Zwei nette Buben

Lotte Schabacker, Daun

 

Wir verlebten die Ferien mal wieder in unserem geliebten Tiroler Tal mit den warmherzigen und gastfreundlichen Menschen. Seit letztem Mal war hier im Ort ein neuer Gasthof gebaut und kurz vor unserem Eintreffen eröffnet worden, ein Riesending, von dessen Innenausstattung sich die Gäste in unserer Pension wahre Wunderdinge erzählten. Desgleichen von den Kochkünsten des Küchenmeisters, der aus Deutschland eingeführt worden war. Wir gingen also hin, um das Unternehmen zu begutachten.

Inhaber und Ober zugleich waren zwei Brüder, blendend aussehende, hochgewachsene und nobel befrackte junge Herren, an denen es nichts auszusetzen gab, außer, daß sie zwar-wie gesagt - Inhaber und Ober, aber irgendwie keine Menschen waren; jedenfalls nicht solche, wie sie hier sonst vorkamen. An ihren fahrbaren Operationstischen zerlegten sie auf Wunsch alles, was zerlegbar war, legten vor und legten nach, schenkten ein und reichten Feuer, stets von der richtigen Seite natürlich und im richtigen Moment, keine Sekunde zu früh oder zu spät. Sie übersahen alles, vergaßen nie etwas, fragten nie zweimal, sie waren überall, und sie waren nirgends mit einer auf die Nerven gehenden Unauffälligkeit. Auf Befragen, aber auch nur dann, sagten sie lückenlos und wertfrei die neuesten Weltnachrichten und Wetterprognosen her. Fragen der Gäste beantworteten sie korrekt, kurz, präzise und sehr höflich, aber kein bißchen nett; und machte ein Gast eine ulkige Bemerkung oder etwas, das ein Witz sein sollte, so ließen sie diplomatisch erkennen, daß sie das anerkennend zur Kenntnis nahmen, aber sie gestatteten sich kaum ein Lächeln, von Lachen ganz zu schweigen.

Sie hätten genauso gut Gesichter aus Kunststoff haben können! Alles in allem: sie zelebrierten eine Darbietung von überzüchteten Talenten und kunstvoll zubereiteten Lebensmitteln. Ihre Zurückhaltung war so penetrant und perfekt, daß einem der in der Tat gute Bissen im Halse stecken blieb. Und wir gedachten sehnsüchtig des netten Obers im alten Gasthof am Markt, der nun heute abend vergeblich auf uns wartete. Auch er war ein hübscher Bursche, aus dem Modejournal für Trachtenkleidung, auch er konnte kellnern, schenkte den Wein nicht mit den Füßen ein, steckte den Daumen nicht in die Suppe und schmiß nicht mit vollen Tabletts um sich.

Auch er war unterrichtet über die Zeitabläufe, wußte alles über Fußball und die jeweils neuesten Politiker, aber - und das war hier der Unterschied - er gab zu allem seinen Kommentar, völlig gratis, und über die Gästewitze lachte er lauthals, auch, wenn sie blöd waren; und er gab auch selbst welche zum besten.

Ehrlich bekümmert war er, wenn man seinen Teller nicht leer gegessen hatte, er wollte dann wissen, ob das Essen nicht geschmeckt hätte. Nun, auch in diesem Gasthof wurde gut gekocht. Man sei halt kein großer Esser, versicherte man, die Portionen seien auch gar so reichlich. Dann brachte er beim nächsten Mal gleich ein Stück Alu-Folie mit, in die man das übriggebliebene Stück Fleisch einpacken konnte. Für den Fall, man bekäme zu Hause wieder Hunger, meinte er. Ach ja, unser netter alter junger Ober...

Wieder in der Pension, benörgelten wir unserer Wirtin gegenüber die Unbehaglichkeit des neuen Etablissements. No jo, meinte sie in ihrem Tiroler Jargon, das seien an sich zwei nette »Buam« aus dem Tal hier, die hätten nur in Deutschland das Kellnern gelernt, der eine in Bonn, und der andere in Hamburg, jeweils in den besten Häusern am Platz. Sowas habe man hier schon öfter gehabt, die würden sich auch wieder einholen ...

Und das taten sie auch. Im nächsten Jahr schon war der deutsche Lack ab. Die beiden Perfektionisten hatten sich wieder zu ganz normalen und liebenswerten Tiroler Buben zurückentwickelt, zu denen wir nun gern essen gingen - zumal uns jetzt unser netter Alu-Ober abhanden gekommen war. Er sei zur Zeit in Deutschland, hieß es, er wolle noch dazulernen. Und nun können wir nur von ganzem Herzen hoffen, daß er unbelehrbar ist!