Fünf Jahre Leseclub »Bücherwurm« am Geschwister-Scholl-Gymnasium Daun

Malte Blümke, Daun

 

Angesichts der neuen Kommunikationstechnologien und der Herausforderung durch neue Medien muß sich die Medienpädagogik verstärkt dem »Uraltmedium« Buch zuwenden.

Denn die im Buch enthaltenen Erfahrungen der Menschen, die Potentiale an Kreativität und Phantasie, die Möglichkeit der Kommunikation und Identifikation mit dem Buch und durch das Buch dürfen nicht aufgegeben werden.

Eine gute Möglichkeit dazu ist die Leseclub-Idee, die auf dem Vorbild der israelischen »Leseclubs der Jugend« basiert. In diesen Clubs sollen Kinder und Jugendliche aus verschiedenen Kulturen durch gemeinsame Spiele und Aktivitäten zum Lesen bewegt werden. Diese Idee hat die Deutsche Lesegesellschaft in die Bundesrepublik übertragen1). Im Mai 1982 wurde der Leseclub »Bücherwurm«, der in der Trägerschaft des Kreises Daun am Geschwister-Scholl-Gymnasium geführt wird, gegründet.

In Form eines Modellversuchs soll eine verbesserte Akzeptanz von Buch und Lesen bei Kindern und Jugendlichen in der Dauner Region erreicht werden, sie sollen am literarischen Leben teilnehmen. Ziele des Literaturunterrichts werden aufgenommen und weitergeführt. Im Einzelnen bedeutet dies:

- Kenntnisse zur Benutzung einer Bibliothek

- Kenntnisse über die Entstehung von Kinder-und Jugendbüchern

- Kennenlernen der wichtigsten deutschen Kinder- und Jugendbuchautoren

- Leseanregungen für »Wenigleser«

- Entfaltung des Leseinteresses für motivierte Leser

- Vermittlung von Medienkompetenz zur Beurteilung und Auswahl von elektronischen und gedruckten Medien

- Hilfen zur Identitätsfindung

- Gemeinschaftserlebnisse durch die Lesegruppen

- Erkennen des fiktionalen Charakters von Literatur und Vergleichen mit der »eigenen Welt« zur Bewältigung von eigenen und fremden Erfahrungen

- Anleiten zum Sprechen und Schreiben über Literatur

- Fördern der Kreativität durch eigenes Schreiben.

Struktur, Ausstattung des Leseclubs mit Medien und die personale Betreuung der Lesegruppen gewährleisten, daß

- die Schülerinnen und Schüler Medienkompetenz erwerben können,

- der individuelle Vorgang des Lesens zu einem Gemeinschaftserlebnis wird,

- zwischen schulischem und außerschulischem Leseverhalten eine Brücke geschlagen wird.

Die Notwendigkeit der Leseförderung ergibt sich aus demographischen und ökonomischen Gründen der Dauner Region, sowie aus dem Medienverhalten der Jugendlichen. Ausgehend von der Beobachtung, daß in der relativ buchfernen Eifelregion wenig Kinder und Jugendliche direkte Zugangsmöglichkeiten zum Buch haben, verfolgt das Dauner Leseclubprojekt das Konzept, das Buch zu den Kindern und Jugendlichen zu bringen2'. Im Dauner Club treffen sich ca. 80 Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 5 bis 10 einmal in der Woche in 5 Lesegruppen unter der Betreuung von Lehrern, Eltern und Schülern regelmäßig, um sich mit dem Kinder- und Jugendbuch zu beschäftigen.

Die Bücherwürmer vom Dauner Leseclub mit dem Team der »Montagsmaler«.

Der Modellversuch erstreckt sich hauptsächlich auf die Jahrgangsstufen 5 bis 10. An den Lesegruppen nehmen Schüler und Schülerinnen aller Schularten teil. Der Schwerpunkt liegt bei den Schülern des Geschwister-Scholl-Gymnasiums Daun und der Hauptschule Daun.

Die gemeinsame Betreuung der Lesegruppen durch Eltern, Lehrer und Schüler hat sich als ein sehr tragfähiges Konzept erwiesen. Die Lehrer stellen die Verbindung zum Literaturunterricht, besonders zum Deutschunterricht her und stehen als Experten beratend zur Verfügung. Die Oberstufenschüler können in der Regel leichter an die tatsächlichen Lebenserfahrungen der Kinder und Jugendlichen anknüpfen, die Eltern bringen neue Erfahrungshorizonte und Interaktionsformen in die Leseclubarbeit ein. Sehr positiv wirkte sich die Betreuertätigkeit für die Oberstufenschüler aus, indem sie am literarischen Leben teilnehmen konnten. Zwei Schülerinnen erstellten eine Facharbeit über den Leseclub. Mehrere Betreuerinnen trafen ihre Berufswahl aufgrund der Erfahrungen in der Leseclubarbeit, wobei die Tätigkeit in der Lesegruppenbetreuung nachweislich die Bewerbungschancen gegenüber anderen Bewerbern erhöhte. Es war von Anfang an sehr wichtig, daß der Leseclub einen eigenen Raum im Geschwister-Scholl-Gymnasium erhielt. Der große und helle Raum wurdemit IKEA-Möbeln im Wert von ca. 5 000,- DM ausgestattet. Die Grundausstattung des Leseclubs mit Büchern und anderen Medien (Zeitschriften, Cassetten, Schallplatten u. a.) stellte die Lesegesellschaft zur Verfügung. Hinzu kamen eigene Buchanschaffungen und Spenden. Die Kosten tragen der Schulträger, die Kreisverwaltung Daun, der Förderverein des Geschwister-Scholl-Gymnasiums und freiwillige Spender.

Zum Standardprogramm der 5 Lesegruppen gehören folgende Themen:

- Vorstellen von Kinder- und Jugendbüchern;

- Diskussion und Gespräch über Themen der Bücher;

- Lesen und Besprechen von Jugendzeitschriften;

- Comics Lesen und Besprechen;

- Kurzgeschichten Lesen und Schreiben;

- Lesen, Erzählen und Schreiben von Märchen, Sagen und Erzählungen;

- Gedichte Vorlesen und Schreiben;

- Spiele: Ratespiele zur Jugendliteratur, Spin-go, Stadt-Land-Fluß, Reimspiele, Reise nach Jerusalem, Rätselspiele-Scharaden, Dichter-Quartett u. a.;

- Beschäftigung mit elektronischen Medien in Kombination mit dem Buch: Hörspiele Hören und selber Machen, Buchverfilmungen Sehen und Besprechen, Schallplatten und Ton-cassetten Hören;

- Gestalten: Umschläge zu Büchern, Kalender, Fenstermalerei nach literarischen Motiven, Buchillustrationen;

- Diskussion und Gespräch über besondere Ereignisse, z. B. 50 Jahre Bücherverbrennungen, Beruf des Schriftstellers, auch über Schulprobleme und Beziehungsprobleme;

- Rollenspiele, Pantomime, Sketche, szenisches Spiel u. a.

An besonderen Veranstaltungen wurden zum Teil in Zusammenarbeit mit anderen Institutionen u. a. folgende Leseförderungsmaßnahmen durchgeführt:

- Die Leseclubmitglieder erstellen die Literatur- und Leseclubzeitschrift »Bücherwurm«, die bisher in 6 Ausgaben erschienen ist. Die Zeitschrift gibt den Leseclubmitgliedern die Möglichkeit, über Bücher zu schreiben und eigene Schreibversuche zu veröffentlichen. Daß die Zeitschrift beim Schülerzeitungswettbewerb des Kultusministerium Rheinland-Pfalz schon zum vierten Mal mit einem Sonderpreis ausgezeichnet wurde, ist für die Redaktion eine Bestätigung ihrer Arbeit.

- Der Leseclub führte ca. 60 Autorenlesungen durch. Mit den Autoren: Tilman Röhrig, Renate Axt, Hans-Georg Noack, Karlhans Frank, Isolde Heyne, Mirjam Pressler, Wolfgang Gabel, Helme Heine, Frederik Vahle, Renate Schupp, Barbara Bartos-Höppner, Moks Razafindramiandra, Beatrice Ingermann, Wolfgang Leonhard, Walter Schenker, Hans-Dietrich Lindstedt, Jo Pestum, Elisabeth Alexander, Achim Bröger, Gisela Kalow, Peter Grosz, Hans A. Halbey und Jill Steinberg. Die Lesegruppen bieten die ideale Voraussetzung, daß die Autorenlesungen nicht immer nach Standardschema und Frage-Antwort-Spiel »Wieviele Bücher haben Sie geschrieben?« »Warum schreiben Sie?« ablaufen, da die Lesegruppen sich intensiv durch die Lektüre der Bücher des jeweiligen Autoren auf die Lesungen vorbereiten. Wir gehen mit den Autorenlesungen auch an andere Orte. So fand eine sehr stark besuchte Autorenlesung in der Dauner Volksbank statt. Der Autor Achim Bröger las für kranke Kinder im Krankenhaus Daun und diskutierte mit den Patienten über seine Bücher. In der Regel kommen die Autoren in regelmäßigen Abständen wieder in den Leseclub, so daß über neue Bücher des Autors und seine literarische Entwicklung gesprochen werden kann.

Weitere Aktivitäten des Leseclubs:

- Ausstellung »Die verbrannten Dichter« in der Kreisverwaltung Daun und Schulen des Kreises. Anläßlich des Gedenktages 50 Jahre Bücherverbrennungen erstellten die Leseclubmitglieder eine Ausstellung zu dem Thema mit Zeichnungen, Fotos und Texten.

- Durchführung von Jugendbuchwochen 1983 -1987 mit Autorenlesungen, Bücherbasaren, Buchausstellungen, Buchtauschaktionen, Literaturvorstellungen im Deutschunterricht, Spielnachmittagen, Theaterspiel.

- Im Schuljahr 1984/85 haben zwei Lesegruppen der Hauptschule und des Geschwister-Scholl-Gymnasiums eine Buchausstellung Kinder- und Jugendbücher zusammengestellt. Die Schülerinnen und Schüler wählten 50 Lieblingsbücher aus, zu denen sie jeweils eine Buchbesprechung anfertigten. Die ausgewählten Bücher wurden vom Kreis Daun gekauft und zusammen mit den Besprechungen als Wanderausstellung den Schulen im Kreis zur Verfügung gestellt.

Gisela Kalow bei der Vorbereitung der Dauner Bilderbuchausstellung.

-In der örtlichen Buchhandlung haben einzelne Lesegruppen mehrmals Schaufenstergestaltungen mit Buchausstellungen (z. B. Bücherverbrennungen, Neuerscheinungen, Kinder- und Jugendbuch, Kinder- und Jugendlexika) durchgeführt.

-Rollenspiele, szenische Spiele und Theateraufführungen spielen eine wichtige Rolle im Leseclub. Eine eigene Kinder- und Jugendtheatergruppe hat in Zusammenarbeit mit dem Autor Tilman Röhrig eine Sage zu einem Mundartstück umgeschrieben und erfolgreich beim Südwest-Funk Theaterwettbewerb und der Trierer Mosellandausstellung aufgeführt. Kästners »Konferenz der Tiere« wurde zu einem Theaterstück mit Musik umgearbeitet und auf Theatertreffen und im Fernsehen gespielt.

-1985 haben 40 Kinder und Jugendliche des Leseclubs einen Test »Kinder- und Jugendlexika« der Stiftung Warentest (siehe Testheft 10/85) durchgeführt. 18 Kinder- und Jugendlexika wurden in den Bereichen Begriffe, Übersichtlichkeit, Gliederung, Layout, Verständlichkeit, Sprache, Schriftbild und Handlichkeit getestet.

Mit dem Südwest-Funk, ZDF, 3-Sat-Pro-gramm, Saarländischen Rundfunk und dem Kabelpilotprojekt Ludwigshafen wurden verschiedene Sendungen zur Kinder- und Jugendliteratur produziert.

-Höhepunkt war die Teilnahme von vier Bücherwürmern an der Montagsmaler-Sendung mit Sigi Harreis und Peter Härtung.

- In der Volksbank Daun stellte der Leseclub 1986 mehr als 100 Originalbilder der Bilder-buchillustratorin Gisela Kalow aus. Zu der Ausstellung erschien ein schön bebilderter Katalog.

- Bei den Projekttagen im Schuljahr 1986/87 erstellte die Projektgruppe Bilderbuchwerkstatt in eigener Regie das Bilderbuch »Nelly's Wunderwölkchen«, das in sehr schöner Ausstattung als gedrucktes Buch erschien und große Resonanz bei Schülern, Eltern und Lehrern fand.

- Die Reihe der Buchausstellungen wurde 1987 fortgesetzt: Mit der Landesfachstelle für Büchereiwesen des Landes Rheinland-Pfalz wurde die Ausstellung »Vorgestern, gestern, heute: Geschichte im Jugendbuch« zusammengestellt und an mehreren Schulen im Kreis Daun in der Jugendbuchwoche gezeigt. In Zusammenarbeit mit dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels wurde die große Buchausstellung »Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1950 - 1986« der Dauner Öffentlichkeit gezeigt.

- Die vielen Aktivitäten rund um das Buch werden neuerdings ergänzt durch eine Druckerwerkstatt, in der die Schüler anhand einer Schnelldruckpresse aus dem Jahre 1913 die Technik des Buchdrucks erlernen und selbst praktizieren können.

Der Dauner Leseclub ist inzwischen weit über die Grenzen der Eifel bekannt geworden. Für viele Leseclubgründungen in Rheinland-Pfalz und anderen Bundesländern hat er als Vorbild gedient. Der Modellcharakter der Leseförderung im Kreis Daun sollte in Zukunft durch gezielte Maßnahmen herausgestellt werden. Dazu könnte ein Dauner Autorentreffen mit einem Dauner Literaturpreis für Kinder- und Jugendliteratur gehören.

Anmerkungen:

1) Gaby Hohm und Heinrich Kreibich, Leseclubs für deutsche und ausländische Kinder und Jugendliche. Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleituntersuchung der Modellversuche, Mainz 1983, S. 3; vgl. auch Hie Stanciu, Leseklub der Jugend. Eine Unterwei-sungs-Broschüre, The Henrietta Szold Institute, Jerusalem 1977.

2) vgl. »Statistik für kommunale öffentliche Büchereien 1985 - Nichts als Zahlen«, in: die bücherei 30 (1986) 2, S. 142 -151; »Das kommunale Öffentliche Büchereiwesen in Rheinland-Pfalz. Jahresstatistik 1986«, in: die bücherei 31 (1987)1, S. 14 f.;

vgl. Wissenschaftliche Kommission Lesen: Buch als Kommunikationsmedium - Lesen als Kulturtechnik, in: Deutsche Lesegesellschaft e. V. (Hrsg.): Buch und Lesen, Bonn 1978, S. 9 - 24; vgl. Buchreport Nr. 34, 26. August 1983, S. 58; vgl. A. C. Baumgärtner (Hrsg.), Lesen. Ein Handbuch, Hamburg 1974, S. 159;

vgl. Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (Hrsg.), Informationen aus Bildung und Wissenschaft 10/83, S. 185; Infratest Medienforschung, Kommunikationsverhalten und Buch. Eine Untersuchung im Auftrag der Berteismann-Stiftung, Gütersloh 1978.

Die Titelfigur aus dem Bilderbuch »Nellys Wunderwölkchen«.

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