Backen wurde der Sauerteig vorgeweicht. Der Sauerteig war ein Überbleibsel vom letzten Brotteig und blieb getrocknet in der Mulde zurück. Mit abgekochtem, lauwarmen Wasser wurde er aufgeweicht. Danach gab man einen Eimer Wasser mit Salz und etwas Mehl dazu. Das Ganze wurde zu einer sämigen Flüssigkeit gerührt. Beim Abschluß dieser abendlichen Arbeit zeichnete man über die Mulde ein schlichtes Kreuz und schloß sie mit der Tischplatte. Dabei sprach man: »Gott walt's«! oder: »In Gottes Namen«! Zur Nachtzeit ließ man das Ganze in Ruhe arbeiten. Am nächsten Morgen wurde in diese Masse das entsprechende Mehl gegeben. Mit der Kraft ihrer Hände knetete nun die Hausfrau den Teig, bis sie ihn zu einem Laib Brot formen konnte. Damit füllte sie die Brotkörbchen zu 2/3 an. Diese Brotkörbchen waren aus Stroh geflochten. Vor dem Einfüllen streute sie etwas Mehl in die Körbchen, um ein Ankleben des Teigs zu verhindern. Langsam ging nun der Teig in den Körbchen auf und füllte sie mehr und mehr. Während der ganzen Zeit achtete jeder peinlich darauf, daß der Raum immer angewärmt blieb und vermied jeglichen Durchzug. Ohne diese Vorsicht ging der Teig nicht auf.

Im Backes hatte man inzwischen alle Vorbereitungen getroffen. Mit Schanzen von Reisig aus eigenen Wäldern wurde der Ofen geheizt. Erst wenn die Steine im Innern ganz weiß waren, war auch die notwendige Hitze zum Backen erreicht. Nun wurden die glühenden Holzkohlen mit einem Kratzer, dem sog. »Kissel«, herausgezogen; danach der Ofen recht säuberlich gereinigt. Dazu befestigte man am Ende einer langen Stange einen naßen Strohwisch und wusch damit den Ofenboden; ob der Hitze mußte er immer wieder ins kalte Wasser getaucht werden. Nun prüfte man, ob im Ofen die richtige Hitze zum Brotbacken gegeben sei. Dazu gab es ein einfaches Mittel: in die Ritze eines Stockes klemmte man einen Strohhalm und hielt ihn in den Ofen; verbrannte er, dann war es zu heiß; war er nur angesengt, dann hatte man die richtige Temperatur. Damit waren die Vorbereitungen am Ofen abgeschlossen.

Das gewirkte Brot wird auf einem langen Brett zum Backhaus gebracht.

Sobald nun vom Backes die Meldung ins Haus kam, alles sei fertig, wurden die mit dem Teig gefüllten Strohkörbchen auf ein langes Brett, den sog. »Dill«, gesetzt und zum Backes hinübergetragen. Nun griff man nach der »Schieß« (eine runde Holzscheibe mit einem langen Stab). Auf diese Scheibe stülpte man den Inhalt der Körbchen, bestrich diesen Brotteig mit lauwarmen Wasser und »schoß« dann einen nach dem anderen in den heißen Ofen. Jeder Platz wurde gut ausgefüllt. Dies regulierte man mit der Schieß. Zuvor hatte man noch 3 bis 4 Querschnitte in jeden Brotteig gedrückt; so konnte die Feuchtigkeit leichter ausziehen. Auf das letzte Brot zeichnete man deutlich ein Kreuz; so wurde es zum sog. »Kreuzbrot«. Dieses Kreuzbrot wurde als letztes verzehrt. Nun wußte jeder im Haus: es ist wieder Zeit zum Backen.

Nach etwa 1/2 Stunden Backzeit wurden die Brote herausgenommen. Dabei wurden die Brote einzeln an der Ofentür mit lauwarmem Wasser überstrichen und sofort wieder für eine kurze Zeit in den Ofen zurückgeschoben. Dieser Vorgang sollte dem Brot den bekannten »Krustenkranz« bringen. Waren Brote draußen, dann wurden sie wie eine kostbare Ernte auf dem langen Dill heimgebracht. Die Arbeit im Haus oblag den Frauen; wogegen die Männer für alle Aufgaben im Backes zuständig waren, vor allem für die richtige Hitze des Ofens.

Was wurde nun alles gebacken?

Zunächst war es das echte Bauernbrot aus Roggen. Jeder hatte ihn auf eigenem Grund und Boden geerntet. Je nach Größe der Familie wurden ca. 10 bis 12 Brote zusammen gebacken. (Ein Zentner Roggen ergab etwa 17 Brote zu je 4 Pfund).

An Festtagen gab es: Kuchen, Hefekuchen, Obst- und Streuselkuchen. An Weihnachten kamen dazu die Plätzchen in verschiedener Art. An Neujahr gab es den sog. »Neujahrskranz«. Diesen hatte der Pate an Neujahr seinem Patenkind zu schenken. Nach dem Backvorgang wurde die Hitze im Ofen oft noch ausgenützt zum Trocknen von Obst auf dem »Darren«, ein Lattenrost. Waren es Birnen, so backte man den in der Eifel so berühmten »Birrenbunnes«.

Das Gemeinde-Backhaus diente im Laufe der Zeit desweilen auch zur Unterkunft der »Tippelbrüder«; hier fanden sie Schutz vor Nässe und vor allem die notwendige Wärme in einer kalten Nacht. An den Tagen der Kirmes war im Bak-kes auch zuweilen ein Verkaufsstand für Süßigkeiten, Spielzeug und was Kinder begehrten.

Lange Zeit blieb der Ofen im Backes kalt. Seit vielen Jahren wurde er nicht mehr benutzt. Die Familien können heute ihre Brote an der Haustür beim »fahrenden« Bäcker mühelos kaufen. Doch die Zahl der Dörfer, in denen das Backhaus wieder restauriert und in Betrieb genommen wurde, hat sich im jüngsten Jahrzehnt erheblich vermehrt. Der Brauch des »Backfestes« an freundlichen Sommertagen gehört wieder zum dörflichen Gemeinschaftsleben als sinnvoller Brückenschlag zwischen den Generationen.