Michel und sein Ritt auf der »Nickel«

Zeitvertreib beim Kühehüten

Peter Koch, Katzwinkel

 

Beim Viehhüten in den Aspeln wurde eines Tages die Idee geboren, ein Wettreiten mit Kühen abzuhalten. Oben auf der Höhe am Wald sollte der Startplatz sein, unten am Bach bei den Erlen das Ziel. An diesem Nachmittag waren wir zu vier Kerlchen, darunter der rothaarige Michel, der zu jener Zeit in Katzwinkel bei einem Bauern als Kuhhütejunge füngierte. Michel war ein etwas rauher Knabe, aber sonst genau wie wir, für jeden Streich aufgeschlossen. Er war meist unser Anführer, so auch heute. Nachdem alles abgeklärt war, befahl Michel: »So, jeder holt eine von seinen Kühen als Reitpferd. Drei reiten, und der vierte muß antreiben!« Ich mußte antreiben, so hatte das Los entschieden. Jeder von den dreien fing eine Kuh ein, zog sie mit zur Höhe, und nun standen alle drei nebeneinander. Michel hatte seine alte »Stern« als Reittier erwählt. Die »Stern« war eine ältere Kuh mit mächtigen krummen Hörnern, ähnlich den Lenkstangen an Rennrädern. Wenn ich heute an diese Reitergruppe von damals zurückdenke, juckt mich noch das Zwerchfell. Wie der Michel oben auf der Kuh saß! Sein roter Haarschopf glich einem wildgewordenen Handfeger, seine Augen blikken aus dem mit Sommersprossen reich betupften Gesicht hinunter zu den Erlen. Die braunen Bubenhände hatten die krummen Kühhörner unten an der Spitze fest umklammert, und sein Körper war ganz nach vorne geneigt.

Mit der Peitsche wurden die Renntiere in Trab gesetzt. Zwei Reiter hatten einen guten Start, nur bei Michels Reittier spielte sich nichts ab. Auch der wiederholte Gebrauch der Peitsche half nichts, sie huppelte einige Meter nach vorne, dann blieb sie stehen und schaute mit ihren großen Kuhaugen unschuldig und nicht begreifend, was mit ihr geschah, in der Gegend herum. Michel stieg von seinem Reittier herunter und fluchte wie ein Türke. Die anderen kamen schon wieder zurück. Michel ließ die »Stern« laufen, ging zu seinen anderen Kühen und kam mit einer junge Kälbin zurück; das war die »Nickel«. Eine junge Kuh, sehr unternehmungslustig, und vor allem hatte sie ein sehr kluges Köpfchen. Ihre Beine waren äußerst schnell, das hatte der Michel oft genug erfahren müssen, wenn sie einem Bauern im Feld an den Hafer ging. Als die »Nickel« feststellte, daß etwas Ungewöhnliches mit ihr geschehen sollte, wollte sie abhauen, aber diesmal hatte sie kein Glück. Vier Paar kräftige Bubenhände verschafften ihr Respekt. Endlich saß der Michel obenauf. »Loslassen!« brüllte er, und die Nickel bekam ihre Freiheit. Aber oh weh! Wie ein geölter Blitz zischte die junge Kuh mit dem Michel den Hang hinunter, Richtung Erlen unten am Bach; der Michel blieb oben, nur das Ziel hatte die »Nickel« übersehen. Wie einen Schatten sahen wir noch beide in den Erlen verschwinden, dann kurze Zeit nichts mehr, bis die »Nickel« reiterlos ganz oben auf der anderen Seite des Erlenbestandes in einem Haferfeld stand. Den Michel fanden wir unten am Bach, in einer Brombeerhecke. Hände und Gesicht waren mit Blut bedeckt, die Knie aufgeschlagen, so zogen wir den Michel aus dem Gestrüpp heraus. Ich hatte ihn noch nie so böse gesehen. »Dreckloder! Krummbock! Deuwelsloder!« schimpfte er, »dir bringe ich noch Manieren bei!« Ich glaube, die »Nickel« hatte von da an einen sehr schweren Stand beim Michel, denn wo er sie erwischen konnte, bekam sie Hiebe. Diesen Streich hat der Michel der »Nickel« nie vergessen, aber als Reittier hat er sie nie mehr haben wollen, das Dreckloder, den Krummbock!