Gerolsteiner Platt - oder die Kunst, sich zu verstehen

Margaretha Rosar, Leverkusen

 

Da sollen ja Welten zwischen liegen - Lissingen ist durch einen Ozean von Gerolstein getrennt -und zwischen Gees und Gerolstein liegen mindestens die Karpaten ... So jedenfalls stellte es sich mir dar, als ich mich, nunmehr in reifem Alter, unserem Platt zuwandte. Als Kind hatte ich den Dialekt stets gehört, durfte ihn aber zu Hause nicht sprechen. Da behaupten nun viele, bei denen ich mich heute um Nachhilfeunterricht bemühe, die alleinseligmachende, wahre, echte und einzig richtige Aussprache zu haben. Falls ein Elternteil aus Büscheich stammte, führte dies schon zur Disqualifizierung. Dabei sind es in meinen Ohren nur geringe Lautverschiebungen.

Sprache ist ein wichtiger Teil unserer Kultur, der mich schon immer besonders fasziniert hat. Ich erstarrte früher in Ehrfurcht, wenn ich fremde Leute locker Deutsch sprechen hörte, umgekehrt konnte ich es ja nicht beurteilen. Simultanübersetzungen hielt ich für das Größte, obwohl ich inzwischen nicht jedes Wort für gelungen halte. Auch die - stark verkürzten -Untertitel bei Filmen bemängele ich. Bestimmt mokiere ich mich oft zu Unrecht; ich werde mich bessern.

In Gerolstein gibt es einen Mann, der mir in frühester Jugend eine hilfreiche Lebensmaxime gab. Die war: »Wenn esch datt jeliert hann, kann esch datt och!«

Nun gibt es zwischen Lernen und Können eine große Kluft, nur durch Fleiß und Begabung zu überbrücken, oder auch nicht. Die Wichtigkeit von Sprache eröffnet sich dem, der sie sich wegdenkt, oder in Situationen gerät, in der sie nichts nützt. Durch Körpersprache ist vieles auszudrücken, durch Gebärdensprache auch, obwohl die unterstützenden Mundbewegungen bei fremden Sprachen nicht stimmen. Aber Feinheiten sind nicht verständlich zu machen. Da war ich vor einiger Zeit in China und konnte mit Körpersprache den neugierig zusammengelaufenen Leuten meine persönlichen Daten erzählen. Die Antwort auf das Woher wurde schwierig.

Ich nahm ein Stöckchen und zeichnete in den Sand das Land der Mitte, dann am linken Rand Europa, und mitten drin, nicht größer als ein Fliegendreck, Deutschland. Nun gibt es ja zwei, also wie die DDR erklären? Ich sprach von Marx und Engels, sie sind nicht mal von dort, da nickten sie alle und wiederholten: Maaxe, Ängelze. Deutschland-West, Majuusebät-ter, wie soll ich das darstellen! Da fielen mir zwei bundesrepublikanische Namen ein - Bekkenbauer - Mercedes. Jubel brandete auf, alle klatschten wie verrückt, ha, jetzt hann ses, dachte ich, jetzt hann ses. (Eines der wenigen Plakate zeigte nämlich Beckenbauer und Pele, fußballspielend).

Der Knubbel Menschen schob mich vor sich her, um vor einem Kino stehenzubleiben, dort gab es den Film: Das Spukschloß im Spessart. Synchronisiert hörte sich das wie miau, miau an. Ich las nun laut die Namen auf dem Kinoplakat, Liselotte Pulver - alle versuchten nachzusprechen - Wolfgang Neuss, nur bei Hubert von Meyerrink versagten alle Versuche, aber sein Film-Spitzname, Zack Zack, den konnten sie mühelos wiederholen. Als ich die Filmmusik pfiff, die mir auch heute noch besonders gut gefällt, pfiffen alle richtig mit. Ob sie mehrmals im Kino waren?

Fazit: Musik ist die einzige wirklich internationale Sprache. Warum ich diese Erlebnisse erzähle? Überall auf der Welt wollen Menschen einander verstehen lernen. Dabei lassen sich nur tote Sprachen, Latein mit seinen starrenRegeln leicht reproduzieren. Aber die lebenden Sprachen, vor allem phonetisches Dialekt-Wortgut, ist sehr schwer zu Papier zu bringen. Da fehlen zum Beispiel die Zeichen, um e vom ei auseinanderzuhalten. Also muß das französische Egue her. Oder wie schreibt sich das DU, heißt es nun Dou oder Dau?

»Dou blamierst dech nur damot« . . . wird mich nicht hindern, diese - ming, meng, mei - Heimatsprache zu lieben, zu schätzen, zu gebrauchen, damit sie mir nicht stirbt, unter festen Regeln begraben. Vielleicht gibt es in Gerolstein sogar einen Unterschied zwischen Ramm und Hält? Wer weiß?

Nachdem ich nun über die Dörfer gegangen bin, ist mir der Bogen zur großen Politik leicht. Würden »Die da Oben« nur öfter miteinander reden, mit guten Simultanübersetzungen, dann müßte es doch zu einer Verständigung kommen.

Verständigen, verständlich machen, das kommt doch aus dem Wortstamm Verstand. Oder?