Muß Laienspiel im Dorf bleiben?

Traditionspflege der Theatergruppe Neunkirchen Gedanken zur Entfaltung des Laienspiels

Nico Sastges, Daun

 

Über Laienspiel wird viel geschrieben; von seinem Bildungswert und der Freude, gelegentlich in eines Anderen »Ich« zu schlüpfen. Dieses andere Gesicht und den anderen Typ Mensch auf der Bühne vors Volk zu bringen, ob als verstockter Taugenichts, als feingeistiger Poet oder als Komiker, das ist Theater, egal wo.

Es ist eine Weile her, als mir auf der Dorfbühne daheim »da Rädderpaat, dän ahlen Hehn und Paulze Filipp« begegneten. Sie waren in den zwanziger Jahren mit ihren ellenlangen Voll-bärten unverkennbar Urbilder dorfeigener Stammväter. »Ferwesch Pitt«, in der Zunft der eifeler Leinenfärber tätig, und »Schoster Han-ni«, der am »Pinnefoß« für arbeitsfähiges Schuhwerk zuständig war, hielten auf bartfreie Brust, weil sie unter der Weste ihre abgrundtiefen Baßtöne im Kirchenchor hervorholten. Bevor das Christkind sich anmeldete, steckten sie alle die Köpfe zusammen, dann fühlten sie sich verpflichtet, auf die Bühne zu treten. Der Lehrer und Organist scharte seine mimisch begabten und im sprachlichen Ausdruck geschulten Sänger um sich, nahm einige beherzte Frauen, Schülerinnen und Knaben hinzu, studierte Theaterrollen ein, probte und ochste, wie man sagt, bis endlich das hellklingende Glöckchen an »Stäfesdaach« den Vorhang lüftete und die spannende Atmosphäre im vollgepfropften Saal sich in besinnliche Stimmung verwandelte. Und wenn dem Familiendrama um den ruchlos umherstreunenden Wilderer, Blitz und Donner von Glitzerkerzen und Wellblech abgerufen, die versöhnende Heimkehr folgte, dann bildete das Theatererlebnis noch lange ausgiebigen Gesprächsstoff, bis die Frühjahrssonne das harte Eis vor der Haustür wegleckte.

Damals wurden in Neunkirchen Grundsteine für dörfliches Laienspiel gelegt. Dann folgten den dreißiger Jahren fast zwei Jahrzehnte, in denen das Spiel auf der Dorfbühne verpönt war, wie überall in Großdeutschland, wo in Stadt und Dorf unisono gesungen und monoton marschiert wurde. Als die freie Entfaltung für menschliches Zusammenleben zurückkehrte, reparierten jüngere Wiederaufbauer auch die alte, zerfetzte Bühneneinrichtung. In der Freiwilligen Feuerwehr wuchsen junge Akteure einer Laienspielgruppe heran, ab 1958 verstärkt durch den Musikverein. So blieb man unter dem Dach der Feuerwehr beisammen und pflegt bis heute bewährte Eigenständigkeit in Gemeinschaft.

Etliche Jahre vergingen, ehe die herkömmliche Laienspiel-Literatur von rührseligen zu realistischen Schauspielthemen fand. Das gab den Akteuren neuen Auftrieb; so zum Beispiel die Aufführung des Stückes »Der Kantor von Hochkirch« (Otto Teich-Verlag, Hamburg), das Ende 1985 einen neuen Stil in der Darstellung von »Lebensbildern« erkennen ließ. Ein heiterer Faden durchzieht die ernste Handlung wie »im richtigen Leben«. Das gab dem Spiel eine beschwingte Note und fesselte die Zuschauer, recht dazu geeignet, auch den Reigen der alljährlichen Aufführungen für die Behinderten der Westeifelwerkstätten Gerolstein fortzusetzen. Das ist ein lobenswertes und mühevolles Engagement der Theatergruppe, das den Bemühungen um Integration behinderter Mitbürger in das gesellschaftliche Leben in hervorragender Weise zu Hilfe kommt.

In Sonderheit machte das Lustspiel »Mein emanzipierter Mann« von Dieter Adam (Teich-Verlag, Darmstadt) deutlich, welche burlesken Talente für Komödien im Dorf zu finden sind. Selbst Glanzstücke der ab und zu in Daun gastierenden Ensembles rheinischer Bühnen bis zum Millowitsch-Theater können kaum höhere Phonstärken an Lachsalven hervorzaubern. Damit verbindet sich im Bereich der Stadt

Das Ensemble der Aufführung »Der Kantor von Hochkirch« der 'Theatergruppe Neunkirchen, das unter Spielleitung von Alois Scholtes und Fritz Mein einstudiert wurde. Die Laienspielschar ist eine selbständige Gruppe der Feuerwehr und des Musikvereins, die unter dem gemeinsamen Vorsitz von Alfred Müller zusammenarbeiten.

Daun die Frage, woran es liegt, daß die heimische Laienspielkunst an die dörfliche Bühne gebunden bleibt und keinen Platz im Kurprogramm findet? Was beim musikalischen Unterhaltungsprogramm während der Saison selbstverständlich geworden ist, dürfte wohl auch auf dem Sektor des Theaters realisierbar sein. Theatergastspiele haben ihren Preis - und die finanziellen Hilfen gezielt der Förderung einheimischer Laienspielgruppen zugewandt, wäre sicher keine Fehlinvestition, zumal mit den Theatergruppen Rengen, Neunkirchen und der Gymnasien heute wesentlich geschultere Kräfte zur Verfügung stehen als dies im musikalischen Bereich zum Beginn der Kurkonzerte in den sechziger Jahren der Fall war. Das sollte zu denken geben.

Ob der »Wurzlsepp« oder »Hubermeiers Schätzchen« aus Bayern importiert werden oder diese urwüchsig wie Zwillinge im Eifelgebirge aufgewachsen sind, das bleibt auf der Bühne heute kaum mehr auszumachen. Im Gegenteil, ausgesuchte Stücke könnten »eiflerisch gespielt« fremden Gästen vielleicht das vermitteln, was Gäste aus nördlichen Regionen im Urlaub in südlichen Gefilden an »bayerisch« schätzen: landesverbundene Urwüchsigkeit. Es hat lange gedauert bis die Eifeler Laienor-chester zu zeitgemäßer Musikalität heranreiften. Die dörflichen Theatergruppen der Fremdenregion Vulkaneifel stehen diesen, auf die Laienspielkunst bezogen, heute nicht nach. Es bedarf daher des Anstoßes und auch des Experiments, ihnen neue Wirkungsmöglichkeiten zu erschließen. Zumindest ließen sich Kur-Unterhaltungsprogramme mit dem Repertoire einheimischer Laienspielgruppen wirkungsvoll auflockern - vielleicht sogar zugkräftig und publikumswirksam.

Für einen Fotoblitz — so scheint es — ruht die ansonsten äußerst bewegte Handlung der brandaktuellen Komödie »Mein emanzipierter Mann«. Fotos: Rudolf Müller