Als Kinder noch an Nikolaus und Christkind glaubten

Theo Pauly, Gerolstein

 

Zum Nikolaustag und erst recht zu Weihnachten haben meine Enkelkinder ihre Wünsche klar und deutlich formuliert. Was die Eltern nicht aufbringen oder aufbringen wollen, ergänzen die Großeltern gern, der Pate oder die Patin. Wir sind doch froh, wenn wir uns für unsere Nachkommenschaft engagieren können und heilfroh erst recht, wenn deutliche Wünsche geäußert sind; das erspart das Nachdenken!

Wesentlich anders war das, als wir selbst Kinder waren. Uns wurde schon früh klargemacht, daß es nichts umsonst gibt, selbst nicht vom Nikolaus oder dem Christkind. Da mußte man schon selbst Vorleistungen erbringen; sich in der Erwartungszeit gut zu betragen, war eine Selbstverständlichkeit. Aber es galt, noch mehr zu tun. Um vom Nikolaus, der sowieso ein »armer Mann« war, etwas zu bekommen, mußte man entsprechend viele Rosenkränze gebetet haben. Daß Nikolaus ein armer Mann sei, erklärte mir mein Vater damit, daß dieser sogar die Schuhe mit Weidenruten gebunden habe, da ihm das Geld für Lederriemen fehle. Und siehe da, als der Nikolaus daraufhin erschien, hatte er tatsächlich seine Schuhe mit einer Weidenrute gebunden. Nun wußte man, daß vom Nikolaus nicht viel zu erwarten war, daher brauchte man sich auch im Abbeten von Rosenkränzen nicht so sehr ins Zeug zu legen. Da reichten schon so etwa fünf bis zehn. Für das Christkind brauchte man einiges mehr.

An das Rosenkranzbeten war man in der Zeit vor Nikolaus schon gewöhnt, denn der Oktober war der Rosenkranzmonat, und da schloß sich täglich bzw. abendlich an das Dankgebet nach dem Abendessen ein Rosenkranz an. Damit das nicht zu eintönig wurde, betete man abwechselnd den freudenreichen, den schmerzhaften und den glorreichen. Wenn nun der Monat Oktober vorbei war, wurde es Zeit, »für« den Nikolaus zu beten. Das aber war Sache der Kinder bzw. der Großeltern, die die Aufsicht über die Kinder zu führen hatten. Nun lebte damals bei uns zu Hause neben meinen Eltern und Geschwistern sowie einer Tante nur noch meine Großmutter mütterlicherseits. Der Großvater war im ersten Weltkrieg gefallen, der andere Großvater lebte in Kradenbach, den ich nur ab und zu des Sonntags zusammen mit meinen Eltern besuchte und zu dem ich meist allein nur am Neujahrstag ging, um den Neujahrsweck abzuholen.

Meiner Großmutter oblag das Kochen im Hause. Da sie eine äußerst sparsame Frau war, brannte trotz frühen Einbrechens der Dunkelheit bei der Zubereitung des Abendessens im »Haus«, in der sandsteingepflasterten Küche also, kein elektrisches Licht. Die geöffnete Feuerungstür des Herdes reichte aus, den Raum so weit zu erhellen, wie es die Handgriffe zum Herstellen der »Pann Schrumpere« erforderten. Da wurden dann Rosenkränze gebetet, dergestalt, daß ich auf der Bank saß und vorbetete und die Großmutter »abnahm«. Auch wenn Großmutter keinen Rosenkranz in der Hand hielt, merkte sie doch, wenn ich ein oder zwei »Gegrüßet seist du, Maria« überschlug; ich wurde zur Ordnung gerufen, und wenn es ganz schlimm kam, wurde noch ein sechstes »Gesetz« angefügt. Ein Rosenkranzgebet war nicht gültig ohn die abschließende Lauretani-sche Litanei. Wieviele Rosenkränze und Litaneien mögen wir so heruntergebetet haben! Meine um vier Jahre jüngere Schwester wurde natürlich ebenfalls zur gegebenen Zeit dazu angehalten, »für« den Nikolaus und »für« das Christkind zu beten. Sie aber veranlaßte Großmutter zu dem Ausspruch: »Möt demm Bäschtje kamma net da Rusekranz bädde!« Sie hielt nicht aus und hatte stets anderes zu tun. Wenn Großmutter wüßte, daß dieses »Bäschtje« später Nonne geworden und heute als Missionsschwester in Indonesien tätig ist, derweil der »brave« Rosenkranzbeter diese Erinnerungen niederschreibt!

Auf dem Schulweg und in der Schule tauchte dann immer wieder die Frage auf: »Wieviel Rosenkränze hast du schon gebetet?« Der eine oder andere mag bei der Antwort ein wenig oder mehr aufgeschnitten haben. Mir fiel nur damals schon auf, daß manche Mitschüler sehr viel weniger Rosenkränze aufzuweisen hatten und trotzdem viel mehr vom Christkind beschenkt wurden. Irgendwo war da ein Fehler, nur konnte ich ihn noch nicht herausfinden. Wie sehr hatte ich mir beispielsweise über Jahre hinweg Gummistiefel »gebetet«, um durch Schneematsch und Wasser waten zu können, nie habe ich welche bekommen. Andere bekamen stets das, was sie sich gewünscht hatten. Dafür bekam ich allerdings ab und an etwas, woran ich gar nicht gedacht hatte, was ich dann doch wohl gebrauchen konnte. So stand eines Heiligabends ein Davos-Schlitten unter dem Tannenbaum und ich war der einzige Junge im Dorf, der einen Schlitten benutzen durfte, der nicht selbst gemacht, sondern gekauft war. Welch ein Stolz erfüllte meine schmale Brust und wieviele waren plötzlich meine Freunde, weil sie auch einmal mit diesem tollen Schlitten mitfahren wollten! Ein anderes Mal brachte mir das Christkind einen Plattenspieler, zum Aufziehen mit einer Kurbel und drei Schallplatten mit Weihnachtsliedern. Groß war die Freude, denn so etwas besaß keiner der Kameraden, in der ganzen Schule nicht. Ich hatte das alles vom Christkind bekommen, ohne es mir zu wünschen und ich wußte nicht, wie sehr mich mein Onkel, der jüngste Bruder meiner Mutter, liebte, der damals aktiver Soldat war und auf der Krim sein Leben gelassen hat. Er war es auch, der mir anläßlich eines Urlaubs eine Sonnenbrille mitgebracht hatte, mit der ich vor meinen Kumpanen angeben konnte. Sein letztes Weihnachtsgeschenk an mich, für mich damals immer noch vom Christkind stammend, war eine mechanische Eisenbahn, eine Lokomotive zum Aufziehen mit drei Waggons und einem Geleise, das lediglich als Rund oder als Acht zusammengebaut werden konnte. Auch wenn es keine elektrische Eisenbahn war und sie wegen der wenigen Variationsmöglichkeiten nicht den sicherlich erhofften Spaß erbracht hat, bin ich doch heute noch dankbar für diesen Beweis von Zuneigung, auch wenn ich damals noch an das Christkind »geglaubt« habe.