Die Heinzelmännchen von Steffeln

Einem kulturhistorischen Kleinod droht Ruin

Christa Feltgen, Steffeln

 

Unter viel Durchgangsverkehr hat Steffeln nicht zu leiden, man muß nicht unbedingt dort durchfahren, wenn man im Kreisgebiet von einer Stadt zur anderen gelangen will. Vielleicht zieht der Ort gerade deshalb Menschen an, die Ruhe in der schönen Natur suchen.

So sieht man oft Spaziergänger an der großen Freitreppe zur Kirche stehen, die sich an dem schönen Bild erfreuen, das sich ihnen dort bietet. Auf einem größeren Felsvorsprung aus Palagonittuff, der sich zur Zeit des Vulkanismus in der Eifel gebildet hat, und der Steffeln seinen Namen gegeben hat - stapulo, stapul, stappel = Stufe, Terrasse - erhebt sich das schneeweiße Gotteshaus. Im frühen Sommer ist der Felsen von Kaskaden von Blüten übersät. Im Winter nehmen glitzernde Ketten von Eiszapfen ihre Stelle ein. Die Kirche steht dort oben gerade hoch genug, daß man sie von jedem Winkel des Ortes aus erblicken kann.

Ein paar Schritte weiter steht das wuchtige Pfarrhaus, schon nicht mehr ganz so hoch auf den Fels hinaufgebaut wie die Kirche und fast ein wenig zu groß und streng für die freundliche Umgebung. Nur die bunte Uhr auf der Ostseite lockert das Bild etwas auf.

»Die Burg« sagen die älteren Bewohner von Steffeln zu dem hinteren Teil dieses Gebäudes, und ein gotisches Fenster aus rotem Sandstein und ein gotischer Kamin im Inneren weisen darauf hin, daß es sich um ein Gebäude aus alten Zeiten handeln muß, aus Zeiten, wo hier noch die Steffelner Burg stand, zu der dieses Haus einmal gehört haben soll.

1222 wird Steffeln erstmals im Güterverzeichnis der Abtei Prüm erwähnt und auch da soll schon auf dem Felsvorsprung eine Burg gestanden haben. Das muß nicht unbedingt die gewesen sein, zu der das alte Pfarrhaus einmal gehört hat und man darf wahrscheinlich auch bei dem Wort »Burg« nicht an so etwas wie die Kasselburg denken. Es wird mehr ein größerer Gutshof gewesen sein, Unterkunft der jeweiligen Besitzer oder Landesherren, wenn sie zur Jagd unterwegs waren.

Nach den alten Unterlagen oblag es ja auch zeitweise den Steffelner Pfarrern, die Jäger und deren Hunde zu verpflegen und auch sonst alle notwendige Hilfe zu leisten, wenn eine Jagd dort angesetzt war. Man kann sich vorstellen, daß die jeweiligen Pfarrherren von der Aufgabe nicht gerade erbaut waren, mußten sie doch wahrscheinlich gut rechnen können, wenn sie mit ihren Einkünften auskommen wollten.

Da blieb sicher kaum etwas übrig, um das Pfarrhaus ein wenig in Ordnung zu halten und so sind die Bemerkungen, die man in alten Unterlagen über dieses Gebäude findet, eine Kette von Klagen über schlechten Bauzustand und das viele Geld, das dafür aufgebracht werden mußte. 1556 wird eine Verhandlung wegen Reparatur des Pfarrhauses erwähnt. 1713 heißt es, das Haus sei sehr defekt, nur das Dach sei in gutem Zustand. Das Dach mußte der jeweilige Seelsorger auch selbst in Stand halten.

1716 wieder Klagen über den schlechten Zustand, 1737 wird das Haus teilweise repariert und vergrößert, denn der Pfarrer mußte auch die Schule dort abhalten. 1744 heißt es, der Pfarrer könne noch nicht einmal einen Gast aufnehmen. 1753 schreibt man, das Pfarrhaus müsse neu gebaut werden. Ob wirklich damals ein größerer Umbau stattgefunden hat, ist nicht ganz klar. 1825 wurden 800 Taler für eine Reparatur ausgegeben, der Pfarrer mußte längere Zeit im Schulhaus wohnen. Möglicherweise ist da erst der jetzige vordere Teil an das alte hintere Haus angebaut worden.

Die Aufnahme zeigt das Pfarrhaus von Steffeln, in dem sich das Heinzelmännchen- und das St. Hildegardis-Zimmer befinden

Das Pfarrhaus scheint das Sorgenkind der Gemeinde zu bleiben. Auch heute ist es außen und innen in einem Zustand, der eine Renovierung dringend erforderlich macht. Der Außenverputz bröckelt ab, innen sind die Fenster nicht dicht und im obersten Geschoß gibt der Fußboden Gelegenheit, ohne Treppe in das Stockwerk darunter zu gelangen, wenn man nicht vorsichtig ist. Das Haus wird im Augenblick wegen des schlechten Zustandes nicht bewohnt. Die Gemeinde hat auch keinen eigenen Pfarrer und teilt sich mit Lissendorf einen Seelsorger.

Für einen kleinen Ort ist die Instandsetzung eines so großen Hauses eine fast unlösbare Aufgabe. Dabei hat dieses Haus Geheimnisse, die schon ein Grund wären, daß es erhalten bleibt.

Geht man über die holzverkleidete Außentreppe im alten Teil, so gelangt man in der 1. Etage in einen gut hergerichteten Saal, der von der Gemeinde noch zu Sitzungen benutzt wird. In diesem Raum stehen zwei wunderschöne alte Schränke, der eine, der ziemlich schlicht gehalten ist, trägt die Jahreszahl 1799, der andere ist reich mit Schnitzereien verziert. Zur Zeit als Friedrich Wilhelm Bartholome Pfarrer in Steffeln war, 1911 bis 1940, war dieser Raum noch unterteilt. Der Pfarrer war nebenbei noch Naturheilkundiger und hatte hier seine Warte- und Untersuchungsräume. Möglicherweise hat auch die Inschrift an der Treppenwand mit diesem anderen Beruf des Seelsorgers zu tun:

Nahrung, Atmen, Bewegung -

Belehrung, Gebet, gute Werke, j

ene drei halten das Blut -

diese die Seele dir warm.

Dieser Pfarrer Bartholome hatte einen Kollegen in der Gemeinde Eschfeld, der längere Zeit in Steffeln geweilt haben muß, denn er hat seinem Amtsbruder das Zimmer, welches hinter diesem heutigen Sitzungssaal liegt, ganz ausgemalt.

Die Wände des sogenannten »Hildegardis-Zimmer«, nach einem größeren Bild der Heiligen, Schutzpatronin der Kranken, rechts über einer Tür, sind mit Ranken von Weinlaub bemalt, in die der Maler immer wieder kreisrunde Bilder gefügt hat. Acht mal Bilder der Jahreszeiten, vier symbolhafte Zeichnungen, die vielleicht etwas mit Luft, Wasser, Erde und Feuer zu tun haben. Dazwischen finden sich Sprüche: »Lobet den Herrn« und »Dank sei Gott«. St. Hildegardis ist von dem Spruch eingerahmt: »S. Hildegardis ora pro nobis«, und neben der Tür unter ihrem Bild findet sich ein in lateinischer Sprache abgefaßter Hinweis, eine Widmung, sinngemäß etwa so zu verstehen: »Gemacht von Christian März, Pfarrer in Eschfeld, vom 13.12.1921 bis 13.1.1922, zu Ehren des himmlischen Königs, wegen?, für Friedrich Wilhelm Bartholome, Pfarrer und Arzt in Steffeln.«

Unter der Decke des Raumes läuft ein Band von Phantasiewappen, archetypische Symbole, die an Traumbücher erinnern, und jeweils darin Buchstaben, die wiederum den Namen des Steffelner Pfarrers ergeben. Ein Psychiater hätte an der Deutung dieser Malereien sicher seine helle Freude.

Tafelrunde neben der Zimmertür

Fotos: Hans Feltgen, Staffeln

Dieser Pfarrer Esch muß auch die Kirchen in Eschfeld und Wawern ausgemalt haben. Er soll durch einen Unfall zu Tode gekommen sein. Vielleicht war er zur Behandlung bei dem Steffelner Amtsbruder und hat aus Dankbarkeit das Zimmer ausgemalt, aus dem Bedürfnis heraus, sich während der Zeit zu beschäftigen. Oder Bartholome hat ihn kommen lassen, weil er sich von den Malereien Einfluß auf seine Patienten versprach.

Alles in dem Raum deutet aber darauf hin, daß der Pfarrer und Maler damit aussagen wollte: was uns auch in der Natur begegnet, Gutes und weniger Gutes, die Menschen sollen nicht vergessen, daß dies alles aus Gottes liebevollen Vaterhänden gekommen ist.

Leider ist der Verputz der Wände gerade in diesem Zimmer in einem so schlechten Zu- stand, daß die Malereien auf das höchste gefährdet sind. Hier müßte unbedingt Abhilfe geschaffen werden. Aber das wäre eine sehr aufwendige Arbeit und wer mag entscheiden, ob die Bilder es wert sind, erhalten zu werden. Nicht immer gehen die Ansichten von Denkmalschützern und den Menschen, die sich von der Gleichnishaftigkeit der Werke beeindrukken lassen, in eine Richtung.

Da ist das zweite Zimmer, das dieser Seelsorger ausgestaltet hat, in einer besseren Verfassung.

Im Stockwerk unter dem Hildegardis-Zimmer wird man an der Tür zu einem größeren Raum von einem dort aufgemalten, artigen Heinzelmännchen begrüßt. Und dann wird man per Bild in das dörfliche Leben eingeführt, und die gemalten Dorfbewohner an den Wänden sind ebenfalls - Heinzelmännchen. Man sieht die Gnomen bei der Arbeit und beim Vergnügen. Hier sind sie beim Apfelpflücken,dort wird Erntegut in einem Wagen nach Hause gebracht, der von zwei Hasen gezogen wird. Es wird gekocht, gewaschen, Kartoffeln geschält und Wein geprüft. Der Arzt untersucht einen Kranken, während ein anderer Zwerg die Medizin in einen Löffel gießt. Wie im wirklichen Leben sitzt ein Alter im Lehnstuhl und beobachtet das Dorfleben durch die blühenden Blumenstöcke auf der Fensterbank. Ein anderer geht mit dem Rosenkranz in der Hand zur Kirche hinauf, die genau wie in Steffeln auf einem Berg liegt.

Wieder andere Heinzelmännchen bringen Vorräte in Keller und Speicher und hier zeigt der Maler-Pfarrer Humor und Phantasie, indem er die Gegebenheiten des Raumes in seine Zeichnungen einbezieht: so wird der Zwerg, der die Leiter hinaufsteigt, die auf die Wand gemalt ist, mit seinem Getreidesack in einer Luke verschwinden, die auf die Decke gemalt wurde.

Und es geht fröhlich weiter, in einer Ecke wird gekegelt, daneben wird Karten gespielt, ein »König« tafelt mit seinen Freunden, während im Hintergrund der Mond durch das Geäst eines kahlen Baumes schaut und ein seltsames, fuchsähnliches Geschöpf die Gesellschaft von einem Felsvorsprung aus beobachtet. Rechts davon probt der Musikverein. Ein verspäteter Musikant kommt noch schnell mit den Noten zum Zapfenstreich die Treppe herab und oben auf einer Verbindungsbrücke zwischen zwei Felsen lauschen zwei Wichtel andächtig.

Man kann sich fast nich: sattsehen an den liebevoll ausgestatteten Szenen. Mag sein, daß der Maler lebende Modelle für seine Bilder hatte, aber das ist längst schon nicht mehr festzustellen.

Die Aufnahme zeigt eine Teilansicht des St. Hildegardis-Zimmers

Seltsamerweise ist nur eine Hälfte des Raumes bemalt; entweder hat der Pfarrer für weitere Bilder keine Zeit mehr gefunden oder es ist einmal zu gründlich renoviert worden. Auch hier kann man nur Vermutungen anstellen. Diese freundlichen Malereien haben so gar nichts mit der Ernsthaftigkeit der Bilder in dem darüber liegenden Hildegardis-Zimmer zu tun. Unten geht es zu wie im Märchen, oben ist alles darauf ausgerichtet, die Menschen an Gott und den Glauben zu erinnern. Ganz offensichtlich war dieser Pfarrer März ein ernsthaft gläubiger Diener Gottes, der aber genug Humor besaß, die kleinen Schwächen der Menschen nicht überzubewerten.

Von all dem ahnt der Spaziergänger natürlich nichts, der vielleicht ein wenig die Nase rümpft, weil das Pfarrhaus einen solch verlassenen Eindruck macht. Wer aber einmal durch das Haus gehen und sich im Geist in vergangene Zeiten versetzen konnte, begreift, daß diese Kostbarkeiten, die da im Verborgenen schlummern, nicht sang- und klanglos wieder verschwinden dürfen.

Literatur:

Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz - Kreis Prüm - Ernst Wackenroder. Ausgabe durch die Akademische Buchhandlung Interbook, Trier 1983.

Geschichte der Pfarreien der Erzdiözese Köln - Geschichte der Pfarreien des Dekanates Blankenheim - von Johannes Becker, Pfarrer in Hallschlag bei Stadtkyll. Kommissionsverlag und Druck J. P. Bachern, Köln 1893.

Geschichte der zum ehemaligen Kölnischen Eifeldekanat gehörenden Pfarreien, der Dekanate Adenau, Daun, Gerolstein, Hillesheim und Kelberg, herausgegeben von Prof. Dr. Matthias Schuler, Trier. Kommissionsverlag des Bistums Trier, Ausgabe Trier 1956.