Ein umstrittenes Festessen

Stadtverwaltung Gerolstein contra Finanzamt - 1866

August Meyer, Daun

 

Als diese Geschichte sich ereignete, bestand das Finanzamt in der Hauptsache aus einem Mann, dem »Steuereinnehmer«. An festliegenden Terminen saß er an bestimmten Orten und nahm die Abgaben der steuerpflichtigen Einwohner entgegen. Ein Teil dieser Gelder gehörte ihm als »Gehalt«. Mit seinem in Kaution gestellten Vermögen haftete er für die ihm anvertrauten Gelder. Am »Konkurs« des Herrn Thewes, der viele eingenommenen Gelder nicht mehr verfügbar hatte, litten noch etliche Gemeinden des Gerolsteiner und Dauner Landes.

Der Einnehmer hatte auch die laufenden Ausgaben zu tätigen, die regelmäßigen, wie die Besoldung der Lehrer und der Pfarrer, und auch die unregelmäßigen. Für Letztere wurden ihm Rechnungen und Anweisungen von den Gemeinden übergeben. Er beglich dieselben -wenn sie den Vorschriften entsprachen. Bestimmte Ausgaben bedurften der Genehmigung der vorgesetzten Behörde. Vor allem aber mußte aus der Rechnung klar hervorgehen, was alles geleistet worden war, das zu bezahlen aufgetragen wurde.

Und damit beginnt die Geschichte, die nun die Originalunterlagen aus dem Kreisarchiv in Daun erzählen sollen. Sie ließe sich auch zusammenfassen, doch möchte ich ihre deutliche Sprache zu Wort kommen lassen, die heute noch spüren läßt, wie selbstbewußt und kämpferisch, wie überzeugt von sich und von einer zukünftigen Entwicklung Gerolsteins die damaligen Stadtväter und der Amtsbürgermeister Klein alle anstehenden Probleme angingen.

»Gerolstein, den 17. Januar 1866, Nr. 12. Die Kosten eines Festessens am 29. v. M. zum Belast der Gemeindekasse Gerolstein betreffend.

Die beigeschlossene Anweisung über 44 Rt 10 Sgr Kosten eines am 29. v. M. durch den hiesigen Gemeinderat veranstalteten Festessens, gelegentlich der ersten periodischen Friedensgerichts-Sitzung, habe ich im Interesse der mir anvertrauten Gemeinde-Kasse vorerst nicht honorieren zu dürfen geglaubt, weil 1. die Rechnung nicht spezifiziert, sondern der Kostenbetrag in Bausch und Bogen normiert ist; 2. nicht anzunehmen ist, daß die anwesenden Ehrengäste, nämlich die Herren: Schneider, Friedensrichter, Klerings, Gerichtsschreiber, Himpler, Gerichtsvollzieher, Hillesheim, von Witzleben, Kgl. Obförster, Müller, Kommunal-Oberförster, Daun, für 44 Rt 10 Sgr gegessen und getrunken haben, und 3. der Anweisung die Genehmigung des Kgl. Landratsamtes abgeht, die nach § 90 der Kommunalordnung erforderlich erscheint, da für den fraglichen Gegenstand ein besonderer Kredit nicht vorgesehen; der in Anspruch genommene Kredit sub Tit V 8 - richtig V7 - auch nur 20 Rt beträgt und bereits überschritten. Indem Kgl. Landratsamt ich um geneigte Entscheidung in vorliegender Angelegenheit bitte, bemerke ich gehorsamst, wie ich den Präsententen der Anweisung auf die fehlende Autorisation aufmerksam gemacht und dies den Grund zu der in dem beigefügten Schreiben des Bürgermeister Amtes vom 15. d. M. gestellten Anfrage abgegeben hat.

Der Einnehmer Moog« (Randbemerkung:)

»Br. m. s. v Herrn Bürgermeister Klein zu Gerolstein zur Äußerung. Ich bemerke schon jetzt, daß allerdings spezifizierte Rechnung unbedingt notwendig ist.

Daun, 18. Jan. 1866

Der Kgl. Landrat Foerster«

»Der Bürgermeister Klein

An das Königl. Landrats-Amt zu Daun

Br. m. nebst 2 Anlagen dem Kgl. Landratsamt in Daun mit folgendem Berichte gehorsamst zu remittieren«.

Bericht:

Vor beiläufig 40 Jahren befanden sich hierselbst, das Friedensgericht und die dabei beteiligten Beamten, als: Friedensrichter - Gerichtsschreiber - Gerichtsvollzieher - Notar -pp und wurde dasselbe nur aus dem Grunde von hier verlegt, weil der damalige Gemeinderat eine geringfügige Forderung zum Zwecke der Vergrößerung des Gerichtslokals mit dem Bemerken ablehnte: »die Gemeinde habe nur Nachteile am Friedensgerichte, nämlich unentgeltliche Suppenesser«.!

Nachdem nun die Verlegung des Gerichts nach Hillesheim, resp. der Verzug der sämtlichen Beamten dorthin stattgefunden hatte, gewahrte man sehr bald die damit für hiesigen Ort verbundenen Nachteile sowohl in pekuniärer wie in sozialer Beziehung. Mein Vorgänger Schreiber selig bemühte sich denn auch während der ganzen Dauer seiner Verwaltungsperiode, nämlich 20 Jahre lang, und zwar anfänglich um Rückverlegung des Friedensgerichts hierher, nachgehends um Erlangung periodischer Gerichtssitzungen; aber alles war ohne Erfolg.

Mit demselben Eifer setzte ich bei meinem Amtsantritt in 1850 dieses letztere Projekt fort, und hatte dann endlich, im verflossenen Jahr erst, das Glück, zu reüssieren, nachdem hohe Regierungsbeamte und der Herr Ober procurator in Anerkennung des Bedürfnisses näheren Gerichtsortes für die Gemeinden Neroth, Salm und Wallenborn, gewonnen worden waren.

Die hierüber gepflogenen Verhandlungen und die Tages-Gespräche in Hillesheim und hierselbst hatten nach und nach den Charakter eines Kampfes eingenommen, in welchem nicht nur der Gemeinderat sondern die ganze hiesige Bevölkerung - mit Ausnahme eines Paar Personen - meine Mitkämpen waren.

Es galt die Wiedererkämpfung früher verlorengegangener Gerechtsame! Der Erfolg war also ein Sieg, und nichts war selbstverständlicher als der hierüber allgemein empfundenen Freude durch Siegesfeier Ausdruck zu geben.

Für hiesigen Ort wird die gedachte Errungenschaft als der Grundstein zur weiteren Fortentwicklung zur »Eifel-Hauptstadt« angesehen, indem zunächst bei der projektierten Eifel-Eisenbahn ein Bahnhof II Klasse hierher bestimmt worden ist, nach welchem die Einmündung oder Kreuzung der belgisch-binger Bahn sich richten dürfte. Daß alsdann Im- und Export-Niederlassungen, Fabriken aller Art pp in unmittelbarer Nähe emporblühen werden und dadurch das vorschwebende Ideal sich einst verwirklichen wird, ist außer Zweifel.

Wenn unter diesen überschwenglichen Gefühlen der hiesige Gemeinderat den Entschluß eines Festessens faßte und zu diesem die Freunde und Gönner hiesiger Gemeinde als Ehrengäste einlud, so verfolgte er nur einen zu lobenden Zweck in zweifacher Beziehung, nämlich einesteils um dadurch die von der früheren Gemeindeverwaltung in spießbürgerlicher Kurzsichtigkeit und tadelbarem Eigennutze veranlaßte Scharte auszuwetzen und andernteils schickliche Dankbarkeit zu bezeugen. Von diesem Taktgefühle ausgehend bezeichnete der Gemeinderat als Ehrengäste die Herren:

Regierungspräsident von Schleinitz,

Ober-Procurator von Holleben,

Landrat, Reg. -Assessor Förster,

Kgl. Obförster von Witzleben,

Kommunal-Oberförster Müller

Friedensrichter Schneider,

Gerichtsschreiber Klerings,

Gerichtsvollzieher Himpler,

Notar Block

sowie den unterzeichneten Bürgermeister in Eigenschaft als Polizeianwalt, mithin 10 Personen.

In der Befürchtung, daß bei jetziger Saison mehrere Gäste ausbleiben dürften, ließ der Gastgeber von Landenberg seitens des Festkomites die Zusicherung sich geben, daß ungeachtet etwaigen Ausbleibens der Eingeladenen, jene 10 Couverts ihm vergütet werden müßten, was mit Rücksicht darauf, daß die Vorbereitung eines Festessens, wie es dem Zwecke und den eingeladenen Persönlichkeiten entsprechend, für den Gastwirt mit nicht unbedeutenden Auslagen verknüpft war, nur billig erscheinen konnte, daher auch zugesagt worden war.

Von den 10 Eingeladenen waren allerdings nur 7 erschienen; dahingegen gebot der Anstand, daß Mitglieder des Gemeinderates den Gästen gegenüber die Tisch-Honneurs zu besorgen hatten, wozu die beiden Mitglieder des Fest-Comites Jakob und Karl Eis bestimmt wurden. Und waren ferner vom Fest-Comite am selben Morgen die zufällig hier anwesenden Friedrich von Landenberg aus Dreis und Commissionär Richling aus Hillesheim eingeladen worden. Um nun hiernach zu beurteilen, für wieviel Geld die Ehrengäste gegessen und getrunken haben; oder vielmehr zu beurteilen, daß die Ehrengäste für 44 RT 10 Sgr gegessen und getrunken haben, weiß ich wahrlich nicht, wie ein Maßstab dazu angelegt werden soll, wenn man überhaupt die Redlichkeit eines Gastwirtes von Landenberg, des Kaufmanns und Schöffen J. Eis und des Kaufmanns Karl Eis, kurz:

wenn man die Redlichkeit des vom Gemeinderat gewählten Fest-Comites in Zweifel zu ziehen geneigt ist; denn dieses Comite hat die Speisen und Getränke kontrolliert und die Rechnung des Wirtes zusammengestellt und festgesetzt, wie die Anlagen bezeugen.

Der Gemeinderat und das Festcomite rechnen sich und der Gemeinde es gerade zur Ehre an, daß eben die Ehrengäste dazu disponiert waren unserer heiteren Gesellschaft bis am späten Abende beizuwohnen und an unseren Speisen und Weinen Geschmack zu finden, wie sie denn auch durch diese Bekunden und durch gewählte Toaste und Reden unserem Fest die rechte Würze gaben. Der Gemeinderat bedauert nur, daß nicht alle Eingeladenen erschienen, also daß nicht noch mehr Kosten ergingen; während der Einnehmer zu bedauern scheint, daß überhaupt dieses Fest veranstaltet worden ist.

Wer mag nun eigentlich Recht haben!?

Die Qualität dazu, dieses Recht in Anspruch zu nehmen, hat wenigstens der Gemeinde-Einnehmer nicht, wie er denn auch in dieser Beziehung nicht die mindeste Verantwortung hat. Die kassenmäßige Behandlung dieses Gegenstandes betreffend, so erlaube ich mir dahin meine beschränkte Ansicht auszusprechen, wie diese Ausgabe als eine Ehrenausgabe zu betrachten ist, deren in der Gemeindeordnung nicht vorgesehen sind.

Ich hielte es nicht taktgemäß, eine spezifizierte Rechnung über dasjenige, was die Ehrengäste verzehrt haben, den Kassenbelägen beizufügen, um seiner Zeit bei Offenlegen der Rechnungsbeläge »Jedermanns Einsicht« - also dem ganzen Bürgermeistereibezirke von Ge-rolstein - nicht zu unterbreiten, weshalb ich in Gegenwart des Fest-Comites die spezifizierte Rechnung des Gastgebers kontrollierte und durch Letzteres festsetzen und bescheinigen ließ.

Von diesem Gesichtspunkte aus hielte ich es ebenmäßig für unpassend, dem Herrn Landrat, weil Selbst als Ehrengast eingeladen, die Verhandlung zur Genehmigung einzureichen. Bei allenfallsiger anderer Ansicht hochdessen, bitte ich nachträglich gehorsamst um geneigte Genehmigung.

Der Herr Landrat dürfte übrigens darin mit mir übereinstimmen, daß der Gemeinde-Einnehmer - wenn ihm auch hinsichtlich der Beurteilung über formelle Richtigkeit der Zahlungsanweisungen und deren Beläge gewisse Befugnisse zustehen dürften - keineswegs das Recht hat, die materielle Richtigkeit und Bestimmung der auf Grund rechtskräftiger Gemeinderatsbeschlüsse ausgefertigten Verhandlungen in Zweifel zu ziehen und Repressalien dagegen in Anwendung zu bringen. Auch dürfte höhere Behörde den von Einnehmer Moog beobachteten Geschäftsgang, nach welchem er meine Anfrage vom 15. d. M. an ihn, unbeantwortet läßt, und sogar mit Umgehung meiner, höherer Behörde beschwerend einreicht, unpassend finden. Bejahenden Falles bitte ich gehorsamst, geeignete Zurechtweisung geneigtest erfolgen zu lassen.

Gerolstein, den 20. Januar 1866 der Bürgermeister Klein

(In diesem Bericht befindet sich von der Hand des Landrats geschriebene Randbemerkung:) »Wenn ich auch mit Ihnen einverstanden bin, daß diese Angelegenheit ihrer Natur nach von einem besonderen Gesichtspunkte aus zu be-trachten, so wird sie doch im Allgemeinen der kassenmäßigen Behandlung nicht zu entziehen sein. In dieser Erwägung ersuche ich Sie, die Rechnung noch durch die Zahl der anwesend gewesenen Gäste, deren im Ganzen 9 gewesen zu sein scheinen, sowie Hindeutung auf das von dem Comite mit dem v. Landen-berg vorher getroffenen Abkommen ergänzen zu lassen und auch die spezifizierte Rechnung desselben, welche der Aufstellung zugrunde gelegt worden ist, zu meiner Einsicht beizufügen, damit ich die durch § 90 der G. O. ausdrücklich vorgeschriebene Genehmigung auf Grund des gefaßten Gemeinderatsbeschlusses erteilen kann«.

Daun den 23. Januar 1866 Der Landrat Förster (Am Ende des Berichts:) »An den Steuereinnehmer Moog in Gerolstein.

 In Veranlassung des Berichts vom 17. d. M. ist die Angelegenheit wegen der für das auf Beschluß des Gemeinderats dort stattgefundene Festessen erwachsenen Kosten von mir speziell geprüft worden. Ich veranlasse Sie hiermit, den Kostenbetrag, von dessen Spezifikation ich mich überzeugt habe, in der von dem H. Bürgermeister angeordneten Weise zu zahlen. Daß Sie übrigens dessen Requisation vom 15. nicht erwidert haben, ist der Sachlage nicht entsprechend. Würde es unter Mitteilung der gegen die Auszahlung Ihnen erwachsenen Bedenken geschehen sein, so würde von dort aus deren ordnungsgemäßige Behebung erfolgt sein. Die genehmigte Anweisung des Bürgermeisters nebst Gemeinderatsbeschluß liegt bei«.

(Damit war dem Wunsch des Bürgermeisters Genüge getan, die Kosten konnten gezahlt, die »Siegesfeier« rechtmäßig abgehakt werden).